China nimmt sich den Nahen Osten vor und verspricht mit gigantischen Bauprojekten Wohlstand und Handel für alle. Aber Schulden und politische Instabilität könnten am Ende chinesischen Interessen schaden.
Kilometerlange Strände, idyllische Berg- und Wüstenlandschaften und eindrucksvolle historische Stätten – der Oman hat das Image, das beschaulichste arabische Land zu sein. Im kleinen Fischerdörfchen Duqm hat eine neue Realität Einzug gehalten: anhaltender Baulärm, riesige Kräne und meterhohe Schilder, auf denen arabische und chinesische Schriftzeichen prangen.
Hier entsteht gerade eine omanisch-chinesische Freihandelszone mit imposanten neuen Hafenanlagen. Auch in anderen Teilen des Nahen Ostens sind chinesische Baufirmen und Konsortien am Bau von Kraftwerken, Staudämmen, Autobahnen, Hafenterminals und anderen Einrichtungen beteiligt. Im Hintergrund der Aktivitäten steht das zentrale ökonomische und geopolitische Großprojekt der chinesischen Führung unter Xi Jinping: Die »Belt and Road Initiative« (BRI), die häufig auch als Neue Seidenstraße bezeichnet wird.
Die Initiative sieht bislang Infrastrukturmaßnahmen mit einem bisherigen Gesamtvolumen von bis zu 1,1 Billionen US-Dollar vor – der Großteil des Geldes kommt direkt oder indirekt aus dem chinesischen Staatshaushalt. Das Projekt existiert bereits seit dem Jahr 2013 und in weiten Teilen Zentral- und Südostasiens sind seine Auswirkungen schon zu sehen.
Seit 2015 setzt Peking nun zunehmend auch auf Projekte in der arabischen Welt: Vor allem auf ökonomischer Ebene will Peking mit dem Vorhaben seinen Einfluss ausbauen. Der Fokus in der Region liegt hier auf zwei Korridoren, die von China nach Westen führen. Am weitesten ausgebaut ist bisher der sogenannte »China-Pakistan-Economic Corridor«, der über die chinesisch-pakistanische Grenze im Himalaya durch die umstrittene Provinz Kaschmir bis ans Arabische Meer führt.
Der zweite Korridor ist bislang nur durch größere Einzelprojekte sichtbar, nimmt aber bereits immer mehr Form an: Er verläuft von China und Zentralasien kommend über Iran, die Kaukasusstaaten bis in die Türkei und vernetzt damit wie die historische Seidenstraße die Räume des Nahen und Fernen Ostens.
Für die Partner im Nahen Osten sind chinesische Investoren insbesondere für schnelle und billigere Kredite für Großprojekte interessant
Da die Staaten des Nahen Ostens, insbesondere Iran und Pakistan, zentrales Bindeglied zwischen den großen Industrieräumen in Ost und West sind, erhalten sie neue Aufmerksamkeit und Avancen aus dem Reich der Mitte. China hat hier den Vorteil, dass es keine koloniale Vergangenheit hat und dass es trotz des sich verlangsamenden Wirtschaftswachstums und des Handelskrieges mit den USA weiterhin über Devisenreserven in Höhe von mehr als drei Billionen US-Dollar verfügt.
Für die Partner im Nahen Osten sind chinesische Investoren daher insbesondere für schnelle und zumeist auch billigere Kredite für Großprojekte interessant, da die Geldgeber aus China nur begrenzt nach ethischen oder ökologischen Standards fragen. Waren die Projekte der Chinesen in der Region bislang zunächst nur auf dem Papier existent, so hat Peking in den letzten beiden Jahren mit Investitionen von circa 200 Milliarden US-Dollar Tatsachen geschaffen.
Kein Schmuckstück und doch eine der Perlen der chinesischen BRI, lässt China im kleinem Fischerdorf Gwadar seit Jahren einen neuen Überseehafen bauen, der nicht nur die Transportstrecke zwischen den Ölfördergebieten der Golfregion und China um fast zwei Drittel verkürzt, sondern auch für die chinesische Marine neue Anlaufmöglichkeiten bieten soll.
So entstehen derzeit in Gwadar neue Terminals für Containerschiffe und LNG-Tanker, ein neuer Flughafen, der zugleich als Warenhub für chinesische Produkte dient, und schließlich die dazu gehörige Infrastruktur in Form einer neuen Autobahn, einer Pipeline nach Nawabshah in Zentral-Sindh und neue Schienenstrecken.
Darüber hinaus wurde Anfang des Jahres bekannt, dass Peking die Rechte erhalten hat, auf der Jiwani-Halbinsel nahe Gwadar – nach den Stützpunkten in Dschibuti und Nordafghanistan – eine dritte Auslandsbasis für das eigene Militär zu errichten.
China zementiert nicht nur im Süden Pakistans seine Macht am Indus, sondern will auch im Norden Präsenz zeigen. Von den 63 Milliarden US-Dollar, die China in den kommenden Jahren in Pakistan investieren will, werden bereits 33 Milliarden US-Dollar für den Bau neuer Energieanlagen am Tarbela-See in Nordpakistan und weiterer Kraftwerke in Islamabad, Karatschi und anderen Teilen des Landes investiert.
Will China seine Produktlieferung auf dem Landweg gen Westen nicht nur von Russland abhängig machen, so ist es auf die Zusammenarbeit mit einem Staat besonders angewiesen: Iran. Das Problem: Iran hat aufgrund jahrelanger Sanktionen einen enormen Nachholbedarf in Sachen Infrastruktur. Hier will Peking aushelfen, indem es im Rahmen der BRI massiv in neue Projekte investiert, die den eigenen Transportkorridor in die Türkei und nach Europa sichern sollen.
So arbeiten chinesische Bauunternehmen wie CMC auch (noch) in Kooperation mit deutschen Unternehmen wie Siemens an einer mehr als 1.000 Kilometer langen neuen Hochgeschwindigkeitstrasse zwischen Maschhad im Osten bis fast an die türkische und aserbaidschanische Grenze im Westen.
Für das Projekt hat Peking bislang Kredite in Höhe von fast vier Milliarden US-Dollar zugesagt, die die iranische Führung nur allzu gerne in Anspruch nimmt. Allein in Teheran haben chinesische Investoren fast zwei Milliarden US-Dollar in den Ausbau der Infrastruktur gesteckt.
So waren chinesische Investoren und Baufirmen maßgeblich an der Errichtung des Teheraner Metronetzes beteiligt. Doch auch im iranischen Energiesektor will China eine Rolle spielen. Etwa über die Modernisierung und den Umbau der teils veralteten Nuklearanlagen in Kooperation mit Russland. Zum anderen bemüht sich Peking, trotz der US-Sanktionen, auch im Öl- und Gasgeschäft neuen Einfluss zu gewinnen, indem es beispielsweise in der größten iranischen Raffinerie in Abadan neue Technologie im Wert von mehr als drei Milliarden US-Dollar mit einbringt.
Hier gereichen die US-Sanktionen den Chinesen sogar zum Vorteil, da westliche Konkurrenten, wie etwa der französische Öl-Multi Total, sich nach einem kurzen Intermezzo vom iranischen Markt widerwillig zurückziehen. Das bisherige chinesische Investitionsvolumen in iranische Projekte, das sich derzeit auf mehr als 53 Milliarden US-Dollar beläuft, wird wohl auch in den kommenden Jahren steigen, wodurch Pekings politischer Einfluss auch in Iran wachsen wird.
Während Iran und Pakistan bereits früh in die chinesischen Pläne der BRI miteinbezogen wurden, hatten die arabischen Staaten lange Zeit die Befürchtung, dass sie leer ausgehen würden. Doch seit mindestens drei Jahren prägen auch in der arabischen Welt neue chinesische Großprojekte in mehreren Wirtschaftssektoren das Bild der Region.
Anders als jedoch in Iran oder in Pakistan konzentrieren sich chinesische Unternehmen hier weniger auf den Ausbau des Infrastrukturnetzes als vielmehr auf den Energiesektor. Beispielhaft lassen sich hier das 8,6 Milliarden US-Dollar teure chinesisch-saudische Raffinerieprojekt im saudischen Yanbu nennen, das Hassan-Clean-Coal-Kraftwerk nahe Dubai, in das chinesische, saudische und emiratische Investoren bis zu 3,4 Milliarden US-Dollar stecken, und schließlich das Fao-Raffinerieprojekt im Südirak, wo China wiederum mit türkischen, emiratischen und iranischen Unternehmen bis zu 7,4 Milliarden US-Dollar investieren will.
Daneben tritt Peking als Partner für die saudische Zukunftsinitiative »Vision 2030« auf, in deren Rahmen chinesische Partner auch im Bereich der Solarenergie aktiv sind. Peking will seine Perlenkette auch auf der Golfhalbinsel und am Suezkanal weiter aufziehen. Und so entsteht im südomanischen Duqm die 2.000 Quadratkilometer große Sonderwirtschafszone mit eigenem Container- und LNG-Terminal.
In den integrierten »China-Oman Industrial-Park« hat Peking bereits über vier Milliarden US-Dollar gesteckt, insgesamt werden wohl Kosten im zweistelligen Milliardenbereich anfallen. Ebenso verhält es sich mit dem neuen Container-Umschlagsplatz im ägyptischen Suez, wo mithilfe chinesischer Investoren gerade erst der Suezkanal ausgebaut wurde und die chinesische Firma COSCO derzeit Anteile am lokalen Hafenbetreiber in Höhe von 20 Prozent hält.
Zur Freude der heimischen Machthaber unterstützt China auch Prestigeprojekte in der Region, die zwar nur kurzfristig den chinesischen Baufirmen nützen, jedoch langfristig Chinas Ansehen bei den Autokraten der Region stärkt. Neben dem chinesischen Engagement beim ägyptischen Hauptstadtprojekt »Neu-Kairo« oder dem saudischen Megastadt-Projekt »Neom« am Roten Meer zählt auch die Errichtung moderner Stadien zur WM 2022 in Katar zu solchen Prestigeprojekten.
Die Liste an chinesischen Investitionen scheint im Nahen Osten kaum mehr ein Ende zu nehmen. Auch in der Türkei, Afghanistan und den Kaukasusstaaten hat Peking Großprojekte an Land gezogen, wobei China stets drauf bedacht ist, politisch nicht anzuecken.
Anders als westliche Investoren, die zumeist auf ein sicheres Investitionsumfeld setzen, verteilen chinesische Institutionen ihre Kredite auch in Krisenregionen wie Syrien oder dem Nordirak, um sich eine bestmögliche Ausgangslage für den künftigen Wiederaufbau in diesen Regionen zu verschaffen.
Sowohl für China als auch für die regionalen und westlichen Partner bergen nicht nur diese unsicheren Investitionen Gefahren. Wenngleich es derzeit so scheint, als würde Peking quer durch Asien und Afrika mit Geld nur so um sich werfen, werfen bestimmte Aspekte der Initiative ein ambivalentes Licht auf Chinas Engagement. Erstens: Peking hat kein Geld zu verschenken. Sprich, die finanzielle Unterstützung fließt bei nahezu allen Projekten in Form von Krediten, die Peking jederzeit wieder einfordern kann.
So laufen bereits jetzt einige Partnerländer Chinas einer Schuldenfalle entgegen, aus der sie nur mit weiteren Zugeständnissen herauskommen können. So musste Sri Lanka aufgrund seiner drohenden Zahlungsunfähigkeit bereits den Großhafen in Hambantota für 99 Jahre an China abtreten, um weiterhin liquide Mittel zu erhalten. Andere Länder wie der Irak oder Angola wiederum begleichen bereits zu Beginn der Vertragslaufzeiten mit Peking ihre Rechnungen in Form von Öllieferungen.
Auch wenn China, wie im Falle einiger afrikanischer Staaten, mittlerweile symbolisch auf einen Teil der Rückzahlungen verzichtet, um einem Imageschaden vorzubeugen, steigt das Schuldenniveau bei nahezu allen Partnern innerhalb der BRI. Zweitens steht die Effizienz der BRI-Investitionen und die mögliche Gefahr eines künstlichen Baubooms im Raum.
Da die BRI auch dazu dient, chinesische Bauunternehmen zu stärken, ist die Initiative auf ein kontinuierliches Wachstum des Infrastruktursektors in den Partnerländern angewiesen. Problematisch ist hier vor allem die intransparente Vergabe von Baukonzessionen innerhalb der Projekte, bei denen zu mehr als 70 Prozent chinesische Firmen den Zuschlag bekommen, sowie die damit verbundene Korruptionsanfälligkeit der Aufsichtsorgane. Hinzu kommt die Tatsache, dass auch Projekte unterstützt werden, die kaum in das BRI-Gesamtkonzept passen und oftmals nicht einmal von Peking registriert wurden.
China bietet sich nicht nur als wirtschaftlicher, sondern auch als sicherheitspolitischer Partner in der Region an
Diese Schwachstelle hat mittlerweile auch die Führung unter Xi Jinping erkannt und will nach erneuter Kritik fortan auf mehr Nachhaltigkeit und Transparenz bei der Vergabe von Krediten und Projektgeldern achten, so zumindest die offizielle Linie.
Der dritte Aspekt ist sicherheitspolitischer Natur. Denn China schafft mit seiner BRI und dem Engagement in anderen Organisationen wie der »Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit« (SOZ) auch einen neuen Rahmen auf militärischer und strategischer Ebene. Neben den bislang drei bekannten extraterritorialen Militärstützpunkten in Afghanistan, Pakistan und Dschibuti zählen dazu auch eine Reihe an Militärkooperationen und Partnerschaften, die sich in gemeinsamen Truppenübungen und Rüstungslieferungen manifestieren.
So bietet sich China nicht nur als wirtschaftlicher, sondern auch als sicherheitspolitischer Partner in der Region an und schafft damit eine Alternative zum westlichen Bündnissystem. Die Folge ist in Zeiten einer weiteren Blockbildung am Golf eine noch heiklere politische Ausgangslage. Noch ist nicht abzusehen, ob Chinas Rolle weitere Konflikte in der Region anheizt oder ob nicht sogar neue diplomatische Initiativen durch Pekings Einwirken ermöglicht werden.
Für die europäischen Staaten ergibt sich aus dem wachsenden chinesischen Einfluss ein Dilemma. Auf der einen Seite will man wirtschaftlich an den gewinnträchtigen Großprojekten partizipieren und so bewerben sich auch europäische Unternehmen, selbst wenn die Auftragsvergabe noch so intransparent und ungleich ist.
Auf der anderen Seite verliert der Westen, insbesondere die USA und ihre Verbündeten, umso mehr an Einfluss, je stärker der chinesische Rückhalt in den BRI-Partnerländern wächst. Durch expandierende Organisationen wie die SOZ, in der Peking zusammen mit Moskau mit Abstand den größten Einfluss hat und die zunehmend auch Staaten des Nahen Ostens bis nach Ägypten miteinbezieht, wird diese Tendenz noch verstärkt.
Sanktionsmaßnahmen wie die der USA gegenüber Iran oder der politische Konflikt zwischen Ankara und Washington sind demnach äußerst kontraproduktiv, da diese Staaten umso stärker in die Arme Pekings getrieben werden und zugleich das westliche Druckpotenzial auf diese Staaten sinkt