Ab 2014 wird der Flugverkehr zwischen der EU und Israel schrittweise liberalisiert. »Open-Skies« verspricht günstige Tickets und mehr Touristen. Doch die israelische El Al geht auf die Barrikaden – und gründet eine neue Billigfluglinie.
Freudestrahlend setzten EU-Transportkommissar Siim Kallas und Israels Verkehrsminister Israel Katz am 10. Juni 2013 ihre Unterschriften unter das Dokument – kaum etwas deutete darauf hin, dass die Unterzeichnung des »Open-Skies«-Abkommens zwischen Israel und der Europäischen Union über Jahre äußerst zäh verhandelt wurde. »Open Skies« klingt nach Freiheit und Grenzenlosigkeit und ist das Vertragsinstrument der Europäischen Union, um auch außerhalb ihres Raumes den Flugmarkt zu liberalisieren und den Flugverkehr zu harmonisieren.
In den vergangenen Jahren wurden solche Verträge schon mit den Ländern des Westbalkan, Marokko, Jordanien, Georgien und Moldawien geschlossen. Die Ukraine, Aserbaidschan, der Libanon und Tunesien sollen in Zukunft auch Partner des offenen Luftraums werden. Die geografische Verteilung deutet bereits an, dass damit der 1995 angestoßene Barcelona-Prozess der europäisch-mediterranen Annäherung fortgeführt werden soll.
Dass das Abkommen mit Israel viel Kraft und Zeit in Anspruch nehmen würde, dürfte allerdings allen Beteiligten früh klar gewesen sein. Bereits 2007 schlug die Europäische Kommission vor, »Israel eine umfassende verstärkte Zusammenarbeit in der Zivilluftfahrt in Aussicht zu stellen«. Eine optimistische und nicht unerheblich eurozentristische Sichtweise, war Israel doch zu keinem Zeitpunkt wirklich darauf versessen, seinen konservativen und protektionistisch anmutenden Flugverkehrsmarkt den europäischen Konkurrenten zu öffnen.
Obwohl sich beide Seiten dann »schon« im Juli 2012 einig waren, verschob die Regierung Netanjahu mit Blick auf ihre Beliebtheitswerte die endgültige Unterzeichnung auf die Zeit nach den Knesset-Wahlen im Januar 2013. Nach der Unterzeichnung am 10. Juni tritt das Abkommen im April 2014 in Kraft und ersetzt die zahlreichen bilateralen Kapazitätsvereinbarungen.
Und es klingt in der Tat vielversprechend, was EU-Kommissar Kallas alles in Aussicht stellte: mehr Direktflüge von und nach Israel, niedrigere Flugpreise, mehr Arbeitsplätze und wirtschaftliche Vorteile für beide Seiten. Und die sollen es mit einem Volumen von 350 Millionen Euro durchaus in sich haben. Ab April 2014 werden in den nächsten fünf Jahren bestehende Restriktionen schrittweise aufgehoben, sodass das Abkommen 2018 vollständig umgesetzt sein soll.
Sieben Flüge pro Woche und Herkunftsflughafen dürfen die Airlines dann jährlich hinzufügen, damit sich der Markt langsam anpassen und selbst regulieren kann. In welchem Ausmaß die neuen Bestimmungen genutzt werden, darüber kann momentan nur spekuliert werden. Denn mit 57 Prozent aller Flugbewegungen ist die EU bereits jetzt schon der bedeutendste Flugverkehrsmarkt für Israel. 7,2 Millionen Passagiere werden jedes Jahr zwischen Israel und den 28 EU-Mitgliedsstaaten befördert.
Air Berlin will in einem ersten Schritt sein wöchentliches Angebot von 15 auf 22 Flüge erhöhen und »abhängig von der Marktnachfrage könnten wir dies noch auf 30 Flüge erweitern«, so der Vertreter der Fluglinie in Israel, Moni Bar gegenüber zenith. easyJet hat bereits angekündigt, schon ab Februar beispielsweise drei wöchentliche Verbindungen zwischen Tel Aviv und Berlin einzurichten – zu bisher unbekannten Schnäppchen-Preisen.
Robin Kiely, Leiter der Unternehmenskommunikation von Ryanair, drückte es da noch etwas vorsichtiger aus: »Wir führen Sondierungsgespräche mit verschiedenen israelischen Flughäfen, um unsere niedrigen Preise auf dem Markt anzubieten.« Er dürfte dabei auch den neuen internationalen Flughafens in Timna bei Eilat am Roten Meer im Blick haben, den die Regierung 2011 genehmigt hat und der schon 2016 fertiggestellt werden soll.
Ryanairs Geschäftsführer Michael Cawley gab sich der israelischen Wirtschaftszeitung Globes gegenüber schon selbstbewusster: »Wir werden jährlich vier bis fünf Millionen Touristen nach Israel bringen.« Für Aufruhr sorgte die Ankündigung des irischen Ultra-Low-Cost-Carriers, eine Verbindung zwischen Tel Aviv und Krakau einrichten zu wollen, damit noch mehr israelische Kinder und Jugendliche das Vernichtungslager im 70 Kilometer entfernten Auschwitz schneller und günstiger besichtigen können.
Hotels und Airlines frohlocken – aber reichen die Kapazitäten überhaupt aus?
Doch ein ganz anderes, praktisches Problem könnte die Pläne der Fluglinien durchkreuzen, denn Gates sind auch auf israelischen Flughäfen ein knappes Gut. »Erst werden alle Fluglinien darum kämpfen – und dann auch noch um die einzelnen Abflug-Slots«, sagt der renommierte Luftfahrtexperte Israel »Izzy« Borovich. Der 71-Jährige war von 2005 bis 2008 Vorsitzender des Vorstandes von El Al und gehörte dem Gremium noch bis 2011 an.
Und so bleiben die großen Carrier im wahrsten Sinne des Wortes erst einmal auf dem Boden. Lufthansa, Swiss und British Airways wollen »den Markt beobachten«, bevor sie ihre Flugpläne anpassen. Obwohl sie einen Teil ihres Marktanteils an die Billigflieger verlieren dürften, sehen sie dem Wettbewerb gelassen entgegen. Ihre Preise für Israel-Flüge seien sowieso schon hart kalkuliert und damit absolut konkurrenzfähig. Premierminister hat derweil das Ziel ausgegeben, binnen zehn Jahren zehn Millionen Touristen jährlich für Israel zu gewinnen.
Zum Vergleich: Ägypten wurde im Spitzenjahr 2010 vor dem Ausbruch der Revolutionen von 14 Millionen Reisenden angesteuert. Das Ziel scheint umso ambitionierter, wenn man sich vor Augen führt, dass 2012 gerade 3,5 Millionen Touristen den Weg nach Israel gefunden haben und die Zahl in letzter Zeit eher stagnierte denn abhob. Besucheranteile verschieben sich zudem immer mehr hin zu Kreuzfahrt-Tagesbesuchern, die weitaus weniger Ausgaben im Lande tätigen.
Dass das »Open-Skies«-Abkommen Kurzzeitbesuche erleichtert, wird von der Hotelindustrie allerdings grundsätzlich als Lichtblick gewertet. »Wir erwarten große Zuwächse bei Wochenend-Touristen und Geschäftsreisenden«, frohlockt Alex Herman vom 5-Sterne-Hotel Inbal in Jerusalem. Die 10-Millionen-Zielmarke sieht Izzy Borovich dagegen skeptisch: »Unsere Hotels sind doch jetzt schon voll.
In der Saison gibt es kaum Zimmer. Es fehlen vorne und hinten die Kapazitäten», und fordert: »Die Regierung müsste jetzt schon viel mehr in die Infrastruktur investieren.« Doch für seine Skepsis hat der Luftfahrt-Veteran noch ganz andere Gründe. Über ein beachtliches 17-Prozent-Aktienpaket an der Knafaim Holding Ltd., die mit 39,3 Prozent größte El Al-Anteilseignerin ist, hat Borovich immer noch indirekten Einfluss bei der größten israelischen Fluglinie, die Hauptbedenkenträger gegen das Abkommen war und ist.
Große Belegschaft, ineffiziente Abläufe und ein nicht wettbewerbsfähiges Produkt
Jahrzehntelang in Staatsbesitz, hat El Al seit seiner Privatisierung im Jahr 2003 nur in zwei Jahren Gewinne abgeworfen. Das eigene Management errechnete in einer Studie, dass die Ineffizienz des Unternehmens seit der Privatisierung mehr als 600 Millionen Euro gekostet hat. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Als Point-to-Point-Anbieter kann El Al mit den weltumspannenden Netzen von Lufthansa, Air France oder Emirates nicht mithalten. Vor allem im Bereich der zahlungskräftigen Business-Reisenden werden damit keinerlei nennenswerte Marktanteile gewonnen.
Während ein schlüssiger Flottenerneuerungsplan fehlt, ist El Al mit 6.000 Mitarbeitern zudem überdimensioniert. Der direkte Nachbar Royal Jordanian hat bei gleicher Flottenstärke und mehr Fluggästen eine um ein Viertel kleinere Belegschaft. Rücksichtnahme auf religiöse Sensibilitäten und die politische Isolation Israels setzen dem Spielraum für einen wirtschaftlichen Betrieb ebenso enge Grenzen.
Weil El Al am heiligen Schabbat nicht fliegt, braucht die Fluglinie eine Auslastung von mehr als 80 Prozent, um profitabel zu wirtschaften – Emirates reichen dafür schon 70 Prozent. Erschwerend kommt hinzu, dass El Al für viele arabischen Länder keine Überflugrechte erhält. Weil die El Al-Maschinen etwa nicht den Weg über Saudi-Arabien nehmen dürfen, dauern Flüge nach Asien drei Stunden länger als bei der Konkurrenz.
Am schwersten wiegen aber wohl die horrenden Sicherheitskosten, die nur die israelischen Fluggesellschaften zu schultern haben. Die israelische Luftsicherheit unterliegt den vermutlich strengsten Anforderungen weltweit. Auf 116 Millionen US-Dollar belaufen sich die Kosten im Jahr – allein für El Al. Die Fluglinie führt diese Belastung oft als Hauptargument ins Feld, um zu begründen, warum man per se nicht in der Lage ist, international an einem fairen Wettbewerb teilzunehmen. Um die Gemüter etwas zu besänftigen, hat die Regierung den Fluglinien zugesichert, den staatlichen Anteil an den Sicherheitskosten von einst 65 Prozent auf 97 Prozent massiv anzuheben und damit finanziell zu entlasten.
Der emotionale Appell der Führungsriege des Unternehmens stößt auf ein geteiltes Echo
Trotz der staatlichen Hilfen dürfte die Luft für El Al nach Umsetzung des »Open-Skies«-Abkommen dünn werden, Spielraum für Ticketpreissenkungen etwa gibt es kaum. In der Tat schloss das israelische Verkehrsministerium in einem internen Report nicht aus, dass die Marktöffnung zum Zusammenbruch von El Al führen könnte. Als das Dokument zum Zeitpunkt der Knesset-Abstimmung über »Open-Skies« im April 2013 geleakt wurde, traten die drei israelischen Fluggesellschaften El Al, Arkia und Israir prompt in einen Solidarstreik.
Für viele nicht nur konservative Israelis und orthodoxe Juden ist die Airline aber mehr als nur irgendein Marktteilnehmer, sondern auch Ausdruck von israelischem Nationalstolz und jüdischem Lebensgefühl. Staat und Steuerzahler halten die Fluglinie so seit Jahren am Leben. Mit Blick auf das nun geschlossene Abkommen monierte der gegenwärtige CEO von El Al, Eliezer Shkedi, dass »unsere Regierung nicht verstanden hat, dass eine starke israelische Flugverkehrsindustrie aufrechterhalten werden muss, um im Notfall eine Luftbrücke von und nach Israel zu gewährleisten.«
Doch der emotionale Appell der Führungsriege des Unternehmens stößt auf ein geteiltes Echo. In Investorenkreisen etwa sieht man »Open-Skies« als notwendigen Anstoß, um die Fluglinie und den gesamten israelischen Flugmarkt grundlegend zu verändern. Dies scheint sich zu bewahrheiten. Kurzfristig entschied man sich bei El Al allerdings erstmal für eine sehr pragmatische Lösung: Die Ad-hoc-Gründung einer Billigfluglinie, die einige der bisherigen Kurzstrecken bedienen soll.
So soll »Up«, wie sich der israelische Low-Cost-Carrier nennt, ab März 2014 wöchentlich je elf Flüge nach Berlin, Budapest, Kiew, Larnaca und Prag anbieten. Preislich soll es bei etwa 70 Euro pro Richtung losgehen. El Al könnte sich so mittelfristig mehr dem profitableren Langstreckengeschäft widmen und würde sich damit auch den regional bedeutenden Hubs Istanbul und Dubai nicht ganz kampflos ergeben. So könnten nicht nur neue Zielgruppen, Business-Reisende und Umsteigende erschlossen werden, die sagenumwobene Fluglinie würde sich zudem von der Billig-Konkurrenz abgrenzen können, die nun mit dem »Open-Skies«-Abkommen auf den israelischen Flugmarkt drängt.