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Großdemonstration gegen den Muhammad-Film in Gaza

Hasstiraden und Wassereis

Feature

Wütende Proteste entflammen die muslimische Welt. Aber in Gaza ist die Großdemonstration gegen den Muhammad-Film vor allem eines: ein riesiges Volksfest.

»Tod den Juden! Tod den Amerikanern!« dröhnt es zu fröhlichen Marschklängen aus den Lautsprechern, die auf Lieferwagen angebracht sind. Kino ist hier verboten, laute Musik eigentlich auch. Aber Letzteres lässt die Hamas-Regierung schon mal durchgehen – wenn es denn der guten Sache dient. Und was könnte besser sein, als Hass auf den Westen zu schüren?

 

Es ist ein schöner Tag in Gaza-Stadt. Ein leichter Wind weht vom Mittelmeer her in die Innenstadt und macht die spätsommerliche Hitze an diesem Freitagnachmittag erträglich. Die Brise lässt auch die Fahnen flattern, die den Demonstrationszug begleiten. Das grüne Banner der Hamas ist zu sehen, natürlich, daneben sind zahlreiche schwarze und weiße Dschihad-Flaggen vertreten.

 

Es dürften Hunderte, Tausende Menschen sein, die sich im Anschluss an das Freitagsgebet in der Innenstadt versammelt haben. Sie alle folgen dem Aufruf, gegen den Film »Die Unschuld der Muslime« zu protestieren, der die Gemüter von Muslimen weltweit erhitzt. Und doch ist diese Demonstrationsveranstaltung in Gaza anders als anderswo.

 

Zum einen gibt es hier keine westlichen Konsulate oder Botschaften, die man angreifen könnte. Attacken auf die wenigen internationalen Institutionen, die in Gaza ausharren, würde die Hamas nicht zulassen, dafür ist sie trotz aller Radikalität zu sehr auf ihr internationales Image bedacht. Zum anderen ist der Gaza-Streifen nach wie vor ein abgeriegeltes Gebiet.

 

Auf 365 Quadratkilometern Fläche – etwas größer als die Stadt München – leben knapp eineinhalb Millionen Menschen. Nach Ägypten ausreisen dürfen nur wenige, Israel kontrolliert die Einfuhr von Waren. Dem bescheidenen Bauboom zum Trotz, den Gaza seit etwa einem Jahr erlebt, leidet das Gebiet unter Versorgungsengpässen, Arbeitslosigkeit und Überbevölkerung. Von der psychologischen Belastung im »Gefängnis Gaza« ganz zu schweigen.

 

Die Fahnen knattern im Wind, die Stimmung ist aufgekratzt

 

Da kommt das Filmchen über den Propheten gerade recht, um die Stimmung ein bisschen zu heben. Muhammad als Kern des arabisch-muslimischen Selbstverständnisses – dieses Motiv wird hier überall hervorgehoben. »Illa Rasul Allah – Nur nicht den Gesandten Gottes«, lautet der Refrain des eigens komponierten Protestsongs; gemeint ist, Muhammad sei tabu für Humor und Spott.

 

Nach einer ersten Flaggenverbrennung, die von etwa einem Dutzend Fotografen und Kameramännern festgehalten wird, marschiert der Protestzug langsam von der Altstadt in Richtung Meer. In einem alten VW-Bus sitzen zwei Männer, die abwechselnd ins Mikrofon schreien, bis sich ihre Stimme überschlägt. Der eine liest seine Hasstiraden vom Notebook ab.

 

Auf dem Dach des Wagens sind mehrere riesige Lautsprecher und ein Generator festgeschnürt, dazwischen hocken zwei Kinder und strecken der Menge den Koran entgegen. Für den Fall, dass irgendjemand noch nicht mitbekommen hätte, worum es hier geht. Die Fahnen knattern im Wind, das Licht blendet, die Stimmung ist aufgekratzt.

 

Der Zug der flaggenbewehrten Kämpfer wird begleitet von Hunderten von Kindern, die wie Schildknappen am Straßenrand mitlaufen. Es könnte ein mittelalterliches Turnier sein, zu dem sie ziehen, voller Stolz und Selbstbewusstsein. Am Straßenrand gibt es Kebab sowie Wassereis für die Kleinen; die gelben und orangenfarbenen Plastikbecher verleihen der staubigen Szenerie bunte Farbtupfer.

 

Auch verkleiden darf man sich: die Jungs als Soldaten-Kämpfer im Camouflage-Dress, die Mädchen als zutiefst verschleierte Koran-Vestalinnen. Am ehemaligen palästinensischen Legislativrat kommt der Zug zum Stillstand. Auf dem Platz steht ein riesiges Yassir-Arafat-Plakat, neben dem Konterfei des verstorbenen Palästinenserführers steht: »Erst mit dir wird mein Traum wahr geworden sein, oh Jerusalem«. Arafats Traum geht jedoch im Getöse der Massen unter, die mit allen verfügbaren Mitteln Lärm produzieren.

 

»Oh Juden, ihr Feinde der Araber und der Muslime« 

 

Im Vorhof findet auf einem Balkon, den man aus Fernsehbildern kennt, die Hauptkundgebung statt. Aber erst müssen natürlich noch ein paar amerikanische und israelische Flaggen verbrannt werden. Was in den Fernsehbildern stets so affektiv-fanatisch aussieht, ist in Wirklichkeit wohlinszeniert: Einer hat das Brennmaterial mitgebracht, ein anderer packt die Flaggen aus.

 

Im Hintergrund sichert Hamas-Personal in gelben Schutzwesten die Menschenmenge. Die Zuschauer freut’s trotzdem – was früher auf der Kirmes der Schwertschlucker und der Feuerspeier waren, ist heute eben die »flag party«. Algerische und ägyptische Islamistengruppen sind nach Gaza gekommen, um die palästinensischen Brüder zu unterstützen, und erhalten nun die Gelegenheit, sich ausführlich zum Vorgefallenen zu äußern.

 

Ein Anführer des »Islamischen Dschihad« äußert die Ansicht, der Muhammad-Film sei als Test für die neue islamische Regierung in Ägypten gedacht gewesen, und ruft zu weiteren Protesten auf. Unter blauem Himmel in dem palmengesäumten Vorhof brütet die Menge in der Hitze. Im Gegensatz zum Demonstrationszug sind hier auch ein paar Frauen zu sehen, die tief verschleiert im Schatten unter ein paar Bäumen hocken.

 

Applaus für die nicht enden wollenden Reden gibt es kaum, lediglich ein Islamist aus Ägypten vermag die schläfrige Masse mit seinen engagierten Hetzreden – »Oh Juden, ihr Feinde der Araber und Muslime, wir werden zurückkommen!« – zu etwas stärkerem Beifall zu bewegen. Kein Zweifel, dieser offizielle Teil der Kundgebung ist für die meisten eher ein notwendiges Übel.

 

Als die Veranstaltung endet, verläuft sich die Menschenmenge entsprechend rasch. Schon nach einer halben Stunde sicher nur noch ein paar schwarzgekleidete, vollbärtige Polizisten die Straßen, während Müllleute den Abfall auf ihre Eselskarren laden. Ansonsten herrscht völlige Leere.

 

Am Abend werden mit Sicherheit alle sagen: Was für ein Fest! Aber jetzt ist das Volk müde, das Volk muss sich ausruhen.

Von: 
Christian Meier

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