Lesezeit: 7 Minuten
Iran, Trump, und der mögliche Krieg nach dem Rückzug aus dem Atomabkommen

Die Eskalation

Kommentar
Kolumne Daniel Gerlach

Ein Szenario, wie es zu einem Angriff auf Iran kommen könnte. Auch wenn das angeblich niemand will.

»Eskalation« ist ein Begriff, der in der zurückliegenden Woche in Schlagzeilen und TV-Nachrichten zu lesen und zu hören war. Er ist einigermaßen unkonkret: Eine Situation verschlechtert und verschärft sich, ein Wort ergibt das andere, es kommt zum Handgemenge. Und irgendwer tut dann, was er eigentlich nicht tun wollte.

 

Gewiss denken die Verantwortlichen derzeit hin und wieder an den Oktober 1983. Irans Präsident Hassan Ruhani saß damals im Nationalen Sicherheitsrat. Die Islamische Republik hatte kurz vorher das Blatt im Iran-Irak-Krieg gewendet und Boden gutgemacht – um den Preis einer Massenoffensive, die hunderttausende Verluste brachte und gegen die Saddam Hussein Giftgas aus Helikoptern abwerfen ließ. Donald J. Trump hatte gerade zum wiederholten Mal die Eröffnung seines Trump Tower gefeiert und ging vermehrt mit Größen der New Yorker Halbwelt zu Tisch. Und John Bolton, von dem man später noch oft hören sollte – unter anderem wegen Behinderung der Justiz in der Iran-Contra-Affäre – bekleidete seit kurzem einen Führungsposten im Nationalen Komitee der Republikanischen Partei.

 

Am Morgen des 23. Oktober 1983, um 6:22 Uhr, durchbrach ein Selbstmordattentäter mit einem Lastkraftwagen die Sperre zum Quartier amerikanischer Marineinfanteristen in der Nähe des Flughafens Beirut. Er zündete eine Ladung von – wie Forensiker später schätzten – rund einer Tonne Sprengstoff und tötete 241 Amerikaner. Es war der verlustreichste Tag für die Marines seit dem Pazifikkrieg 1945, ausgeführt von einer Gruppe mit dem recht generischen Namen »Islamischer Dschihad«. Nach Überzeugung amerikanischer Ermittler wurde diese Zelle von den Netzwerken einer später als Hizbullah bekannten Organisation geführt und von Syrien und Iran unterstützt. Wenige Monate später zogen die Marines, deren »Präsenz« im Libanon ohnehin nie durch eine klare Mission definiert war, aus Beirut ab.

 

Bolton, Vizepräsident Mike Pence und auch Außenminister Mike Pompeo haben seitdem keine Gelegenheit ausgelassen, um das Gedenken an den 23. Oktober 1983 zum Anlass zu nehmen, ihre Haltung gegenüber Iran zu untermauern:

 

Gewiss hatte US-Außenminister Mike Pompeo ein solches Szenario im Sinn, als er in der zurückliegenden Woche seinen Termin in Berlin absagte und nach Bagdad reiste, um sich dort mit dem Ministerpräsidenten, dem Präsidenten und anderen Verantwortlichen zu treffen. Angeblich hatten die US-Nachrichtendienste konkrete Informationen über Anschlagspläne pro-iranischer Milizen, welche laut amerikanischen Medienberichten allerdings »aufgeblasen« wurden.

 

Wie nun, obwohl angeblich keiner der Beteiligten eine Krieg anfangen will, könnte die »Eskalation« vonstattengehen?

 

Einer oder mehrere mit Sprengstoff beladene Lkw auf einen US-Konvoi, eine Basis im Irak, in Nordostsyrien oder der Militärbasis Tanf. Eine dschihadistische Organisation, etwa der »Islamische Staat«, dessen Kalif erst neulich ein von seinen Anhängern mit Sehnsucht erwartetes Lebenszeichen von sich gegeben hat, reklamiert das Attentat für sich. Sie könnte tatsächlich dahinterstecken – mit dem Ziel, den Untergang des Nahen Ostens, mit dem sie ohnehin in Kürze rechnet, etwas zu beschleunigen.

 

Die US-Dienste aber vermuten iranische Handlanger dahinter. Und vielleicht haben sie dafür auch Indizien. Teheran dementiert, gibt aber zugleich bekannt, dass man sich von amerikanischen Lügen und Drohungen nicht einschüchtern lassen werde. Und dass man auf jede militärische Provokation mit gleicher Münze reagieren wolle. John Bolton, Trumps Nationaler Sicherheitsberater, der seine letzte Chance nutzen will, um Weltgeschichte zu machen, interpretiert die wacklige Beweislage in einem für ihn günstigen Sinne.

 

Über Nacht feuern amerikanische Schlachtschiffe im Persischen Golf eine Salve Tomahawk-Raketen auf eine Basis der Revolutionsgardisten in Iran, die ja seit April 2019 in Washington als »Foreign Terrorist Organisation« gelten.

 

Präsident Trump war von dem Plan zunächst nicht begeistert, aber er ist übernächtigt und gereizt. Der Kongress hat nach dem Drama um den Mueller-Report, der ihn, Trump, eben nicht entlastete, nicht lockergelassen. Einer seiner Söhne wird vor einen Untersuchungsausschuss geladen. Der Tarifstreit mit China ist ein Misserfolg, und nun brechen Nachrichten herein, die ihn als Pleitier und Hochstapler bloßstellen. Außenpolitisch ist die Lage misslich: In Venezuela geht es nicht voran, da hat Bolton wohl zu viel versprochen. In Syrien schaffen Russland und das Regime weiterhin Tatsachen, auch wenn die Russen Trump vielleicht versprochen haben, dass sie zumindest das iranische Problem langfristig lösen, wenn man ihnen freie Hand gibt. Alles in allem nothing to tweet home about.

 

Bolton lässt Trump neuen Mut fassen und zeigt einen Weg auf, wie man das Notwendige mit dem Angenehmen verbindet: Durch eine militärische Intervention im Ausland lässt sich die Aufmerksamkeit von Medien und Politik in eine andere Richtung lenken. Das Manöver mag durchschaubar sein, es funktioniert trotzdem fast immer. Was zudem die meisten Analysten übersehen: Ein Staatschef muss kein kaltschnäuziger Taktiker sein, um zu handeln. Wer sich solchem Stress und solchen Anwürfen ausgesetzt sieht wie Trump, könnte zu der Überzeugung kommen, dass das Schicksal ihn berufen hat: Ihr alle könnt mich mal und werdet sehen, dass ich dieses Mal nicht bluffe.

 

Bevor die Tomahawks losfliegen, hat Trump Bolton noch ein letztes Mal gefragt, wie die Iraner wohl reagieren werden. Daneben sitzt schweigend der geschäftsführende Verteidigungsminister, ein gewisser Patrick Shanahan, an dessen Namen sich Trump in diesem Augenblick aber nicht erinnert. Es ist Boltons Stunde und er lässt keine Zweifel erkennen: Wie sollen sie schon reagieren? Auf dem offenen Feld haben sie der US-Feuerkraft nichts entgegen zu setzen. Sie werden tun, was auch das syrische Regime getan hat, nach dem Schlag gegen den Militärflughafen in Schairat im Frühjahr 2017. Entweder gar nicht oder mit Drohungen oder der Versicherung, man werde irgendwann Vergeltung üben. Zum geeigneten Zeitpunkt, den man selbst bestimme. Das iranische Volk, so fügt Bolton noch hinzu, werde sehen, dass seine Führung aus Maulhelden bestehe. Und sich schon irgendwann erheben.

Von: 
Daniel Gerlach

Banner ausblenden

Die neue zenith 02/2022 ist da: Reise zum Mittelpunkt der Erde

Reise zum Mittelpunkt der Erde

Die neue zenith ist da: mit einem großen Dossier zur Region Persischer Golf und überraschenden Entdeckungen. Von Archäologe über Weltpolitik und Wattenmeer zu E-Sports und großem Kino.

Banner ausblenden

Newsletter 2

Der heiße Draht

Frische Analysen, neue Podcast-Folgen, exklusive Einladungen zu Hintergrundgesprächen und Werkstattberichte: Jeden Donnerstag erhalten tausende Abonnenten den zenith-Newsletter. Sie  wollen auch auf dem Laufenden bleiben? Dann melden Sie sich hier kostenlos an.

Banner ausblenden

WM Katar

So eine WM gab es noch nie

Auf 152 Seiten knöpfen sich Robert Chatterjee und Leo Wigger alle wichtigen Fragen rund um die erste Fußball-WM in einem arabischen Land vor.