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Mediation im israelisch-palästinensischen Konflikt

Keiner will wirklich

Analyse

Mediatoren zwischen Israel und der Hamas sind rar gesät. Kaum ein Machthaber der Region sieht in einer Vermittlerrolle im israelisch-palästinensischen Konflikt noch eine Chance, sich außenpolitisch zu profilieren.

Die Eskalation zwischen Israel und der Hamas setzt sich auf einer neuen Stufe fort. Drei Tage nachdem der militärische Arm der Hamas, die Al-Qassam-Brigaden, und die militante Organisation des Islamischen Jihad den ägyptischen Waffenstillstandsvorschlag ablehnten, begann Israel in der Nacht auf Freitag mit einer Bodenoffensive im Gazastreifen. Das vorgegebene Ziel der Bodenoffensive ist die Zerstörung von Tunneln, die aus dem Gaza-Streifen nach Israel führen. Bereits am 7. Und am 17. Juli vereitelte die israelische Armee zwei Infiltrationsversuche militanter Gruppen aus dem Gazastreifen.

 

Bisher gehen nur wenige politische Analysten von einer großangelegten Offensive oder gar einer israelischen Wiederbesetzung des Küstenstreifens aus. Laut Beobachtern der israelischen Tageszeitung Haaretz steht der Premier solchen Forderungen trotz Druck aus dem ultrarechten Lager seines Kabinetts ablehnend gegenüber. Auch vom obersten Generalstabschef der Armee Benny Gantz ist bekannt, dass er eine großangelegte Offensive nicht für den richtigen Schritt hält.

 

Dennoch hat die Dauer des Krieges und die Zahl der Toten in Gaza  schon seit einigen Tagen jene des letzten Schlagabtausches zwischen Israel und der Hamas im November 2012 überschritten. Damals vermittelte die Regierung Muhammad Mursis, auf amerikanisches Ansinnen hin, erfolgreich zwischen Israels Regierung und der Hamas.

 

Der Draht zwischen Kairo und Gaza ist kalt

 

Heute sieht die Gemengelage anders aus. Die ägyptischen Kontaktdrähte zur Hamas in Gaza sind seit dem Sturz des des Muslimbruder-Präsidenten Mursi ebenso geschwunden wie das Vertrauen der Hamas in eine faire Mittlerrolle seitens der neuen Regierung am Nil. Kritiker des ägyptischen Vorschlags bemängeln, dieser sei hastig ausgearbeitet und wichtige Vertreter der Hamas dabei nicht konsultiert worden. Der neuen Regierung in Kairo wird nachgesagt, die Mediation im gegenwärtigen Krieg zwischen Israel und der Hamas zunächst nur widerwillig auf westlichen Druck hin angenommen zu haben. Für Kairo bedeutet diese Mittlerrolle auch ein Maß an innenpolitischer Erklärungsnot. Zwar steigt in Ägypten zunehmend der zivilgesellschaftliche Druck auf die Regierung, das Leid der Zivilbevölkerung in Gaza nicht tatenlos hinzunehmen. Noch Anfang des Jahres hat die Regierung in Kairo die Hamas allerdings zur Terrororganisation erklärt.

 

Bereits während Mursis Amtszeit ließ der damalige Generalstabschef Abdelfattah El Sisi etliche der Tunnel unterhalb der Grenzstadt Rafah zerstören – damals noch in Opposition zum Ex-Präsidenten. Durch diese, teils sehr solide ausgebauten Tunnel vollzog sich ein Großteil der Einfuhren in die von Israel abgeriegelte Enklave am Mittelmeer. Medikamente, Benzin, Baumaterial, aber auch Waffen – Schätzungen gehen davon aus, dass zeitweise bis zu 80 Prozent der Importe in den Gaza-Streifen über die Tunnel unterhalb der Grenze mit Ägypten liefen.

 

Feindbild Hamas – auch in Ägypten

Mit Mursis Sturz und Sisis Machtübernahme nahm der florierende Schmuggel durch die Tunnel ein Ende. Seit dem Amtsantritt des Generals wurden im Rahmen einer ausgedehnten Militäraktion der ägyptischen Armee gegen militante Islamisten auf der Sinai-Halbinsel fast alle Tunnel entlang der ägyptischen Grenze mit Gaza zerstört. Die ägyptische Regierung verdächtigte militante Islamisten aus dem Gaza-Streifen, sich mit Dschihadisten auf dem Sinai zu koordinieren und die Wüste der Halbinsel als Rückzugsraum zu nutzen.

 

Ein Bombenanschlag auf eine Polizeistation in Mansoura mit 15 Todesopfern nahm Sisis Regierung Ende 2013 zum Anlass, die ägyptischen Muslimbrüder als einzustufen. Die Folge dessen waren eine Reihe von politisch motivierten Prozessen, in denen hunderte Mitglieder der Bruderschaft zu langen Haftstrafen oder zum Tod verurteilt wurden. Auch wenn die meisten Todesurteile noch nicht endgültig rechtskräftig sind, wird der ägyptischen Justiz vorgeworfen, die Prozesse fernab jeglicher rechtsstaatlicher Standards geführt zu haben. 

 

Wenige Wochen später erklärte die neue ägyptische Regierung auch die Hamas im Gaza-Streifen zur Terrororganisation. In den Augen der Militärregierung ist die islamistische Organisation im Gaza-Streifen nicht nur ein ideologischer Ableger der Muslimbrüder, sondern auch deren militanter Arm. In der Medienkampagnen der ägyptischen Militärregierung wurde die Hamas zum Staatsfeind stilisiert. Um der veränderten Position der neuen Regierung in Kairo Nachdruck zu verleihen, ließ das ägyptische Militär Hubschrauber über Gaza kreisen und den Grenzübergang Rafah komplett schließen.

 

Neuer Partner für eine alte Politik

 

Israel fand mit Sisis Machtübernahme und seiner Politik der Abriegelung des Gazastreifens in Kairo einen neuen Partner, der die alte Politik Mubaraks fortsetzte. Die Hamas hingegen fand sich in einer bis dahin ungekannten Isolation wieder. Beflügelt durch die engen Kontakte zur nunmehr gestürzten Regierung der Muslimbrüder hatten die Islamisten in Gaza den Bruch mit ihren traditionellen Alliierten riskiert: dem Iran und der Regierung Baschar Al-Assads.

 

Durch ihre konfessionelle Parteinahme im syrischen Bürgerkrieg auf Seiten der Allianz sunnitischer Staaten, die die Rebellen gegen Assad unterstützen, verprellte die Hamas ihre langjährigen Gönner. Als Folge der verschlechterten Beziehungen zwischen dem Assad-Regime und der Führungsriege der Hamas siedelte der Chef des Politbüros der Hamas, Khaled Meschaal, von Damaskus nach Katar über. Als einzige Monarchie am Golf unterstützte Katar sowohl die ägyptischen Muslimbrüder wie auch die Hamas im Gazastreifen massiv.

 

Ohne die Finanzspritzen aus Doha hätte Mursis Regierung im Jahr ihrer Amtszeit die laufenden Kosten nicht mehr bezahlen können. Die Machthaber in Doha sahen im Aufstieg der Muslimbrüder – im Gegensatz zu den anderen Königshäusern am Golf – keine Bedrohung für die eigene Macht, sondern eine strategische Chance, um den eigenen außenpolitischen Einfluss auszuweiten. Auch die Herrscher in Gaza profitierten enorm von diesem Kalkül: Nach dem Schlagabtausch zwischen Israel und der Hamas im November 2012 finanzierte Katar großzügig Wiederaufbauprojekte im Gazastreifen.

 

Wenige Wochen zuvor hatte der damalige katarische Emir Hamad bin Khalifa Al Thani den Islamisten im Gazastreifen einen unerwarteten Publicity-Erfolg beschert: Er war das erste ausländische Staatsoberhaupt, das die isolierte Enklave am Mittelmeer besuchte.

 

Hamas: Isoliert und pleite

 

Heute steht Katar mit dieser Position nahezu isoliert da. Seit dem Mursis Sturz in Ägypten geriet das Emirat seitens der benachbarten Golfstaaten zunehmend unter Druck, die Parteinahme für die Muslimbrüder aufzugeben. Und ebenso wie die ägyptische Militärregierung sehen die Regierungen der Golfstaaten in der Hamas lediglich einen ideologischen Ableger der Muslimbrüder. Mittlerweile scheint Katar seine strategischen Positionen gegenüber den Muslimbrüdern und der Hamas zu überdenken; weitere Finanzhilfen an die Hamas blieben bisher aus.

 

Diese neue Isolation der Hamas verschlechterte im vergangenen Jahr die ohnehin prekäre wirtschaftliche Lage im Gazastreifen noch einmal zusätzlich. Durch die Zerstörung der Schmuggel-Tunnel nach Ägypten verschärfte sich die Warenknappheit, die Preise stiegen. Auch die Hamas selbst geriet in eine finanzielle Klemme: Die Gehaltszahlungen von 40.000 Mitarbeitern mussten aufgeschoben werden. Dazu kommt auch noch die Stromknappheit: Schon seit Monaten lebt die Bevölkerung Gazas mit lediglich 8 Stunden Strom im täglichen Durchschnitt – eine Ausnahme sind die hochrangigen Mitglieder der Hamas, die in der Regel eigene Generatoren besitzen.

 

Druck vom dschihadistischen Rand

 

Die wirtschaftliche Misere im Gaza-Streifen gab der wachsenden Unzufriedenheit mit der autoritären Hamas-Herrschaft neuen Auftrieb. Bereits in den vergangenen Jahren bildeten sich am radikalen Rand der Organisation salafistische und dschihadistische Gruppen – denen die Position der Hamas noch viel zu moderat ist. Selbst temporäre Waffenstillstände mit Israel sind in den Augen der islamistischen Hardliner inakzeptabel. Immer häufiger fand sich die Hamas im Konflikt mit diesen radikalen Splittergruppen, die trotz des im November 2012 ausgehandelten Waffenstillstandes Raketen auf den jüdischen Staat abfeuerten.

 

Wachsendem innenpolitischen Druck ausgesetzt und außenpolitisch isoliert, erschien die im Mai 2014 ausgerufene palästinensische Einheitsregierung zwischen Fatah und Hamas zunächst als bemerkenswerter Erfolg für die Islamisten. Doch der Schein wahrte nicht lange. Früh wurde klar, dass die Hamas nicht bereit war, die Autorität von Mahmud Abbas auch in Gaza anzuerkennen. Ebenso wenig war die Palästinensische Autonomiebehörde gewillt, Gehaltszahlungen auch an Hamas-Mitglieder nach Gaza zu überweisen.

 

Diese anhaltende Isolation der Hamas erschwert nun die Bemühungen externer Vermittler, einen Waffenstillstand auszuhandeln. Zwar laufen auch in diesen Tagen, ebenso wie im November 2012, die Kontaktdrähte in der ägyptischen Hauptstadt zusammen. Mitte Juli ist eine israelische Delegation nach Kairo gereist. Auch ein Verhandlungsteam der Palästinensischen Autonomiebehörde um Präsident Abbas ist vor Ort. Am 18. Juli reiste dieser dann zu Gesprächen mit dem türkischen Regierungschef Erdogan in die Türkei weiter.

 

Laut Quellen der israelischen Tageszeitung Haaretz bevorzugt Israel die Vermittlung aus Ägypten gegenüber einer Mittlerrolle der Türkei oder Katar. Auch wenn die offiziellen Kontakte zwischen den Ländern kühl bleiben und Israelis seit dem Sturz Mubaraks in Ägypten nicht mehr auf die benachbarte Sinai-Halbinsel in Urlaub fahren, herrscht zwischen Netanjahus und Sisis Regierung in wesentlichen regionalen Fragen ein hohes Maß an Übereinstimmung.

 

Eine Schwächung der Hamas entspricht der Agenda beider Seiten. Laut Haaretz telefonierten die beiden Staatschef am 12. Juli miteinander, um über die Eskalation in Gaza zu sprechen. Bereits im Juni habe Netanjahu Sisi per Telefon zum Wahlsieg gratuliert. Auch zwischen den Geheimdiensten beider Länder herrscht ein hohes Maß an Kooperation, vor allem hinsichtlich der Sicherheitslage auf dem Sinai.

 

Keine Hamas-Delegation in Kairo

 

Mit der Hamas hingegen bestehen laut derselben Quelle kaum noch Arbeitskontakte der ägyptischen Geheimdienste. Dies spiegelt sich in der Tatsache wieder, dass keine Hamas-Delegation nach Kairo reiste. Vor Ort befinde sich mit Mussa Abu Marzouk lediglich ein Vertreter der Organisation, der ohnehin in Kairo wohnt. Mit Hamas-Politbürochef Maschaal sprach PA-Präsident Abbas lediglich am Telefon. Meschaal stehe einer ägyptischen Mittlerrolle skeptisch gegenüber, so Haaretz.

 

Laut der Zeitung bevorzuge er Waffenstillstandsverhandlungen unter der Regie von Katar und der Türkei – beides Länder, mit deren Staatschefs er freundliche Beziehungen unterhält. Israels Beziehungen zu diesen beiden Ländern sind in den vergangenen Jahren hingegen merklich abgekühlt. Die Beziehungen zu Katar – die es offiziell nie gab, sondern sich auf inoffizielle geheimdienstliche Kontakte beschränkten – haben sich deutlich verschlechtert, seitdem der Golfstaat Meschaal beherbergt.

 

Auch die Beziehungen zur Türkei haben sich seit dem Mavi-Marmara-Vorfall im Juni 2010 nicht wirklich erholt. Damals starben 9 türkische Staatsbürger beim Versuch, die israelische See-Blockade des Gazastreifens zu durchbrechen, als das Boot von der israelischen Marine geentert wurde. In den vergangenen Tagen machte sich Premier Erdogan vor allem mit scharfer Rhetorik gegen Israel bemerkbar. In einer Rede vor Parlamentariern seiner Partei AKP beschuldigte er Israel »systematischer Verbrechen und Staatsterror seit 1948« gegen das palästinensische Volk. Einzig die Türkei sei in der Lage, sich Israel entgegen zu stellen, so Erdogan in derselben Rede.

 

In der Nacht auf den 17. Juli attackierten türkische Demonstranten das israelische Konsulat in Istanbul und die Botschaft in Ankara. Laut Angaben dort ansässiger israelischer Diplomaten griffen die anwesenden Sicherheitskräfte nicht wesentlich ein, um den Angriff zu verhindern. Israel reduzierte daraufhin sein diplomatisches Personal in seinen Vertretungen in der Türkei. Am 18. Juli trat der türkische Präsident Abdullah Gül mit dem Fatah-Chef Mahmud Abbas vor die Kameras. Ihre öffentliche Forderung: Erst wenn Israel die Kampfhandlungen in Gaza einstellt, könne mit der Ausarbeitung eines Waffenstillstandes begonnen werden.

 

Für Israel wird diese Forderung nicht tragbar sein, so die meisten Beobachter. Nach der Ablehnung des ägyptischen Waffenstillstandsangebotes seitens der Hamas fühle sich Netanjahus Regierung legitimiert, die Offensive zu verschärfen. So bleibt davon auszugehen, dass Israel bis zu einem erfolgreichen Abschluss der Waffenstillstandsverhandlungen versuchen wird, so viel militärische Infrastruktur der Hamas wie möglich zu zerstören, um die Organisation über Jahre zu schwächen. Darüberhinaus sagt der Mangel an Vermittlern im aktuellen Konflikt zwischen Israel und der Hamas auch noch etwas anderes über die Tendenzen in der Region aus: Während in Syrien und im Irak große Flächenstaaten zu zerfallen drohen, ist der israelisch-palästinensische Konflikt für die meisten Machthaber der Region zu einem marginalen Szenario geworden.

Von: 
Martin Hoffmann

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