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Gewalt gegen Frauen in Kasachstan

Ein Gesetz für Saltanat

Feature
Gewalt gegen Frauen in Kasachstan

In Kasachstan blieben Gewalt gegen Frauen und auch Femizide lange ungestraft. Ein vielbeachteter Mordprozess ließ der Regierung in Astana nun keine Wahl, daran etwas zu ändern.

»Als würden jetzt alle aufwachen«, beschreibt es die Anwältin der im November 2023 getöteten Saltanat Nukenova mit Blick auf das sich wandelnde gesellschaftliche Klima in Kasachstan und ein verschärftes Gesetz zu häuslicher Gewalt, welches im April verabschiedet wurde. Anlass war ein Aufsehen erregender Gerichtsprozess, in dem der ehemalige Wirtschaftsminister Kasachstans am 13. Mai für den Mord an seiner Ehefrau Saltanat zu 24 Jahren strenger Lagerhaft verurteilt wurde – der Schuldspruch lautete auf: Folter und besonders grausamer Mord. Videoaufnahmen, welche vor Gericht vorgeführt wurden, zeigen wie Quandyq Bischimbayev seine Frau stundenlang quält, sie schlägt und tritt. Nukenova sei qualvoll, nach Luft ringend, gestorben, zu diesem Schluss kam die zuständige Gerichtsmedizin.

 

Dass ein solcher Fall vor Gericht kommt, ist in Kasachstan keineswegs selbstverständlich. Opfer häuslicher Gewalt hatten in dem patriarchal geprägten Land bisher nur wenig Möglichkeiten, gegen die Täter vorzugehen, selbst schwere Fälle von Gewalt landeten selten vor einem Richter. Eine UN-Studie aus dem Jahr 2018 spricht in diesem Zusammenhang von etwa 400 getöteten Frauen im Jahr, wobei die Dunkelziffer deutlich höher liegen könnte.

 

Initiativen zur Stärkung von Frauenrechten werden in Kasachstan sowohl aus der konservativen Gesellschaft heraus, als auch von staatlicher Seite unterdrückt oder sogar gewalttätig angegriffen. Auch Kundgebungen anlässlich des Internationalen Frauentags am 8. März wurden 2024 von den Behörden nicht genehmigt – mit dem Verweis auf mögliche »Gefährdung der öffentlichen Ordnung«.

 

Der Fall Saltanat Nukenova trat jedoch im vergangenen Jahr eine breite gesellschaftliche Debatte zum Thema häusliche Gewalt los und änderte die Sichtweise vieler Kasachen. Nach ihrem Tod im November starteten Angehörige eine Online-Petition und konnten innerhalb weniger Wochen über 150.000 Unterschriften sammeln. Zudem gingen im Ausland lebende Kasachen etwa in New York, London, Prag oder Barcelona unter dem Motto #ForSaltanat auf die Straßen. Unter demselben Hashtag drücken zahlreiche Menschen ihr Mitgefühl und ihre Wut in den sozialen Medien aus – Videos auf TikTok und Instagram, welche meist Ausschnitte des Gerichtsprozesses oder der Überwachungsaufnahmen aus der Tatnacht zeigen, erreichen dort nicht selten Hunderttausende Aufrufe.

 

Erstmalig in der Geschichte des Landes wurde ein Prozess live gestreamt und gleich über zwei Millionen Mal verfolgt

 

Nachdem der Anwalt des Ex-Ministers vor Gericht versucht hatte, Saltanat aufgrund ihres Alkoholkonsums zu diskreditieren, solidarisierten sich daraufhin Tausende von Frauen aus Kasachstan mit der Getöteten, indem sie Fotos mit einem Glas Wein in der Hand online stellten. Dem Leitsatz »Wenn ihr mich mit einem Glas Wein seht, bedeutet das nicht, dass es in Ordnung ist, mich zu töten«, mit dem die Initiatorin der viralen Aktion zum virtuellen Protest aufrief, schlossen sich zahlreiche Medienpersönlichkeiten, darunter Schauspielerinnen und Fernsehmoderatorinnen, aus Kasachstan an.

 

Auch das Interesse am Gerichtsprozess in der kasachischen Hauptstadt Astana zeigt, dass sich die Haltung zu häuslicher Gewalt in der Gesellschaft zu wandeln beginnt. Erstmalig in der Geschichte des Landes wurde ein Prozess live gestreamt und gleich über zwei Millionen Mal verfolgt – in einem Land mit nicht einmal 20 Millionen Einwohnern.

 

Die Gesetzesänderung, welche am 16. Juni in Kraft treten soll, stellt häusliche Gewalt gegen Frauen wie auch Kinder unter Strafe. Prügelattacken können seitdem auch mit Arrest- und Haftstrafen geahndet werden. Die Polizei muss zudem ermitteln, selbst wenn die Opfer keine Anzeige erstatten. Eine wichtige Änderung – bisher ging nur eine Minderheit der von Missbrauch betroffenen Frauen tatsächlich zur Polizei, oft aufgrund der damit verbundenen Scham oder in dem Bewusstsein, dass ihr Fall nicht ernst genommen wird. Außerdem sollen spezielle Zentren eingerichtet werden, um Gewaltopfer besser zu unterstützen. Da häusliche Gewalt in Kasachstan als Erziehungsmittel bei Kindern sehr verbreitet ist, erwarten die Behörden einen massiven Anstieg der Zahl an Inhaftierten – etwa 5.000 zusätzliche Haftplätze könnten nötig werden.

 

Dass ein solches Gesetz in Kasachstan verabschiedet wird, ist durchaus bemerkenswert. Unklar bleibt, inwieweit künftig häusliche Gewalt in Kasachstan tatsächlich härter verfolgt wird. Sowohl Human Rights Watch, als auch das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) in Kasachstan loben das Gesetz und sehen Fortschritte in Richtung Gleichberechtigung und Rechtstaatlichkeit und Sicherheit. Dem Erfolg von »Saltanats Gesetz« (wie es im Volksmund genannt wird) könnte letztlich aber vor allem von den zuständigen Richtern und Polizisten Grenzen gesetzt werden. Sie müssen schließlich die Gesetzesvorhaben umsetzen und die Fälle bearbeiten.

Von: 
Jakob Rogat

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