Im Oktober sorgte der Fall der angeschossenen pakistanischen Aktivistin Malala Yousafzai für Aufsehen. Die Regierungspartei ANP instrumentalisiert ihn nun im Wahlkampf, um vom eigenen Versagen im US-amerikanischen Drohnenkrieg abzulenken.
Am 7. Oktober 2012 stellte sich der pakistanische Politiker und ehemalige Cricket-Star Imran Khan an die Spitze eines friedlichen Protestmarsches durch die pakistanischen Stammesgebiete in Waziristan. Begleitet wurde er unter anderem von dreißig amerikanischen und britischen Friedensaktivisten und zwanzig westlichen Journalisten. Es war das erste Mal seit 2001, dass derartig viele Journalisten in das umkämpfte Waziristan strömten.
Ihre Motivation war, die anhaltenden Drohnenangriffe durch das US-Militär zu kritisieren und auf das Leid der Zivilbevölkerung aufmerksam zu machen. Nach Angaben des britischen Dokumentationszentrums »Bureau of Investigative Journalism« starben bei Drohnenangriffen seit 2004 mehr als 2500 Menschen. Viele pakistanische Medien unterstützten Khans Aktion schon einige Monate vor dem Marsch und riefen etwa ihre Zuschauer auf, sich am Protest zu beteiligen.
Abdul Haq Omari war der einzige afghanische Journalist, der den Marsch begleitete. Seinen Aussagen zufolge war die Bereitschaft der örtlichen Zivilbevölkerung, sich an der Aktion zu beteiligen, sehr groß – insbesondere unter jungen Menschen aus den Stammesgebieten. So viel Einsatz beschert Khan einen Popularitätsschub in einer Region, der sich die Politik sonst selten annimmt. Es war auch sicherlich auch ein Pluspunkt, dass Khan, wie die meisten Bewohner in den so genannten Stammesgebieten im Grenzgebiet mit Afghanistan, ebenfalls Paschtune ist.
Die ANP-Führung hatte genug Informationen über Malala, die sie sofort nach dem Anschlag an die Medien übermittelte
Der Friedensmarsch geriet auch schnell ins Visier der pakistanischen Taliban, die vor allem ihren eigenen Vorteil daraus ziehen wollten: Sie boten Khan ihren Schutz an, damit dieser sicher sein Ziel erreichen und der Medienstunt Khans auf sie abfärben würde. Obwohl die religiöse Ideologie der Taliban wahrscheinlich nicht mit jener Khans vereinbar ist und diese ihn in der Vergangenheit mehrfach für sein Verhalten kritisierten, hegen sie im Grunde genommen keine Feindschaft gegen den Ex-Cricket-Star, sondern gingen mit dem angekündigten Protest pragmatisch um.
Nur so konnte die finale Abschlusskundgebung zu einem landesweit übertragenen Spektakel werden. Dass die Taliban von der Kampagne Imran Khans und seiner Partei »Pakistan Tehreek-e Insaf« (PTI) profitieren könnten, Khans Chancen auf einen Wahlsieg im kommenden Jahr zu steigen schienen, konnten weder Pakistans Präsident Asif Ali Zardari, noch die zahlreichen mit Khan verfeindeten Regionalpolitiker akzeptieren – allen voran aus den Reihen der mit Zardaris PPP verbündeten »Awami National Party« (ANP).
So wurde vor dem Marsch das Gerücht eines Anschlagsplans der Taliban auf Khan und drohender Selbstmordattentate verbreitet, um die Menschen von der Teilnahme abzuhalten. Imran Khan ist für die pakistanische Staatsführung gefährlich, unterläuft er doch deren Kerndoktrin, wonach man mit den Taliban nicht verhandeln könne. In ihrer Not griff die ANP-Führung auf eine Tragödie zurück, um gegen Khan zu polemisieren und die Gefahr durch die Islamisten zurück ins Gedächtnis der Menschen zu holen: Das brutale Attentat auf die 15-jährige Kinder- und Frauenrechtlerin Malala Yousafzai.
Sie war schon in den Jahren zuvor als Aktivistin bekannt und Politiker der ANP-Führung hatten genug Informationen über sie, die sie sofort nach dem Anschlag an die Medien übermittelten. Dies trug erheblich zur Popularität des jungen Mädchens bei. Im Großen und Ganzen war der Anschlag auf Malala ein gefundenes Fressen für die Medien, insbesondere im Ausland. Es lag vor allem im Interesse der pakistanischen Regierung und der USA, aus der Sache möglichst viel Profit zu ziehen.
Das Weiße Haus ist Imran Khan und seiner PTI kritisch gegenüber gestellt. Im Falle eines Sieges bei den im Frühjahr 2013 anstehenden Parlamentswahlen würden die USA vor dem Problem stehen, den wichtigsten Unterstützer für die eigene Drohnenpolitik zu verlieren. Ebenso würde die so drohende Schließung der Nachschubwege nach Afghanistan den Abzug bis 2014 erheblich erschweren. Seit dem Anschlag auf das Schulmädchen zeigen Regierungspolitiker auf allen Fernsehkanälen mit dem Finger auf Imran Khan und beschuldigen ihn, für die Tragödie mit verantwortlich zu sein. Sein Wahlsieg ist wieder in weite Ferne gerückt.
Hanan Habibzai wurde 1979 in der afghanischen Provinz Baghlan geboren. Nach dem Sturz der Taliban begann er als Korrespondent für Reuters und BBC in Nord-Afghanistan zu arbeiten. Hanan Habibzai gilt als einer der schärfsten Kritiker der ehemaligen Warlords und Kriegsverbrecher wie auch der Karzai-Regierung in seinem Heimatland.