Nach Jahren des Terrors hat sich die Sicherheitslage in Pakistan spürbar verbessert und die Tourismusindustrie wittert Morgenluft. Doch sind Mensch und Natur für einen Besucheransturm gewappnet?
Dünn ist die Luft am Babusar-Pass im Norden Pakistans. Der Pass bietet auf fast 4.200 Metern einen spektakulären Ausblick über die Ausläufer des Himalayas. Bei gutem Wetter lässt sich sogar die 50 Kilometer entfernte Spitze des Nanga Parbat erkennen. Der schneebedeckte Gipfel des Achttausenders erhebt sich majestätisch über das Gebirgspanorama.
Noch vor wenigen Jahren war hier nichts, außer einer schlecht asphaltierten Passstraße und einem einfachen Gipfelschild. Es bot den wenigen Reisenden, die sich hier verirrten, Orientierung. Heute herrscht am Babusar-Pass nahezu Volksfeststimmung. Ein Heer aus Geländewagen mit Nummernschildern aus Großstädten wie Karatschi, Islamabad oder Lahore staut sich auf der vereisten Passstraße. Aus zahlreichen Fressbuden tönen indische Schlager. Händler preisen lautstark Cola und frittiertes Fingerfood an. Kinder spielen im Schnee. Großfamilien aus dem Punjab hantieren für das perfekte Foto mit Selfiesticks gefährlich nah am steilen Abgrund.
Hier oben zeigt sich: Der Binnen-Tourismus boomt in Pakistan. Und der entlegene Babusar-Pass hat sich wie viele Gegenden im Norden des Landes innerhalb weniger Jahre zu einem Touristenhotspot entwickelt. Lange schien eine solche Entwicklung undenkbar. Die Sicherheitslage in Pakistan war derart angespannt, dass sich viele Menschen selbst in Städten kaum aus dem Haus wagten. An Familienausflüge in die Berge war nicht zu denken.
Die Sicherheitslage in Pakistan war derart angespannt, dass sich viele Menschen selbst in Städten kaum aus dem Haus wagten.
Gerade die Gegend um den Babusar-Pass landete in der Vergangenheit immer wieder wegen Anschlägen in den Schlagzeilen. 2012 stoppten bewaffnete Islamisten hier mehrere Linienbusse, zogen Passagiere mit schiitischen Namen heraus und exekutierten sie. Knapp 20 Menschen starben. Die Busse waren von Rawalpindi aus in die schiitisch geprägte Stadt Gilgit unterwegs. Der Babusar-Pass trennt die mehrheitlich sunnitische Provinz Khyber-Pakhtunkhwa von der mehrheitlich schiitischen Region Gilgit-Baltistan.
Wenige Monate vor diesem Zwischenfall hatte ein Mob in der nahegelegenen Stadt Chilas neun Schiiten aus einem Bus gezerrt und ermordet. Im Jahr darauf töteten sunnitische Extremisten aus Chilas im Nanga Parbat Base Camp mehrere ausländische Touristen und ihren pakistanischen Führer. Der Anschlag traf die nach 11. September 2001 ohnehin kriselnde Tourismusindustrie hart.
In der Region Swat war die Lage damals noch düsterer. Hier übernahmen die Taliban von 2007 bis 2009 die Kontrolle. Und hier schoss 2012 ein Taliban die damals fünfzehnjährige Schülerin Malala Yousafzai nieder. Doch selbst im malerischen Swat-Tal, von der Queen bei einem Besuch 1961 als »Schweiz des Ostens« geadelt, hat sich die Sicherheitslage zuletzt merklich verbessert. Auch der Tourismus zieht an. Nach Angaben der Lokalverwaltung besuchten 2018 bereits eine Million Touristen das Tal, größtenteils Pakistaner. Eine im Mai 2018 eröffnete Schnellstraße soll künftig noch mehr Besucher bringen.
Eine kleine Szene an westlichen Reisebloggern, Instagram-Influencern und Backpackern hat das Land bereits für sich entdeckt.
Während laut Angaben des »South Asia Terrorism Portal« im Jahr 2009 in ganz Pakistan über 11.000 Menschen pro Jahr in Folge von Terrorismus starben, waren es 2018 weniger als 700. Dieses Jahr könnte diese Zahl noch weiter sinken. Zudem profitiert das Land vom sogenannten Chinese-Pakistan Economic Corridor (CPEC) der bis 2030 umgerechnet 56 Milliarden Euro an Investitionen nach Pakistan einbringen soll, vor allem in den Energie- und Infrastrukturbereich. Neue Straßen entstehen selbst in den entlegensten Winkeln des Landes.
Trotz der Investitionen steckt die pakistanische Wirtschaft weiter in der Krise. Der Frieden sorgt nicht für den erhofften Boom. Die Wirtschaft wächst langsamer als überall sonst in Südasien. Erst im Mai musste die Regierung von Ministerpräsident Imran Khan beim Internationalen Währungsfond in Washington um einen Milliardenkredit bitten. Auch deshalb hat die Regierung nun den Tourismus als mögliche Einnahmequelle entdeckt. Der zuständige Staatsminister Zulfi Bukhari gilt als enger Vertrauter des Regierungschefs – ein Zeichen für die gestiegene Bedeutung des Tourismusressorts.
An Sehenswürdigkeiten mangelt es Pakistan in jedem Fall nicht. Gleich fünf der vierzehn höchsten Berge der Welt befinden sich im Norden des Landes. Zudem böten Weltkulturerbestätten der Indus-Kultur wie Mohenjo Daro oder die alte Mogul-Hauptstadt Lahore reichlich Möglichkeiten zur touristischen Entwicklung. In den 1970er Jahren war Pakistan zu Hochzeiten des Hippie-Trails ein beliebtes Ziel für Aussteiger. Dann kam der Crash im Jahr 2001. Zuletzt stiegen die Zahlen aber wieder im zweistelligen Bereich. Schon heute trägt der Tourismus, je nach Quelle, zwischen knapp unter 1 und 2,9 Prozent zur pakistanischen Wirtschaft bei. Die Regierung träumt sogar schon von 5 Millionen Touristen bis 2022.
Staatsminister Zulfi Bukhari hat vor allem wohlhabende Exil-Pakistaner im Blick: »Bisher fahren sie für Hochzeiten oder Familienbesuche nach Pakistan, reisen aber nicht durchs Land,« so Bukhari im Gespräch mit zenith. Aber auch ausländische Touristen seien gern gesehen: »Pakistan hat so viel zu bieten, von den unberührten Stränden im Süden bis zu den atemberaubenden Gebirgslandschaften im Norden.«
Im Mai führte die pakistanische Regierung für die Staatsbürger von 182 Ländern vereinfachte elektronische Visa ein, darunter auch Deutschland. Die Bundesrepublik gehört – zumindest in der Theorie – auch zu jenen 50 Ländern, deren Bürger unter bestimmten Vorrausetzungen »Visa on Arrival« (VOA) erhalten können. Zudem schaffte die Regierung die bisher für Ausländer notwendigen Sondergenehmigungen für Reisen in entlegene Provinzen bis auf wenige Ausnahmen ab.
»Das größte Problem ist die Umweltverschmutzung«
Von den offiziell 1,7 Millionen Ausländern, die 2017 nach Pakistan reisten, waren laut Bukhari die große Mehrheit Auslandspakistaner auf Heimatbesuch. Doch eine kleine Szene an westlichen Reisebloggern, Instagram-Influencern und Backpackern hat das Land bereits entdeckt. Influencer wie Eva zu Beck oder Alex Reynolds erreichen mit Posts von einsamen Tälern oder malerischen Bergseen zehntausende Follower.
Doch obwohl sich die Sicherheitslage mittlerweile verbessert hat, warnt beispielsweise das Auswärtige Amt noch immer ausdrücklich vor Reisen in weite Teile Pakistans – etwa in die Provinz Khyber-Pakhtunkhwa, in der viele Touristenziele liegen. Und auch viele Pakistaner selbst machen sich Sorgen.
»Pakistan ist noch nicht bereit für den Touristenboom«, sagt die Aktivistin und Videojournalistin Khaula Jamil. Ländliche Gebiete seien kulturell nicht auf Besucher – ob pakistanische Städter oder Ausländer – eingestellt. Touristen würden zum Beispiel unbedarft Fotos von Frauen machen und mit ihrem Verhalten die Harmonie konservativer ländlicher Gemeinschaften stören. Ein behutsamer Ansatz sei nötig, doch stattdessen setze die Regierung auf Massentourismus.
»Das größte Problem ist aber die Umweltverschmutzung«, sagt Jamil. Der Tourismus vermülle die Bergregionen. Auf Twitter kursieren Bilder, die Berge von Plastikmüll in bis vor kurzem abgelegenen Regionen zeigen. »Es gibt da oben bisher keine Infrastruktur für Müllentsorgung«, so Jamil. In ökologischen Hotspots wie Murree, Nathia Gali oder Naran haben wild gebaute Hotels und Umweltverschmutzung durch die Abfälle den sensiblen Naturraum schon nachhaltig gestört.
Staatsminister Bukhari ist sich der Probleme bewusst. Sondertourismuszonen sollen die negativen Folgen durch eine Bündelung von Kompetenzen und einheitliche Planung abmildern. Allerdings begrenzt sich das Engagement der Regierung – wie so oft in Pakistan – auf die Regionen des Landes, in denen die Regierungspartei PTI besonders stark verankert ist.
Die bekannte Umweltschützerin Uzma Khan sieht es trotzdem positiv, dass wieder mehr Touristen kommen. Denn durch den Boom würden in armen Gegenden neue Jobs geschaffen und es entstehe ein größeres Problembewusstsein für Umweltschutz. »Wir brauchen echten Ökotourismus«, meint Khan. »Zwei Faktoren sind wichtig: Ökologische Nachhaltigkeit und neue Jobs für die Menschen in den betroffenen Gemeinden.« Zukunftsthemen wie Solarenergie und Müllentsorgung stünden nun immerhin auf der Agenda.
Bleibt zu hoffen, dass die einmaligen Naturschätze nicht weiter in Mitleidenschaft gezogen werden, bevor der erhoffte Tourismusboom so richtig losgehen kann. Die eindrucksvolle Berglandschaft um den Babusar-Pass könnte dann endlich wieder für positive Nachrichten sorgen.