Autor Ahmed Rashid über den Rückzug Pakistans von der Petersberg-Konferenz, die Strategie von Hamid Karzai und neue und alte Allianzen am Hindukusch.
zenith: Herr Rashid, aus Protest gegen den tödlichen NATO-Luftangriff auf einen pakistanischen Militärposten wird Pakistan der Afghanistan-Konferenz in Bonn fernbleiben. Sind die Probleme in Afghanistan überhaupt lösbar, ohne Pakistan?
Ahmed Rashid: Nein. Ohne Pakistan sind die Probleme in Afghanistan nicht lösbar. Weder militärisch, noch strategisch, noch politisch. Die afghanischen Taliban haben sich ja teilweise auf pakistanisches Gebiet zurückgezogen, wo sie teilweise unter dem Schutz der pakistanischen Taliban stehen, von wo aus sie ihre Operationen starten. Ferner aufgrund des demographischen Gewichts Pakistans, dessen Einfluss auf die Paschtunen im Süden Afghanistans, der geographischen Nähe, etc. Afghanistan und Pakistan sind schicksalhaft miteinander verbunden.
Pakistan hat angekündigt, die Beziehungen zu den USA zu überdenken. Die USA sind auf Pakistan als Anti-Terror-Partner angewiesen. Die Beziehungen zwischen den beiden Atommächten haben sich nach der Tötung von Qaida-Chef Osama Bin Laden durch US-Spezialeinheiten im Mai erheblich verschlechtert. Steht die pakistanische Außen-und Verteidigungspolitik vor einer radikalen Kehrtwende?
Nun, die Armee steht unter einem enormen Druck, ebenso die politische Klasse Pakistans. In der Bevölkerung wächst die Stimmung gegen die USA.Viele Pakistaner denken trotz finanzieller Unterstützung aus Washington nicht mehr, dass die Zusammenarbeit mit dem Westen für ihr Land gut sei. Nicht zum ersten Mal starben pakistanische Truppen durch »friendly fire«, nicht zum ersten Mal wurde die Souveränität Pakistans verletzt. Andererseits misstrauen die Amerikaner der politischen Führung Pakistans. Für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit ist das alles andere als hilfreich.
Ahmed Rashid
wurde 1948 im pakistanischen Rawalpindi geboren und gehört zu den gefragtesten Fachleuten, wenn es um die Taliban, Afghanistan oder sein krisengeschütteltes Heimatland geht. Ahmed Rashids Studie »Taliban. Afghanistans Gotteskämpfer und der neue Krieg am Hindukusch« ist letztes Jahr bei C. H. Beck neu aufgelegt worden. Ebenfalls 2010 erschien sein Buch «Sturz ins Chaos. Afghanistan, Pakistan und die Rückkehr der Taliban».
Die NATO ist auf stabile Verbündete angewiesen, wenn die Truppen 2014 aus Afghanistan abgezogen sein werden. Sie haben Sie haben einmal erwähnt, der größte Fehler der Administration Obama bezüglich Afghanistan sei die Festsetzung eines Zeitplans für den Rückzug der amerikanischen Truppen gewesen. Sind Sie immer noch dieser Überzeugung?
Sicherlich, ja. Auch wenn dieser Zeitplan immer wieder umgeändert wurde, gehen jetzt doch alle Afghanen, die Taliban und die benachbarten Staaten davon aus, dass die Amerikaner abziehen. Infolgedessen versuchen all diese Kräfte, ihre eigene Zukunft abzusichern, was die Situation erschwert und die Ausgangslage komplizierter macht.
Die »Talibanisierung« der pakistanischen Gesellschaft hat dramatische Ausmaße angenommen
Auch für Ihren Freund, den Präsidenten Afghanistans, Hamid Karzai?
Natürlich. Karzai ist der Überzeugung, er könne durch den Dialog mit den Taliban und die Beendigung des Bürgerkrieges sein politisches Überleben sichern. Das hängt allerdings eher stark von den innen- und außenpolitischen Rahmenbedingungen ab.
Bruce Riedel, ein früherer CIA-Analyst und maßgeblicher Schöpfer von Obamas Strategie für Afghanistan und Pakistan (AfPak), warnt seit Jahren davor, dass der pakistanische Staat Dschihadisten zum Opfer fallen könnte. Atomwaffen in deren Händen wären ohne Frage eine der größten Bedrohungen für die Weltgemeinschaft überhaupt. Was denken Sie darüber?
Die Gefahr ist real. Die »Talibanisierung« der pakistanischen Gesellschaft hat dramatische Ausmaße angenommen. Selbst in meiner Heimatstadt Lahore. Die urbane Mittelschicht droht zwischen den Extremen aufgerieben zu werden. Die Inkompetenz der Regierung ist diesbezüglich auch wenig hilfreich.
Peking hat Pakistan diplomatischen Beistand angeboten. Welcher ausländische Partner ist denn langfristig wichtiger, für das Überleben Pakistans. China oder die USA?
Beide Staaten sind wichtig. Die Achse Peking-Islamabad existiert ja schon lange, was auch beiden Staaten ins geopolitische Konzept passt, um Indiens Handlungsspielraum einzudämmen.Welche Macht sich langfristig positiver auf Pakistan auswirkt, das wird uns die Geschichte beantworten.