Nach der Eröffnung des Taliban-Büros in Katar geht das Rennen um die Macht am Hindukusch in eine neue Phase. Das Verhältnis der Regionalmächte Indien und Pakistan wird dabei eine entscheidende Rolle spielen.
Bereits 1950, während der Regierungszeit von Zahir Schah, schlossen Afghanistan und Indien einen Freundschaftsvertrag. Zwischen den Ländern, die heute das Staatsgebiet Pakistans trennt, bestehen alte kulturelle und historische Verbindungen. Beide waren einst wichtige Zentren des Buddhismus – und noch heute leben in Afghanistan Hindu- und Sikh-Minderheiten. Aber auch in wirtschaftlicher Hinsicht witterte man damals schon, dass eine Kooperation zwischen Kabul und Delhi sich lohnen könnte. Im Krieg zwischen den Sowjets und den von den USA und Pakistan finanzierten Mudschaheddin in den 1980er Jahren rüstete Indien keine Kämpfertruppen aus. Doch Neu-Delhi baute damals gute Beziehungen zu den Führern der Nordallianz auf – unter ihnen Ahmad Schah Massud und Burhanuddin Rabbani.
Indiens Verhältnis zum Taliban-Regime in den 1990er Jahren war dementsprechend frostig. Seit dem Sturz der Taliban engagiert sich Indien intensiv beim Wiederaufbau am Hindukusch. Mehr als 2 Milliarden US-Dollar hat Indien seit 2002 in Afghanistan ausgegeben. Das Geld floss in Infrastrukturprojekte, Gesundheits- und Bildungsprogramme und die Ausbildung von Polizei und Diplomaten. Damit ist Indien das spendabelste Geberland unter Afghanistans Nachbarn. Im Oktober 2011 unterzeichneten Indien und Afghanistan ein strategisches Partnerschaftsabkommen – das erste, das Afghanistan mit einem Land geschlossen hat. Für Pakistan Grund genug zum Misstrauen: Islamabad beklagte die Wiedereröffnung von indischen Konsulaten in Masar-i-Scharif, Kandahar und Jalalabad. Eine Zeitlang behauptete Pakistan sogar, dass Indien diese Konsulate als Basis dienten, um Geheimoperationen gegen Pakistan zu planen. In den Augen der Pakistanis unterstützt Indien auch den belutschischen Separatismus im Osten.
Pakistan fühlt sich von Indien umzingelt
Insgesamt fühlt sich Pakistan angesichts des indischen Engagements am Hindukusch und spätestens seit der Eröffnung eines indischen Luftwaffenstützpunkts im tadschikischen Farkhor von seinem Nachbarn umzingelt. Farkhor ist die einzige indische Militärbasis außerhalb des eigenen Territoriums. Hamid Karzai versuchte immer wieder, Pakistans Bedenken aus dem Weg zu räumen, dass bessere Beziehungen zu Indien zu Lasten Pakistans gehen könnten: »Pakistan ist unser Zwillingsbruder, Indien ist ein großer Freund. Den Vertrag, den wir mit unserem Freund unterzeichnet haben, wird unserem Bruder nicht schaden.« Neu-Delhi verfolgt seinerseits in Afghanistan eine Reihe strategischer Ziele: Afghanistan liegt für Indien in einer Schlüsselposition, wenn es um die Energiezufuhr aus Zentralasien geht.
Zwischen Turkmenistan und Indien ist etwa schon seit längerem eine Gas-Pipeline geplant, bekannt unter dem Namen »Trans-Afghanistan-Pipeline«. Es dürfte Indien aber auch darum gehen, Pakistans Einfluss in Afghanistan zu deckeln. Ursprünglich genoss Islamabad beim Nachbarn ein strategisches und wirtschaftliches Privileg – auch weil Pakistans und Afghanistans Schicksal spätestens seit 2001 so eng miteinander verwoben sind. Doch vielen Afghanen gilt Pakistan als Brutstätte allen Übels, nicht nur weil die Taliban in Pakistan einen sicheren Rückzugsraum gefunden haben. Während Indien durch seine Hilfsleistungen und auch in kultureller Hinsicht an Beliebtheit gewonnen hat und aus den meisten Taxis in Kabul Bollywood-Musik plärrt, ist Pakistans Ansehen unter den Afghanen an einem Tiefpunkt angelangt.
Dass Pakistans Geheimdienst ISI ein doppeltes Spiel treibt und aufständische Kräfte in Pakistan mitfinanziert hat, ist mittlerweile keine Neuheit mehr. Für den ISI sind die Taliban der sicherste Garant für eine Zurückdrängung des indischen Einflusses am Hindukusch. Nach amerikanischen Quellen sollen an der Planung eines Anschlags auf die indische Botschaft in Kabul, bei dem 2008 41 Menschen ums Leben kamen, auch Agenten des ISI beteiligt gewesen sein.
Misstrauen ist keine gute Grundlage für den Frieden in der Region
Während sich die Aufmerksamkeit momentan hauptsächlich auf die Verhandlungen zwischen dem Westen und den Taliban konzentriert, wird auch das Verhältnis der zwei Erzfeinde Indien und Pakistan für Afghanistans Zukunft nach dem internationalen Truppenabzug 2014 entscheidend sein. Solange Pakistan Existenzängste hegt, egal ob berechtigt oder nicht, wird sich an dem zweifelhaften Doppelspiel Islamabads wenig ändern. Misstrauen ist keine gute Grundlage für ein »Peacebuilding« in der Region. Doch die komplizierte Geschichte der beiden Nachbarn Indien und Pakistan hat gezeigt, wie vertrackt es ist, die festgefahrenen politischen und psychologischen Gräben zu überwinden. Immerhin wagt der indische Premierminister Manmohan Singh zu hoffen. Er träume von einem Tag, sagte er 2007, an dem man Frühstück in Amritsar, Mittagessen in Lahore und Abendessen in Kabul einnehmen könne.