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Das Sultanat Oman: Ein Land zwischen Wirtschaftswachstum und Monotonie

Ein Sultan für den Wohlstand, ein Terrorist für die Tapete

Reportage
Ein Sultan für den Wohlstand, ein Terrorist für die Tapete
Im Gegensatz zu den anderen Boom-Staaten am Golf wirkt Oman verschlafen – wirtschaftlich, aber auch politisch. Foto: Ansgar Baums

Während die arabische Welt über Reformen redet, kümmern sich die Bewohner des Sultanats Oman um die Sicherung ihres bescheidenen Wohlstandes. Bin Laden ist ihnen vertraut, die Gewalt hingegen fremd.

Eine Hochzeitsfeier mit Osama Bin Laden hat dann doch keiner erwartet. Einige Besucher blicken ungläubig auf das Portrait des Terroristen, während sich die männlichen Hochzeitsgäste im Gesellschaftsraum des Hauses versammeln. Das Bild ist nicht sonderlich sorgsam an der Wand befestigt, aber doch an prominenter Stelle, direkt neben dem Fernseher. Wie wahrscheinlich in tausenden Haushalten in der islamischen Welt.

 

Doch eine einseitige Sicht der Dinge ist auf dieser Hochzeitsfeier in Sur, einer omanischen Hafenstadt im äußersten Südosten der Arabischen Halbinsel, nicht möglich. Der Bräutigam, ein sunnitischer Muslim, ist in Sur aufgewachsen, die Braut stammt – größer könnten die Unterschiede kaum sein – aus dem Erzbistum und der Karnevalshochburg Köln. Passt das zum Bin-Laden-Bild an der Wohnzimmerwand? Da Hochzeiten im Oman mit großem Aufwand zelebriert werden und drei Tage dauern, bleibt der deutschen Hälfte der Hochzeitsgesellschaft genügend Zeit, sich Gedanken über diesen Widerspruch zu machen. Um eine Erklärung zu finden, muss man die sozialen und politischen Verhältnisse des Landes betrachten.

 

Aus dem Sultanat am Indischen Ozean dringen selten Nachrichten bis nach Europa. In diesem Fall sind keine Nachrichten tatsächlich gute Nachrichten: Der Oman ist ein stabilisierender Faktor auf der Arabischen Halbinsel. In finanzieller Hinsicht gehört das Land zur oberen Mittelschicht. Die Öl- und Naturgasvorkommen sind im Vergleich zu denen der Nachbarn im Norden zwar eher bescheiden, so bettelarm wie der westlich gelegene Jemen ist das Land jedoch nicht. Regiert wird der Oman von Sultan Qabus Bin Said, Absolvent der britischen Militärakademie Sandhurst und ehemaliger Offizier der Rheinarmee.

 

Nach seinem Herrschaftsantritt 1970 – Qabus putschte gegen seinen Vater – modernisierte der Sultan das Land behutsam und zugleich erfolgreich. Obwohl er bei den Städtern im Norden ein wenig beliebter ist als bei den Beduinen im Süden, hat das Land ein stabiles Gleichgewicht zwischen traditioneller Beduinen-Kultur, dem Zustrom ausländischer Arbeitskräfte und dem neuen, moderaten Reichtum durch das Öl gefunden.

 

Qabus scheint durchaus bewusst zu sein, dass dieser Wohlstand ein zweischneidiges Schwert ist. Um dem Schicksal eines einseitig abhängigen Staates zu entgehen, der sich auf das Umverteilen der Öl-Gewinne beschränkt, betreibt der Sultan eine aktive Politik zur Förderung anderer Wirtschaftszweige. Insbesondere der Tourismus-Sektor genießt große Aufmerksamkeit.

 

So nimmt der Oman auf der Arabischen Halbinsel eine Vorreiterrolle im Naturschutz ein – aus wohlverstandenem Eigeninteresse. Um die kargen Landschaften des Oman für den Tourismus attraktiver zu machen, werden unter anderem Zuchtprogramme für die einheimische Onyx-Antilope betrieben. Ein weiterer Unterschied zu den arabischen Nachbarn: Der Sultan halt wenig vom öffentlichen Herrscherkult.

 

Qabus bemüht sich um ein Nationalgefühl, ohne eine Herrscherpose einzunehmen, wenn auch manchmal auf unfreiwillig komische Weise. So sind die zahlreichen Verkehrskreisel der Hauptstadt Maskat im Rahmen der landesweiten Beautification-Kampagne mit Teekannen, Schiffen, Gazellenfiguren und ähnlichen Gegenständen verziert worden, um das kulturelle und natürliche Erbe des Landes zu betonen. Statuen des Sultans, militärische Symbole und sonstige Machtbeweise sucht man vergebens – ein wohltuender Kontrast zum betonierten Größenwahn etwa in Saudi-Arabien.

 

Dank der Beliebtheit des Herrschers ist der Ruf nach Demokratie im Oman zur Zeit kaum zu hören. Stabilität und Wohlfahrt ist den rund zweieinhalb Millionen Omanern wichtiger als politische Wahlen. Und wahrscheinlich auch wichtiger als der Kampf mit den arabischen Brüdern gegen den vermeintlichen amerikanischen Imperialismus. Diesen Eindruck bekommt man zumindest in Sur, dem Schauplatz der Hochzeit. Das Hafenstädtchen am Indischen Ozean mit 25 000 Einwohnern ist ein geruhsamer Ort mit morbidem Charme.

 

Die weiß gekalkten Häuschen reichen bis an die weite Bucht, selbst der Autoverkehr in den engen Gassen ist selten hektisch. Mitte der 90er Jahre wurde anlässlich eines Besuches Qabus' eine Strandpromenade angelegt. Heute trifft sich hier in den Abendstunden die Jugend zum Fußballspielen oder Flanieren, während sich die Älteren im nahen Café zum abendlichen Plausch versammeln.

 

So ruhig wie heute war es hier nicht immer. Im 17. Jahrhundert galt Sur als bedeutende Seehandelsmetropole. Omanische Handelsschiffe dominierten den westlichen Indischen Ozean. Dank überlegener Navigationstechnik und günstiger Meeresströmungen befuhren sie Routen zwischen Sansibar und China, konkurrierten hier mit Holländern und Engländern. Sur war Technologiezentrum und berühmt für seine Schiffbaukunst. Obwohl vom einstigen Glanz nicht mehr viel zu sehen ist und sich der Handelsaustausch mit Indien heute auf die Ausfuhr von Naturgas beschränkt, ist Sur eine polyglotte Stadt geblieben.

 

Über ein Drittel der Bewohner stammt ursprünglich aus Belutschistan, so auch die Familie des Bräutigams. Seine Vorfahren sind vor mehreren Generationen aus dem heutigen Pakistan eingewandert; wann genau, weiß niemand so recht. Innerhalb der Familie spricht man noch heute Belutschi. Identitätsprobleme gibt es trotzdem nicht. Der im arabischen Raum gern geführte Wettstreit um die arabischsten aller Vorfahren ist hier wenig verbreitet.

 

Von Sur sind es 180 Kilometer bis in die Hauptstadt Maskat, 900 Kilometer Seeweg bis nach Indien und fast 3000 Wüstenkilometer bis nach Palästina. Kein Wunder also, dass sich Sur schon immer stärker am indischen Subkontinent orientierte als an der Levante und sich für die politischen Querelen der Nachbarstaaten im Norden nur eingeschränkt interessierte.

 

Tapfere Iraker auf der Titelseite, Hollywood im Feuilleton

 

Das heißt nicht, dass sich die omanische Bevölkerung nicht als Teil der arabischen Welt verstünde. Auch im Oman wandten sich die Menschen mehrheitlich gegen den Krieg im Irak. Nicht unbedingt aus Sympathie für Saddam: Vor allem die so genannten »Kollateralschäden« unter der Zivilbevölkerung sowie die Präsenz des amerikanischen Militärs in einem weiteren arabischen Land beschäftigen die Menschen. Religiös motivierte Gegnerschaft zu den Amerikanern drückt sich darin nicht aus. Die im Oman vorherrschende Glaubensrichtung des Ibadismus ist Andersgläubigen gegenüber liberal und tolerant.

 

Beispiel Zeitungen. Die englischsprachige Times of Oman berichtete auf der ersten Seite von Einzelschicksalen aus dem Irak: das kleine Mädchen, das auf seinen Vater wartet; der tapfere Soldat der Republikanischen Garde, der trotz seiner schweren Verletzungen zurück an die Front wollte. Je länger der Krieg dauerte, desto emotionaler wurde die Berichterstattung – selbst in jenen Zeitungen, die sich der Neutralität der Berichterstattung verpflichtet fühlen. Die Amerikaner werden dabei keineswegs als Befreier des irakischen Volkes gefeiert.

 

Andererseits reichen die publizistische Folgen amerikanischer und britischer Truppen nicht bis ins Feuilleton. Der Unterhaltungsteil der »Times« berichtet über Neuigkeiten in Hollywood, die aktuelle Lyle-Lovett-CD und über das Rolling-Stones-Konzert in Indien. Die Ablehnung der amerikanischen Politik wirkt sich kaum auf die Anziehungskraft der amerikanisch dominierten Popkultur aus. Von einer Verdammung des Westens per se kann jedenfalls keine Rede sein.

 

Die Differenzen zwischen der Kriegsallianz und dem »alten Europa« wurde auch im Oman zur Kenntnis genommen. Und zumindest die Bedienung einer indischen Garküche in Maskat honoriert die deutsche Antikriegshaltung mit freundlichem Nicken. Deutschland finde er gut, sagt er und grinst.

 

Leere Handelshäuser, viel Gummi auf dem Asphalt

 

Das Restaurant liegt in der verwinkelten Altstadt von Maskat, ein paar Häuserblocks entfernt vom berühmten Suq von Mutrah. Der Markt pulsiert wie immer vor Leben, nur die Zahl der europäischen und amerikanischen Touristen ist geringer als sonst. Verkauft werden nur wenige einheimische Waren. Importe aus Indien oder China dominieren das Angebot, ein Großteil dieser Produkte ist eine mehr oder weniger gute Kopie europäischer oder amerikanischer Marken. Allein die Aktualität lässt in manchen Fallen zu wünschen übrig: Die FC-Bayern-Trikot-Repliken hinken zwei Spielzeiten hinterher.

 

Maskat entspricht kaum den westlichen Vorstellungen einer südarabischen Hafenstadt. Eingekesselt von schroffen Kalkstein-Bergen, die aus dem Meer emporragen, drängen sich weißgekalkte Häuser dicht an dicht in den zahlreichen Buchten. Die Hafenfront des Stadtteils Mutrah ist geprägt von einst prächtigen Handelshäusern aus dem 19. Jahrhundert. Die verzierten Balkone und Spitzbogenfenster haben bessere Zeiten gesehen, und der moderne Handel wird längst nicht mehr am Strand von Mutrah getätigt, sondern im neu gebauten Industriehafen.

 

Seitdem eine Anfang der 80er Jahre gebaute Uferstraße die Häuser vom Wasser trennt, bleiben die alten Handelsgebäude größtenteils ungenutzt. Hinter den felsigen Buchten erstrecken sich scheinbar endlose Vororte in das unfruchtbare Hinterland. Unter der Herrschaft des Sultans erlebte Maskat einen rasanten Aufschwung von einem größeren Fischerdorf zur Hauptstadt mit rund 650 000 Einwohnern, die Vororte sind nun durchzogen von sechsspurigen Highways.

 

Obwohl sie die mit Abstand größte Stadt des Oman ist, entwickelte sich kein dynamisches Großstadtmilieu – sehr zum Verdruss der Jugend des Landes. Wer allerdings Geld hat, kann auch in Maskat die Zeit kurzweilig verbringen. Besonders angesagt unter den reichen Söhnen sind atavistische Sportwagen wie Ford Mustangs, Modellreihe späte 90er. In den Abendstunden versammeln sich die jungen Männer, um Gummi auf dem Asphalt zu lassen. Kaum ein Parkplatz, der nicht mit Bremsspuren verziert wäre. Weitere Unterhaltung für die wohlhabende Jugend bietet Dubai – nur wenige Autostunden entfernt –, wo der Alkohol reichlich und die Bekleidung russischer Gastarbeiterinnen spärlich ist.

 

Für den Großteil der Jugend aber ist selbst ein Besuch in einer der McDonalds-Filialen oder in den Bars der großen Hotels unerschwinglich. Der McArabia – ein Burger mit zäh-klebrigem Hühnchenfleisch – kostet umgerechnet vier Euro, für ein einfaches Bier aus Holland bezahlt man in den Hotelbars fünf Euro. Die Preisdifferenzen zwischen lokaler Küche und globalem Fastfood erinnert an die Situation in den mittelosteuropäischen Staaten kurz nach 1990. Einzige Abwechslung bieten Ausflüge an die nahen Strände oder ein Besuch des einzigen Kinos von Maskat. Das dortige Programm besteht zu gleichen Teilen aus Hollywood-Filmen und indischen Schmachtstreifen.

 

Der bescheidene Freizeitfaktor der Hauptstadt ist allerdings das kleinere Problem für viele Jugendliche. Obwohl der Oman als wohlhabendes Land gilt, kämpfen insbesondere die Berufseinsteiger und die noch schwach ausgebildete Mittelschicht mit den ökonomischen Folgen der weltpolitischen Unruhe. 11. September und Golfkrieg haben besonders den Tourismussektor schwer getroffen. Die Auslastung der großen Hotels in Maskat beträgt in der Hochsaison gerade einmal 20 Prozent, Tauchbasen und Restaurants ergeht es nicht viel besser. Das Ausbleiben der Devisen macht sich bemerkbar. Angesichts der Zukunftssorgen bleibt den meisten nicht viel Zeit, dem Müßiggang nachzugehen.

 

Für viele Männer ist Schulausbildung Nebensache

 

So auch Djamila und Khalid, beide Mitte zwanzig. Das frisch verheiratete Paar sieht sich selten, da beide Vollzeitjobs haben. Das bedeutet eine 70-Stunden-Woche mit nur einem freien Tag. »Job und Kinder sind schwierig miteinander zu vereinbaren«, sagt Djamila. Während Khalid als Ingenieur in der Ölindustrie tätig ist und im Schichtdienst arbeitet, ist seine Frau als Sekretärin bei einem omanischen Unternehmen mit japanischem Management angestellt. Der Frauenanteil in den neu entstandenen qualifizierten Dienstleistungsbereichen ist überdurchschnittlich hoch.

 

Das liegt vor allem an ihrer besseren Schulausbildung. Für die Frauen ist eine gute Ausbildung der Schlüssel zu mehr Unabhängigkeit, während der Schulbesuch für die jungen Männer oft Nebensache ist. Die Chance, einen männlichen, der englischen Sprache mächtigen Omaner unter 18 Jahren zu treffen, ist selbst in der Hauptstadt erstaunlich gering.

 

Wäre da noch das Bin-Laden-Bild auf der Hochzeit. Angesichts der Offenheit der omanischen Gesellschaft mögen Europäer verwirrt sein über die Hochschätzung für einen Mann, der die Verständigung mit anderen Kulturen kategorisch ablehnt. Die arabische Interpretation des Terroristen ist vermutlich relativ einfach: Bin Laden ist die personifizierte Unabhängigkeitserklärung Arabiens an den Westen. Direkt auf den 11. September angesprochen, heißt kaum ein Muslim die Anschläge gut.

 

Und auf Wunsch der deutschen Hochzeitsgäste wird das Portrait an der Wand umgedreht.


Dieser Artikel stammt aus der zenith-Ausgabe 3/2004.

 

Seit dem Besuch des Autors im Jahr 2004, hat der Oman nichts an seiner Anziehungskraft verloren. Im Gegenteil: Der als Ruhepol wahrgenommener Fleck auf der Arabischen Halbinsel wird bei westlichen Touristen immer beliebter. Anders als im Nachbarland Jemen, rütteltete der Arabische Frühling nur zaghaft im Thron des Sultans, von dem aus der mittlerweile 77-Jährige Qabus ibn Said das Land weiterhin regiert. Ob das Foro mit Osama Bin Ladens noch immer an der Wohnzimmerwand in Sur hängt, ist nicht bekannt.

Von: 
Ansgar Baums

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