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Interview mit dem ukrainischen Botschafter in Israel

»Wir haben uns überschätzt«

Interview
Interview mit dem ukrainischen Botschafter in Israel
Yevgen Korniychuk im ukrainischen Kulturzentrum nahe der Botschaft in Tel Aviv Foto: Pascal Bernhard

Kiews Botschafter in Israel Yevgen Korniychuk erklärt den ukrainischen Blick auf den 7. Oktober, die schleppende militärpolitische Kooperation und welche Rolle das Jüdischsein dabei spielt.

zenith: Israel und die Ukraine haben die gleichen Feinde, und dennoch sind sie noch keine Freunde.

Yevgen Korniychuk: Wir sind Freunde und gute Partner. Trotzdem versuchen die Israelis, weiter zu schweigen. Noch immer glaubt Israel, dass die Sicherheitskooperationen mit Russland unumgänglich ist. Aber ich kann Ihnen versichern: Unsere Beziehung bewegt sich langsam in die richtige Richtung.

 

Im vergangenen Jahr sagte der ehemalige ukrainische Verteidigungsminister Oleksij Resnikov in einem Interview, dass »Israel sich schämen wird, nicht an der Seite der Ukraine gestanden zu haben«. Hat sich das bewahrheitet?

Wenn Sie mich nach der militärischen Kooperation zwischen Israel und der Ukraine fragen, muss ich Ihnen sagen: Wir haben uns in unserer Agenda überschätzt. Seit drei Jahren bin ich Botschafter in diesem Staat, der kleiner als jeder der 25 Oblaste der Ukraine ist. Israel betrachtet sich selbst immer noch als ein Land, das von Feinden umzingelt ist und handelt vor allem deshalb egoistisch. Auch ich habe das zu akzeptieren. Mehr als mit der militärischen Kooperation beschäftige ich mich mit den ukrainischen Flüchtlingen.

 

Inwiefern?

Nach der russischen Invasion haben sämtliche europäische Staaten den Ukrainern die Türen geöffnet. Ayelet Shaked, die rechte Innenministerin der israelischen Vorgängerregierung, führte dagegen eine Obergrenze für Kriegsflüchtlinge ein. Wir dachten hier in der Botschaft, wir werden verrückt. Drei Monate hat es gedauert, bis der Oberste Gerichtshof die Entscheidung für unrechtmäßig erklärte. Verschwunden sind die Probleme damit nicht: Wenn Sie als nicht-jüdische ukrainische Flüchtlinge das Land auch nur für wenige Tage verlassen, droht Ihnen eine Einreisesperre von zehn Jahren. Die Ukrainer werden bald wieder vor den Obersten Gerichtshof ziehen müssen.

 

»Der übermäßige Einsatz von Gewalt ist nicht akzeptabel, vor allem nicht für einen demokratischen Staat«

 

Inwieweit war Russland in den Angriff und das Massaker vom 7. Oktober verwickelt?

Direkte Beweise dazu haben wir keine. Wir beobachten aber, dass die Hamas verschiedene Taktiken nutzt, wie sie die Russische Föderation entwickelt hat. Das betrifft nicht nur die pro-palästinensische Propaganda der Hamas. Auch ihre Munition entstammt zum Großteil russischer Herkunft; so zum Beispiel die alte AK-47 und die Raketenabwehrsysteme, die uns auch aus der Sowjetzeit vertraut sind. Trotz der vielen Reisen von Hamas-Delegationen nach Moskau: Iran ist viel wichtiger als Russland.

 

Viele Menschen, vor allem aus dem globalen Süden, sagen, dass die westlichen Länder bei der Kriegsführung Israels und Russlands mit zweierlei Maß messen…

Niemand spricht den Isrelis das Recht ab, sich zu verteidigen. Wir wissen gut, dass Israel keine andere Wahl hat, als die Hamas zu erledigen. Aber der übermäßige Einsatz von Gewalt ist nicht akzeptabel, vor allem nicht für einen demokratischen Staat. Meiner Ansicht nach wäre es das Beste gewesen, sämtliche Zivilisten im Sinai temporär anzusiedeln. Die Gespräche dazu waren im Gange, doch der Plan scheiterte letztlich am fehlenden Geld.

 

Die Ukraine ruft nicht zur Waffenruhe auf?

Ein Waffenstillstand ist eine Möglichkeit, zivile Verluste zu minimieren. Eine andere Methode wäre es, die Menschen zu evakuieren. So oder so: Die Ukraine fordert die Auslöschung der Hamas, den Schutz der Zivilisten und die Befreiung der Geiseln. Waffenstillstand oder nicht. Das ist eine Frage der Taktik.

 

»Schwere Artillerie und Panzer erwarten wir von Israel nicht«

 

Welche Art von Waffen und welche Menge an Waffen hat Israel bis heute in die Ukraine geschickt?

(lacht) Helme und Schutzwesten. Das ist alles, was ich Ihnen sagen kann. 

 

Und wann ist das letzte Paket in der Ukraine angekommen?

Oh, irgendwann vor dem 7. Oktober.

 

Gleichzeitig will Israel verschiedenen Berichten zufolge die Ukraine mit einem Frühwarnsystem ausstatten.

Das war ein Versprechen, das noch von der vorherigen Regierung gegeben wurde, und Israel hat das inzwischen erfüllt. Zurzeit wird es von der zivilen Verwaltung in Kiew getestet. Bis es vollumfänglich funktionstüchtig wird, brauchen wir aber noch etwas Zeit.

 

Welche Waffen oder Pakete erwarten Sie denn noch?

Auch wenn es Israel angekündigt hat: Seine Außenpolitik hat sich auch nach dem 7. Oktober nicht geändert. Wir wissen sehr gut, dass Israel dazu keine Kapazitäten hat. Sämtliche Exportverträge, die die Regierung vor dem 7. Oktober unterzeichnet hat, wurden aufgrund des Krieges aufgekündigt – verständlicherweise. Schwere Artillerie und Panzer erwarten wir von Israel nicht. Wer weiß, wann dieser Krieg endet.

 

»Vor allem benötigen wir die Unterstützung der arabischen Staaten in humanitären Angelegenheiten«

 

Umso aussichtsreicher ist wohl die militärische Unterstützung von arabischen Staaten?

Von der arabischen Militärhilfe sind wir nicht abhängig. Die Waffen und Technologien, über die sie verfügen, können wir inzwischen selber produzieren. Vor allem benötigen wir die Unterstützung der arabischen Staaten in humanitären Angelegenheiten. So haben zum Beispiel die Vereinigten Arabischen Emirate einen Gefangenenaustausch ermöglicht. Und auch Katar und Saudi-Arabien fungieren als wichtige Vermittler.

 

Obwohl Präsident Wolodomyr Zelenskyi selber jüdisch ist: Auf den kulturellen Verbindungen zu Israel kann die Ukraine nicht wirklich aufbauen. Warum?

Nehmen Sie das österreichische Beispiel: Selten waren die österreichisch-israelischen Beziehungen so schlecht wie während der Geiselnahme in Marchegg im Jahr 1973, als der österreichische Bundeskanzler Bruno Kreisky den palästinensischen Terroristen nachgab – obwohl Kreisky selber einer jüdischen Familie entstammte.

 

Sie glauben also: Je jüdischer eine Regierung, umso schlechter ihre Kontakte zu Israel?

Sicherlich nicht. Aber man hält damit nicht gleich einen Trumpf in der Hand. Als Zelenskyi vor der Knesset erwähnte, dass Israel alles dafür tun müsse, eine russische Endlösung in der Ukraine zu verhindern, wurde er dafür sehr hart angegangen. Und das obwohl die Ukraine und Israel sich immer wieder dieselbe Mär anhören müssen, dass »die Juden Schuld« sind. So zum Beispiel, als Putin Zelenskyi als »bösen Juden« bezeichnete. Als wir von Israel verlangten, für uns einzustehen, wurde ich vom israelischen Außenministerium einbestellt.

 

Auch in der Ukraine haben Juden gelitten, vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg. Wie bekämpft die Ukraine den Antisemitismus im eigenen Land?

Wir haben keinen Antisemitismus in der Ukraine. Wie sonst ist es möglich, dass wir einen jüdischen Präsidenten haben? Natürlich kommt es hin und wieder zu antisemitischen Vorfällen, aber sie werden systematisch von der Polizei verfolgt. Kürzlich sagte mir ein israelisches Kabinett-Mitglied: »Sie sind pro-israelisch, weil Russland die Hamas unterstützt.« Aber das ist zu einfach. Die Wahrheit ist, dass wir besser als jedes andere europäische Land verstehen, was es heißt, angegriffen zu werden, und wie sich Israel am 7. Oktober gefühlt haben muss.


Yevgen Korniychuk ist in der ukrainischen Stadt Winnyzja geboren und ist gelernter Rechtsanwalt. Der 57-Jährige diente im ukrainischen Justizministerium, im Kiewer Stadtrat und war in verschiedenen Parteien aktiv, unter anderem dem Parteienbündnis »Blok Juliji Tymoschenko«.

Von: 
Judith Braun und Pascal Bernhard

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