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Razzien gegen Homosexuelle in Ägypten

Empörung als Ablenkungsmanöver

Analyse

Razzien gegen Homosexuelle sind keine Neuheit in Ägypten – häufen sich jedoch in den letzten Monaten auffällig. Sollen sie von der Brutalität von Ägyptens wiedererstarktem Polizeistaat ablenken?

Ein Badehaus in Kairos Innenstadt Anfang Dezember. Die Reporterin Mona El-Iraqi und ihr Kamerateam sind angereist, um »mit Bildern das größte Nest von Gruppenperversion im Herzen Kairos aufzudecken«. Als der Besitzer ihr und den Kameraleuten den Eintritt verwehrt, ruft sie die Polizei, die mit einem Großaufgebot anrückt und alle Gäste des Badehauses verhaftet. Mona El-Iraqi filmt, wie die Männer nackt und teils gefesselt von der Polizei abgeführt werden.

 

Und wieder einmal sorgt Ägypten für Schlagzeilen mit einer Razzia in einem Badehaus, das bekannt ist als Treffpunkt für Homosexuelle. Es ginge ihr nur darum, aufzudecken wie Aids in Ägypten verbreitet wäre, verteidigt sich die Moderatorin später. Obwohl die breite Öffentlichkeit Homosexualität ablehnend bis feindlich gegenüber steht, ist sie in den Augen vieler Menschen zu weit gegangen.

 

Ihr Leben und das ihrer Familien seien durch die öffentliche Zurschaustellung unwiederbringlich zerstört, obwohl überhaupt nicht bewiesen ist, dass es sich bei den Verhafteten tatsächlich um Homosexuelle handelt. Selbst wenn, so wäre das allein in Ägypten nicht strafbar. Ein explizites Verbot von homosexuellen Handlungen gibt es nämlich nicht, dafür dienen oft Strafbestände wie Verstoß gegen die öffentliche Moral, ausschweifende Handlungen oder Prostitution zur Verhaftung von Homosexuellen – die oft in den Medien ausgeschlachtet werden.

 

Die 26 Männer wurden dann forensischen Untersuchungen unterzogen – eine beweistechnisch völlig nutzlose, wohl aber sehr demütigende Praxis. Überraschung: bei der Mehrheit konnte nicht nachgewiesen werden, ob sie Geschlechtsverkehr hatten. Trotzdem wurden sie am 21. Dezember 2014 angeklagt, ein Urteil steht noch aus.

 

Der Menschenrechtsanwalt Mohamed Bakir stellt fest, dass die Zahl der Festnahmen von Homosexuellen seit dem Sturz Muhammad Mursis im Juli 2013 stark zugenommen hat. »Ich habe keine Erklärung dafür, aber allein 2014 gibt es etwa 20 ähnliche Fälle«, so Anwalt Bakir. Der letzte öffentlich bekannte war die Verurteilung von acht Männern zu drei Jahren Haft wegen »ausschweifenden Handlungen«, nachdem ein Video von ihnen über soziale Medien verbreitet wurde, auf dem angeblich eine homosexuelle Hochzeitszeremonie abhalten.

 

Die Angeklagten  und ihre Familien bestritten die Vorwürfe, es sei lediglich eine Geburtstagsfeier gewesen. Die Männer gingen in Revision und konnten so das Strafmaß auf ein Jahr verringern. Auch online geht die Staatsgewalt seit Neustem mit Scheinprofilen auf Webseiten oder Dating-Apps auf die Suche nach Homosexuellen. Möchte das Regime Sisi, das die Muslimbrüder von der Macht vertrieb, sich als islamischer als die Islamisten präsentieren?

 

Dafür spricht auch, wie  der Präsident öffentlich seine Religion praktiziert und sich etwa gern beim Freitagsgebet filmen lässt. Langzeitdiktator Mubarak, mit dem sich Sisi nicht in eine Reihe stellen möchte, galt vielen Ägyptern als zu säkular, zu seinen Zeiten hatten die Muslimbrüder die öffentliche Moral auf ihrer Seite. Mit öffentlichen Schauprozessen gegen »moralische Übertretungen« möchte Sisi wohl zeigen, dass er die »nationale Moral« verteidigt.

 

Gleichzeitig lenkt die Causa natürlich auch von anderen Baustellen ab und übertüncht die Schieflagen im Justizwesen. Da stehen auf der einen Seite Hosni Mubarak, seine korrupten Söhne und sein Sicherheitsapparat, die überwiegend ungeschoren davonkommen. Auf der anderen Seite müssen viele Anhänger der entmachteten Muslimbruderschaft, vor allem aber auch die Protagonisten der Revolution auf Grundlage zweifelhafter, politisch motivierter Prozesse hohe Haftstrafen fürchten oder sitzen bereits im Gefängnis.

Von: 
Victoria Tiemeier

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