Die Aberkennung eines Literaturpreises an die pakistanische Schriftstellerin Kamila Shamsie sorgte für einen Skandal. In dem Antisemitismus-Streit ging unter, welchen Beitrag andere Autorinnen aus Pakistan für die moderne Literatur geleistet haben.
Der Nelly-Sachs-Preis der Stadt Dortmund ist mit 15.000 Euro dotiert und sollte 2019 eigentlich an die pakistanisch-britische Schriftstellerin Kamila Shamsie gehen, die mit ihrem Roman »Hausbrand« (Hanser, 2018) auch in die deutschen Bestsellerlisten vorstieß. Doch Shamsie unterstützt öffentlich die BDS-Bewegung – und da begann der Ärger.
In Deutschland war die Aufregung groß angesichts der Taktlosigkeit, einer Schriftstellerin, die zum Boykott Israels aufruft, einen Preis zuzusprechen, der eng mit der Geschichte und Aufarbeitung des Holocaust verbunden ist. Daraufhin wurde Shamsie die Auszeichnung abgesprochen – und der Ärger ging weiter. In der London Review of Books kritisierten mehr als 250 Schriftsteller, darunter Noam Chomsky, Michael Ondaatje, Arundhati Roy, Ocean Vuong und Teju Cole, die Entscheidung der Dortmunder Jury und fragten, was ein Literaturpreis für Völkerverständigung wert sei, der das Recht einer Autorin untergrabe, sich für Menschenrechte und Redefreiheit einzusetzen.
Die Jury hatte mit ihrer Entscheidung am Ende alle verärgert und mit Wucht die Gräben aufgerissen zwischen einem deutschen Diskurs auf der einen Seite, der aus gutem historischen Grund die Bekämpfung des Antisemitismus priorisiert, und einem angelsächsischen Diskurs auf der anderen Seite, der aus den Erfahrungen des Kolonialismus heraus vorgeblich westlichen Imperialismus und Rassismus als Urübel ausgemacht hat, das sich nun in der israelischen Siedlungspolitik widerspiegele. Und dafür aus einem anderen Erfahrungshorizont heraus ebenfalls gute historische Gründe haben mag. So unterlief die Jury ihr Ansinnen, Brücken zu bauen und Gräben zu überwinden, auf geradezu tragikomische Art und Weise.
Die Grande Dame
Bapsi Sidhwa
Alter: 83
Herkunft: Karatschi/Houston
Bestes Buch: »Cracking India« / »Ice Candy Man« (Deutsche Fassung: Edition Rororo, List Verlag München, 1990, 24 Euro)
Sidhwa entstammt der Parsen-Gemeinde Karatschis und verlebte eine durchaus privilegierte, wenn auch turbulente Kindheit. Mit zwei Jahren erkrankte sie an Polio, wenig später erlebte sie die indische Teilung im Punjab.
Sidhwa verarbeitete diese Erfahrung in dem Roman »Cracking India«, zuerst als »Ice Candy Man« veröffentlicht, die den Schrecken der Teilung in der damals kosmopolitischen Metropole Lahore in drückenden Präsenzsätzen unmittelbar anschaulich macht und nebenbei Themen wie sexuelle Befreiung, Trauma und Verrat aus weiblicher Perspektive in den Blickpunkt rückt.
Erst im November 2019 setzte die BBC das Buch auf eine Liste der einflussreichsten Romane. Dabei ist es nicht das einzige lesenswerte Werk Sidhwas. Auch »Water« (2006) sowie die parsische Familiensaga »The Crow Eaters« (1978) begründen Sidhwas Stellung als eine der Pionierinnen englischsprachiger Literatur in Pakistan, die literarischen Popstars wie Mohammed Hanif oder Mohsin Hamid den Weg bereitete.
Die Streitbare
Fatima Bhutto
Alter: 37
Herkunft: Karatschi, geboren in Kabul, aufgewachsen in Damaskus
Bestes Buch: »The Runaways« (Englisch: Viking, New York, 432 Seiten, 16,50 Euro; deutsche Fassung bislang nicht geplant)
Neben den Kennedys dürfte es schwierig werden, auf der Welt eine Politikerdynastie von solchem Glanz wie die Bhuttos zu finden. Zwei Premierminister, Fatimas Großvater Zulfiqar und ihre Tante Benazir, stellte die Familie. Beide avancierten aufgrund einer attraktiven Mischung aus Charisma, intellektuellem Esprit und Streitbarkeit zu Galionsfiguren der globalen Linken, ehe sie eines unnatürlichen Todes starben.
Die nicht minder charismatische Tochter von Benazir Bhuttos Bruder Murtaza wurde im Exil in Kabul geboren und wuchs dann im Exil in Damaskus auf, bevor sie mit der Wahl Benazir Bhuttos zur Premierministerin nach Pakistan zurückkehren konnte. Doch dann starb Murtaza unter nie ganz geklärten Umständen im Familiensitz der Familie.
Es war diese Geschichte, die Fatima in ihrem Roman »Songs of Blood and Sword« (2010), in einer fesselnd geschriebenen, aber umstrittenen, weil ihren durchaus komplexen Vater verklärenden Abrechnung mit Tante Benazir verarbeitete.
Galt Fatima angesichts dieses Werks und mehreren zehntausend Followern bei Instagram einigen Kritikern eher als literarisches Leichtgewicht, konnte sie spätestens mit dem klugen Roman »The Runaways« (2019) vollends überzeugen.
Das raffiniert aufgebaute Buch folgt drei jungen Menschen unterschiedlicher Herkunft, die sich einer an den IS angelehnten Gruppe anschließen, und nimmt sich dabei sperrigen Themen wie Klassenunterschiede, postkoloniale Identitätskonflikte und patriarchale Rollenbilder als Auslöser persönlicher Radikalisierung an, ohne dabei Witz und erzählerische Leichtigkeit einzubüßen.
Auch ihr jüngstes Sachbuch »New Kings of the World: Dispatches from Bollywood, Dizi and K-Pop« (2019) weiß als Erkundung des globalen Siegeszuges nicht westlicher Popkultur zu überzeugen. Dabei drängt sich vor allem eine Frage auf: Sind die mannigfaltigen Begabungen dieser schrecklich talentierten Familie nicht vielleicht einfach besser in der Literatur aufgehoben als in der Politik?
Die Radikale
Sara Suleri
Alter: 66
Herkunft: Karatschi/Lahore/New Haven
Bestes Buch: »Meatless Days« (Englisch: 2018, Neue Auflage mit Vorwort von Kamila Shamsie, Penguin, New York, 192 Seiten)
Die Tochter des einflussreichen konservativen Politikers Ziauddin Ahmad Suleri und einer walisischen Englischlehrerin wuchs in behüteten Verhältnissen in Lahore auf und wanderte für die Dissertation in die Vereinigten Staaten aus, wo sie schnell Karriere machte und zur Professorin für Englische Literatur an der Universität Yale berufen wurde.
Suleri hat nur wenige Bücher veröffentlicht, doch besonders zwei Werke festigten ihren Ruf als radikale Dekonstruktivistin und literarische Vordenkerin der postkolonialen Theorie. Einmal »Meatless Days« (1989), eine auf ihre Jugend in Pakistan aufbauende Biografie, die persönliche und nationale Geschichte kunstvoll miteinander verknüpft. Zum anderen »The Rhetoric of English India« (1992), eine auf Homi Bhabha, Edward Said und Jacques Derrida aufbauende literaturkritische Abhandlung zur Nutzung der englischen Sprache im Kontext des indischen Subkontinents.
Klingt komplex und ist es auch. Allerdings auch wegweisend für eine ganze Generation postkolonialer Schriftsteller, die sich seit der Veröffentlichung des Buches Anfang der 1990er aufgemacht haben, sich die Sprache der ehemaligen Kolonialmacht anzueignen, um eigene Geschichten zu erzählen.