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Atomstreit mit Iran und Kriegsgefahr im Nahen Osten

Geschichte wiederholt sich nicht (als Farce)

Kommentar
Parade in Teheran zum Jahrestag der Revolution in Iran
Raketenabwehrsysteme auf dem Ausstellungsgelände sollen die Verteidigungskapazitäten der iranischen Streitkräfte demonstrieren. Foto: Farhad Babaei

2003 stürzten sich die USA in einen verheerenden Krieg. Wiederholt Washington nun die Fehler der Bush-Ära oder ist im Atomstreit mit Iran der Vergleich mit dem Irak-Krieg übertrieben?

Das in den Medien gerne verwendete »Säbelrasseln« trifft es bei weitem nicht mehr, auch die »Drohkulisse« klingt zu sehr nach Theater. Tatsächlich befindet sich ein amerikanisches Flugzeugträgergeschwader bereits auf dem Weg in den Persischen Golf, das Pentagon stellt militärische Planungen für den Einsatz von 120.000 Soldaten an, das US-Außenministerium hat den Abzug von diplomatischem Personal aus Irak veranlasst. Iran hat seinerseits Teile des Atomabkommens von 2015 aufgekündigt und gedroht, das für den Bau einer Atombombe nötige Uran stärker anzureichern, wenn seine Forderungen nach mehr Handel nicht erfüllt werden. Gleichzeitig wurden Anschläge gegen saudische Tanker und Ölinfrastruktur am Golf verübt.

 

Nach ein paar Tagen erschrockener Ruhe auf allen Seiten setzte US-Präsident Trump am vergangenen Sonntag einen Tweet ab, in dem er Iran offen mit Auslöschung droht. Stimmt es überhaupt noch, dass – wie beide Seiten betonen – keiner einen Krieg will? Oder welches »Spiel« wird hier gespielt?

 

Was als Kampagne des »maximalen Drucks« mit dem Rückzug der USA aus dem Atomabkommen im Mai 2018 begann, hat sich mittlerweile zu einem vollwertigen wirtschaftlichen Würgegriff ausgeweitet. Iran ist von den internationalen Finanzinstitutionen und seinen Exporteinnahmen abgeschnitten, seit Washington Anfang des Monats auch die letzten Öl-Waiver einkassierte, die es zuvor acht Ländern zur Stabilisierung der Weltmärkte gewährt hatte. Die US-Regierung erklärte die Revolutionsgarden zu einer terroristischen Vereinigung, was sämtliche Kontakte zu dieser Elitearmee, aber auch zu deren umfangreichen Firmenverbindungen untersagt. Zuletzt sanktionierte sie auch Irans beschäftigungsintensive Stahl-, Kupfer- und Eisenindustrie – offenbar will Washington nicht nur dem Regime den Geldhahn zudrehen, sondern auch soziale Unruhen im Land auslösen.

 

Hinzu kommt nun die plötzliche Verlagerung massiver militärischer Mittel in die Region: Neben dem Flugzeugträger USS Abraham Lincoln wurde auch eine Staffel von B-52-Bombern nach Katar entsandt. US-Sicherheitsberater John Bolton will dies als »eine klare und unmissverständliche Botschaft an das iranische Regime« verstanden wissen, dass die USA zum Einsatz »unnachgiebiger Gewalt« bereit wären. Zwar wurde schnell deutlich, dass der Trägerverband im Rahmen einer regulären Stationierung sowieso in den Persischen Golf gesegelt wäre. Doch sorgte das Umdeuten durch den »Falken« Bolton von einer planmäßigen Mission in eine Reaktion auf die vermeintlich gestiegene iranische Bedrohung zusammen mit den anderen Maßnahmen für erhebliche Unruhe, sowohl in der Region als auch in Washington selbst.

 

Kommt 16 Jahre nach dem Sturm auf Bagdad nun der Angriff auf Teheran?

 

Dieses »Drehbuch« kommt nicht nur Journalisten in der amerikanischen Hauptstadt bekannt vor, sondern sorgt auch Politiker auf demokratischer sowie republikanischer Seite: Ein missliebiges Regime, das seine Bevölkerung unterdrückt und auf immensen Öl- und Gasreserven sitzt; auf Geheimdienstinformationen beruhende Erkenntnisse, denen Verbündete (wie der britische General und stellvertretende Kommandeur der internationalen Anti-IS-Koalition in Irak) offen widersprechen; und schließlich John Bolton, der noch keinem Konflikt begegnet ist, den er nicht militärisch lösen wollte, als Einflüsterer eines unerfahrenen Präsidenten – all das klingt wie der Vorlauf zur amerikanischen Invasion des Irak 2003.

 

Doch ist das nicht ein bisschen zu einfach? Tatsächlich hinkt der Vergleich mit 2003 beim näheren Hinsehen, zumal mit Blick auf Teheran.

 

Denn während der irakische Diktator Saddam Hussein seinerzeit angesichts des militärischen Druckaufbaus Zugeständnisse machte und den UN-Inspekteuren nach und nach mehr Raum gewährte, löst das aktuelle Handeln der USA in Iran eher Abwehrreaktionen aus. Zwar hat sich Teheran nach wiederholter Prüfung durch die Internationale Atomenergieorganisation (IAEA) bislang an die Vereinbarungen des Abkommens gehalten. Doch gab die iranische Führung nunmehr zum Jahrestag des Rückzugs der USA aus dem Deal bekannt, dass sich das Land an einzelne Bestimmungen desselben nicht mehr halten werde.

 

Die genannten Beschränkungen – es geht um die im Land verbleibenden Bestände von Schwerem Wasser und schwach angereichertem Uran – scheinen sorgfältig ausgewählt, um gerade keine harsche Reaktion der internationalen Gemeinschaft hervorzurufen. Denn zum einen sind diese beiden Materialien nicht direkt militärisch relevant. Zum anderen wird es bei regulärer Produktion noch einige Zeit dauern, bis Iran die im Abkommen festgelegten Grenzwerte überschreiten würde, wie die Zahlen im jüngsten IAEA-Bericht von Februar 2019 zeigen.

 

Die trotzige Erklärung scheint sich daher hauptsächlich an ein inländisches Publikum zu richten. Nachdem die Regierung ein Jahr lang ihre Verpflichtungen trotz Washingtons Verletzung des Deals und des zunehmenden wirtschaftlichen Drucks einhielt, demonstriert sie nun auch die gerade von den Hardlinern eingeforderte Widerstandskraft.

 

Das Ende von Teherans selbsterklärter »Geduld« begleitete allerdings auch ein Ultimatum an die anderen Nuklearpartner, binnen 60 Tagen den Ölhandel sowie Finanztransaktionen wieder zu ermöglichen. Bleibe dies aus, so Präsident Hassan Ruhani in seinem Brief an die Regierungen von Großbritannien, China, Frankreich, Deutschland, Russland sowie die EU, werde Iran eine höhere Anreicherung von Uran beginnen. Dies wäre ein wichtiger Schritt zur Waffenfähigkeit und somit eine ernste Eskalation.

 

Die Europäer spüren den Druck und fühlen sich machtlos

 

Die EU lehnte die von Iran gestellten Bedingungen umgehend ab, bekräftigte aber ihr anhaltendes Engagement für den Deal selbst. Die militärischen Vorbereitungen Washingtons wiederum verursachten in den europäischen Hauptstädten große Sorge, wie die 28 EU-Außenminister bei einem Treffen in Brüssel ihrem ungebeten erschienenen US-Kollegen, Mike Pompeo, in seltener symbolischer Einigkeit kundtaten. Sie drängten auf »maximale Zurückhaltung«, um die Krise nicht weiter eskalieren zu lassen.

 

Gleichwohl wird es der EU sehr schwerfallen, die von Iran geforderten Handels- und Bankenkanäle zu öffnen. Mit der Tauschbörse INSTEX haben die Europäer bereits ein Instrument geschaffen, das den Handel mit humanitären Gütern wie Lebensmitteln und Medikamenten ohne internationale Finanztransaktionen ermöglichen soll. Doch dieses Vehikel muss erst noch nach europäischen Standards und unter Berücksichtigung internationaler Finanzregeln einsatzfähig gemacht werden. Selbst dann stünde es beispielsweise nicht für iranische Ölverkäufe nach China zur Verfügung und dürfte kaum die großen multinationalen Firmen ins Iran-Geschäft zurückholen.

 

Sollte Teheran entscheiden, dass seine Bedingungen mit Blick auf Handel und Zahlungsverkehr nicht erfüllt sind und deshalb Uran stärker anreichern, wäre das Atomabkommen am Ende – und mit ihm wahrscheinlich auch die Diplomatie. Denn eine solche Verletzung können die Europäer nicht dulden, während Israel gemeinsam mit den arabischen US-Verbündeten offen über einen Militärschlag gegen die neuerliche »nukleare Bedrohung« nachdenken würde. Auch wenn das akute Kriegsgeheul abnehmen sollte, stünde nunmehr ein signifikanter Bruch des Abkommens durch Iran im Raum.

 

Entsprechend hoch ist der Druck auf die EU und ihre Mitgliedstaaten, gemeinsam mit China und Russland ein Minimum an Handelsbeziehungen mit Iran zu ermöglichen. Die jüngsten Sabotageakte gegen Öltanker im Persischen Golf und auf saudische Pipelines unterstreichen dabei nur die Brisanz der Lage. Auch wenn Teheran jegliche Verstrickung in diese Vorfälle zurückweist, hatten sie aus iranischer Sicht einen doppelten Vorteil: Sie zeigten Washington und seinen Verbündeten in der Region die möglichen Folgen einer militärischen Konfrontation auf und sorgten gleichzeitig für einen Preissprung an den Ölmärkten. Gerade wenn Teheran nur sehr erschwert – nämlich über Umdeklarierungen, Umschiffungen und Schmuggel – sein Öl verkaufen kann, zählt jeder zusätzlich eingenommene Dollar.

 

Das Scheitern der Diplomatie wäre heute noch gravierender als 2003

 

Bei allen oberflächlichen Parallelen endet hier auch die Idee, 2003 würde sich irgendwie wiederholen. Bolton mag wie ein neuzeitlicher Rasputin erscheinen, der den Präsidentenzar zum Krieg treibt. Doch gerade die Erfahrung der so kostspieligen wie kräftezehrenden Invasion Iraks lässt derzeit sowohl innerhalb der US-Regierung als auch im Kongress die Warnsirenen losgehen. Mit Großbritannien hat sich auch ein wichtiger Verbündeter und der zentrale Mitspieler von 2003 gegen eine militärische Lösung gestellt, während der sonst so lautstark irankritische israelische Premierminister Benyamin Netanyahu in der aktuellen Krise ungewöhnlich still ist. Die Europäer wiederum sind sich einig in der Ablehnung der US-amerikanischen Sanktionspolitik insgesamt und sind bei allen Unzulänglichkeiten in der konkreten Politik darauf bedacht, sich nicht wie damals in eine »altes« und »neues Europa« – auseinander dividieren zu lassen.

 

Doch selbst wenn ein offener Krieg zwischen den USA und Iran verhindert werden kann, bleibt die Situation latent konflikthaft. Ob in Scharmützeln zwischen iranischen Revolutionsgarden und der US-Marine im Persischen Golf, welche die internationale Schifffahrt auch ohne eine bewusste Schließung der Straße von Hormus massiv behindern würde; ob in einem intensivierten Stellvertreterkrieg zwischen Israel und iranischen Streitkräften in Syrien oder bei Gefechten zwischen US-Truppen und schiitischen Milizen im Irak, die sich der gerade geschwächte selbsternannte Islamische Staat zu Nutzen machen würde – die Folgen wären für die gesamte nahöstliche Region dramatisch.

 

Während manche in Iran sich durch solche Entwicklungen in ihrem USA-Bild bestätigt fühlen dürften, steckt hierin gerade für die EU eine bittere Ironie der Geschichte. Denn die innereuropäische Spaltung und Machtlosigkeit in der Irakfrage 2003 führte ja gerade dazu, dass die Europäer noch im selben Jahr eine diplomatische Initiative zur Einhegung des iranischen Nuklearprogramm starteten. Zwölf Jahre und viele tausend Verhandlungsstunden später stellte das Atomabkommen den krönenden Erfolg dieser Bemühungen dar – bis Washington ihm 2018 den Rücken kehrte.

 

Sollte es nun zu einer militärischen Eskalation oder gar einem Krieg kommen, wäre von dieser diplomatischen Leistung nicht nur nichts mehr übrig; die Europäer hätten weder die Glaubwürdigkeit noch die Mittel für eine neue Initiative. Geschichte wiederholt sich eben doch nicht, oder überspringt – frei nach Marx – die Farce und landet direkt bei der Tragödie.

Von: 
Cornelius Adebahr

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