Pakistan kommt nicht zur Ruhe. Seit Wochen wir die Staatsführung von Prozessen und Skandalen erschüttert. Plant das Militär im Hintergrund den Umsturz?
Es ist ein Spiel auf Zeit. Wegen Missachtung des Obersten Gerichtshofes hätte Pakistans Regierungschef Yusuf Reza Gilani an diesem Donnerstag aussagen sollen. Nachdem Analysten bereits befürchtet hatten, die Armee hätte ihn im Falle einer Verurteilung direkt vor dem Gerichtsgebäude verhaftet, erhielt er nun weitere Vorbereitungszeit bis Anfang Februar.
Er hatte sich zuvor geweigert, die Korruptionsermittlungen gegen den amtierenden Präsidenten Asif Ali Zardari voranzutreiben. Ein Verfahren wegen des illegalen Führens Schweizer Konten war noch von Amtsvorgänger Pervez Musharraf gestoppt worden – dem korrupten Ruf Zardaris, der unter Anspielung auf seine Bereicherung am Staatshaushalt als »Mister Zehn Prozent« bekannt ist – tat das keinen Abbruch. Seit 2007 schützt den Präsidenten ein umfangreiches Amnestiegesetzt, das zwar 2009 vom Obersten Gerichtshof für illegal erklärt wurde, faktisch aber noch in Kraft ist. Kritiker monieren, der Prozess sei nur auf Bestreben des Militärs abermals aufgenommen worden, das die aktuelle Regierung nicht mehr bis zur Parlamentswahl 2013 dulden möchte.
Diese Eskalation hat mehrere Ausgangspunkte: Auslöser waren die Liquidierung Osama bin Ladens im Mai 2011, während die Regierung noch Wochen zuvor das Rückgrat der Islamisten in Pakistan für gebrochen erklärte, und ein brisantes Memo der pakistanischen Botschaft in Washington. Doch die Gründe für den seit Jahren schwelenden Konflikt liegen weit tiefer in der miserablen wirtschaftlichen Lage des Landes und der unklaren Machtverteilung – de facto und de jure.
Bis zur »Operation Neptune’s Spear«, während der US-amerikanische Navy SEALs den Führer der islamistischen Al-Qaida in Abbottabad töteten, duldete die Armee eine zivile Regierung, solange diese effektiv gegen terroristische Gruppen im Land vorging. Nicht nur stellte der Militärschlag eine Blamage für Pakistan von internationalem Ausmaß dar, sie brachte die Regierung auch innenpolitisch in Erklärungsnöte.
Ex-Präsident Musharraf in Wartestellung
Darüber hinaus veröffentlichte der in der Vergangenheit schon mehrfach diplomatisch aktive pakistanische Geschäftsmann Mansoor Ijaz in der Financial Times am 10. Oktober 2011 einen Beitrag, in dem er angab, im Mai ein brisantes Memo an den amerikanischen General Michael Mullen – bis September 2011 Vorsitzender Vorsitzender des Joint Chiefs of Staff der US-Streitkräfte – übergeben zu haben. Als Autor war später der inzwischen abberufene pakistanische Botschafter in der amerikanischen Hauptstadt Husain Haqqani genannt worden. Die mutmaßlich von Präsident Zardari in Auftrag gegebene Nachricht bat die Vereinigten Staaten von Amerika die pakistanische Regierung vor einem befürchteten Armeeputsch zu schützen.
Während die Armee in Reaktion von einer »Verschwörung gegen die Streitkräfte« und »Landesverrat« sprach, entließ Premierminister Gilani den militärischen Verteidigungsstaatssekretär Naeem Khalid Lodhi wegen »persönlichen Fehlverhaltens, das zu Missverständnissen geführt habe«. Ersetzt wurde er durch Nargis Sethi – einen erklärten Unterstützer der aktuellen Regierung. Dabei deuten viele Anzeichen darauf hin, dass die Militärführung unter Ashfaq Pervez Kayani aus Furcht vor einer negativen Reaktion der pakistanischen und internationalen Öffentlichkeit den offenen Putsch nicht wagen wird. Stattdessen hat sich der Oberste Gerichtshof bereitwillig auf die Seite des Militärs gestellt und eine formelle Untersuchung der »Memogate« betitelten Affäre angestrengt.
Über die vergangenen Jahre hatten die Richter des Landes stets eine zentrale Rolle bei der Verschiebung der Machtverhältnisse gespielt. Nachdem Ex-Präsident Musharraf im März 2007 Iftikhar Muhammad Chaudhry als Obersten Richter abrufen ließ, setzte er damit den Grundstein für sein eigenes politisches Ende. Die folgende »Bewegung der Anwälte« formierte sich bis ins Jahr 2009 hinein als Sammelbecken für Regierungskritiker, in der auch der heutige Präsident Zardari keine Popularität genießt.
Musharraf war zu einem Gang ins Londoner und Dubaier Exil gezwungen, von wo aus er sich in jüngster Zeit jedoch mehrfach zu Wort meldete. Auch kündigte er an, zu dem Wahlen 2013 eine neue Partei gründen und in die pakistanische Politik zurückkehren zu wollen. Der pakistanischen Tageszeitung Dawn zufolge soll er sich in den letzten Wochen bereits mit der Armeeführung koordiniert haben, ob eine verfrühte Rückkehr nötig sei.
Sollte Regierungschef Gilani oder sogar Präsident Zardari in einem der angesetzten Prozesse für schuldig befunden werden, sind Neuwahlen unvermeidbar. Darauf scheint die Armee jedoch zu drängen und einen von ihr unterstützten Kandidaten haben die Streitkräfte unter den etablierten Oppositionsparteien nicht benannt. Musharraf ist in der Wartestellung.