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Der Prediger Tahir-ul-Qadri fordert Pakistans Polit-Elite heraus

Dr. Qadri, übernehmen Sie!

Kommentar

Der Prediger Tahir-ul-Qadri fordert Pakistans Polit-Elite heraus und inszeniert sich als demokratisch gesinnter Revolutionär. Doch sein plötzlicher Aufstieg wirft Fragen auf – insbesondere zur Rolle des Militärs.

Bei klassischen Blockbustern kommt es bekanntlich nicht immer auf eine Handlung an, die den Gesetzen von Logik und Wahrscheinlichkeit verpflichtet ist. Doch was sich in diesen Tagen in Pakistan vor den Augen der Weltöffentlichkeit abspielt, stammt nicht aus einem Drehbuch. Der kometenhafte Aufstieg eines aus dem Nichts hervortretenden  religiösen Führers, der dank ungeahnter charismatischer wie finanzieller Möglichkeiten die demokratisch gewählte Regierung aus dem Amt drängt – und das innerhalb weniger Wochen.

 

Possenstück oder Wirklichkeit? Vielleicht, wie so oft, beides. Die Rolle des Revolutionärs fällt einem bislang unbekannten Recken zu: Tahir-ul-Qadri (61). Der promovierte Jurist gründete 1981 zuerst die islamische Nichtregierungsorganisation »Minhaj-ul-Quran International« (MQI), bevor er sich acht Jahre später mit der Gründung der pakistanischen Volksbewegungs-Partei (PAT) auch auf politisches Terrain wagte.

 

Von 2002 bis 2004 saß er für den Bezirk Lahore in der Nationalversammlung, bevor er sein Amt aus zahlreichen innen- wie außenpolitischen Gründen niederlegte. Die ersten freien Wahlen in Pakistan nach Ende der Militärdiktatur 2008 boykottierte Qadri ebenso wie seine PAT. Der Grund: Das System sei so korrupt, dass Wahlen und Demokratie zum jetzigen Zeitpunkt keinen Sinn ergäben.

 

Ende 2012, nur wenige Monate vor den Wahlen, taucht Qadri, nun in seiner finalen Rolle als religiös verbrämter Volkstribun, »aus dem kanadischen Exil« wieder auf. Innerhalb weniger Wochen gelingt es ihm, die längst historisch anmutenden Bilder des Arabischen Frühlings zu wiederholen: Hunderttausende gehen auf die Straße, um gegen das korrupte System zu demonstrieren. Gemeinsam mit seinen Anhängern fordert Qadri einen demokratischen Wandel des Staates.

 

Seine Agenda umfasst verschiedene politische wie soziale Forderungen, darunter die Bekämpfung der Armut, die bedingungslose Durchsetzung der bereits bestehenden Gesetze durch die Exekutive sowie das Ende der staatlichen Tolerierung von Terroristen im Land.

 

Eine Fatwa gegen den Terror machte Qadri im Westen berühmt

 

Die Zuversicht, die Qadri während seiner öffentlichen Auftritte an den Tag legt, ist durchaus bemerkenswert. Unverfroren setzt er der Regierung, die er selbst stets »Ex-Regierung« nennt, Ultimaten, die an den Umgang des nationalsozialistischen Deutschlands mit seinen Nachbarländern erinnern: Hieß es am Sonntag noch, er »gebe der Regierung bis elf Uhr Zeit, das Parlament aufzulösen«, legte er am Dienstagmorgen noch einen Zahn zu: »Ich gebe der Regierung fünf Minuten Zeit, die Bühne vor dem Parlament aufzubauen.«

 

Wenige Stunden später befand sich die Bühne tatsächlich vor dem Parlament – und die Regierung war, zumindest in Teilen, vom Obersten Gericht des Landes durch Verhaftung ihres Premiers Raja Pervez Ashraf tatsächlich zur Ex-Regierung verkommen. Sehergabe, Zufall der Geschichte oder doch am Ende Plot point eines Drehbuchs der besonderen Art? Dreh- und Angelpunkt dieser Frage scheint Qadri selbst zu sein. Seine Biographie enthält zahlreiche Widersprüche und scheinbare Unwahrheiten.

 

Halten wir darum fest, was von keiner Seite bestritten wird: Qadri verfügt über eine für islamische Gelehrte außergewöhnliche Nähe zur christlichen beziehungsweise westlichen Welt. Erzogen in einer Schule christlicher Missionare, leitet er bis heute das muslimisch-christliche Dialog-Forum seiner Nichtregierungsorganisation, welches ihre Sitze neben Lahore vor allem in westlichen Städten wie London, Paris, Frankfurt, Mailand, Toronto und Sydney hat und dessen erklärtes Ziel es ist, »den wahren Islam zu verkünden beziehungsweise zu stärken«.

 

2010 erließ Qadri eine im Westen außergewöhnlich stark rezipierte Fatwa, welche den islamistischen Terrorismus als unislamisch und im Widerspruch zum Koran verdammte, was ihm zu zahlreichen Auftritten in englischsprachigen Medien wie BBC, Euronews, CNN und CBC verhalf. Zahlreiche islamische Gelehrte haben hingegen so ihre Probleme mit dem selbsternannten »Sheikh al-Islam«, der stets mit dem Gewand und der Kopfbedeckung eines Religionsgelehrten auftritt.

 

Sie führen unter anderem an, dass der angebliche Autor hunderter religiöser Werke kaum Arabisch spreche und niemals von einer qualifizierten islamischen Autorität als Scheich anerkannt worden sei. Um bei dem eingangs gebrauchten Bild zu bleiben: Wer also gab Qadri die Rolle in dem Stück, das er nun in der pakistanischen Hauptstadt im Gefolge zahlreicher, mit Hoffnung auf ein besseres Leben, finanzierter Komparsen inszeniert? Wem also nützt das, was derzeit in Pakistan geschieht?

 

Noch scheint sich niemand daran zu stören, dass sich der Führer seine Revolution selbst gebastelt hat

 

Die Antwort fällt nicht schwer: Dem Militär, im Inland wie im Ausland. Pakistan, immerhin eine Atommacht und – bis zur als Schmach empfundenen, weil hinter dem eigenen Rücken ausgeführten Ermordung von Osama bin Laden 2011 – verlässlicher Bündnispartner der USA im Kampf gegen den Terror, hatte sich 2008 zu einer mit Einschränkungen funktionierenden Demokratie gemausert.

 

Ihrer Führung war es trotz aller Korruptionsskandale ein echtes Anliegen, den Einfluss der aufgeblähten Armee, die das Land für viele Jahre regiert hatte, so weit es geht zurückzudrängen. In der jeder Wahl vorausgehenden Übergangsregierung sollten sie erneut keine Rolle mehr spielen. Qadri, dem der Haftbefehl für den Regierungschef ebenso gelegen kommen dürfte wie dem Militär, fordert nun die rasche Bildung einer Übergangsregierung – unter Einbeziehung der Armee.

 

Zufall oder Possenspiel? Solange nicht geklärt ist, woher der medienwirksame Scheich, der Teile seiner Ansprachen auf Englisch hält, das Geld nimmt für seine seit Wochen auf allen Sendern laufende, exzessive Medienkampagne sowie für die Anmietung all jener Busse, die die Demonstranten aus allen Landesteilen in die Hauptstadt bringen, werden Zweifel an seiner Legitimität laut. Noch scheint sich niemand daran zu stören, dass sich der Führer seine Revolution selbst gebastelt hat, statt sich – wie einst im Iran – von den Protestierenden auf den Schild heben zu lassen. Lassen wir uns also überraschen, was sich die Autoren für den nächsten Akt ausgedacht haben, wenn es heißt: Dr. Qadri, übernehmen Sie!

Von: 
Nicolas Flessa

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