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Deutschland und der Gaza-Krieg

Sargnagel für die feministische Außenpolitik

Kommentar
Deutschland und der Gaza-Krieg
Hossam el-Hamalawy / Flickr

Die Haltung der Bundesregierung im Gaza-Krieg läuft nicht nur den selbst gesteckten Prinzipien entgegen, sondern erweist vor allem dem Engagement für Frauenrechte im Nahen Osten einen Bärendienst.

Als Annalena Baerbock am 1. März 2023 die Leitlinien ihrer feministischen Außenpolitik vorstellte, waren viele begeistert. »Wenn Frauen nicht sicher sind, dann ist niemand sicher«, verkündete die Außenministerin damals. Angesichts des Gaza-Krieges und Deutschlands ungebrochener Unterstützung für den israelischen Militäreinsatz in Gaza klingt der Satz mittlerweile wie eine Farce. Seit dem 7. Oktober sind über 33.000 Menschen, der Großteil von ihnen Frauen und Kinder, in Gaza getötet worden. Frauen, und mit ihnen alle anderen Menschen in Gaza, sind nicht sicher – zumindest mit dieser Aussage sollte die Außenministerin Recht behalten.

 

Das Auswärtige Amt hat sich im Rahmen der feministischen Außenpolitik zehn Leitlinien gesetzt. Leitlinien 1 und 3 sind für die deutsche Positionierung im Gaza-Krieg von besonderer Bedeutung. Leitlinie 1 besagt, dass feministische Außenpolitik die Perspektive von Frauen und marginalisierten Gruppen in das weltweite Engagement für Frieden und Sicherheit einbindet. Der Schutz der Zivilbevölkerung und der Schutz besonders gefährdeter Gruppen stehen dabei im Vordergrund. Die Strategie des Auswärtigen Amtes hebt hervor, dass im Jahr 2023 insgesamt 565 Millionen Euro in die Prävention von bewaffneten Konflikten, die Eindämmung ausgebrochener Krisen und gesellschaftliche Aushandlungsprozesse investiert wurden. Weiterhin ist in der Strategie nachzulesen, dass sich das Auswärtige Amt gegen »den Einsatz von Explosivwaffen in dicht besiedelten Gebieten« einsetzt.

 

Der Fokus der feministischen Außenpolitik auf bewaffnete Konflikte ist gut nachvollziehbar. Die Forschung zeigt, dass Frauen und Kinder dort besonders unter den indirekten Folgen von erschwertem Zugang zu Nahrung, Wasser, und medizinischer Versorgung leiden. Umso erstaunlicher ist es, dass sich die Bundesregierung erst seit Ende März 2024 für »eine sofortige humanitäre Feuerpause«, die zu einem »dauerhaften Waffenstillstand« führen soll, einsetzt. Bis dato hatte sich die deutsche Regierung geweigert, einen permanenten Waffenstillstand zu fordern; sie gehörte international zu den lautesten Stimmen, die dies sogar ausdrücklich ablehnten.

 

Allein im ersten Monat hat die israelische Armee über 25.000 Tonnen Sprengstoff in Gaza detoniert

 

Obwohl diverse Organisationen der Vereinten Nationen in einer gemeinsamen Erklärung bereits am 3. November 2023 Alarm geschlagen hatten, dass Frauen, Kinder und Neugeborene unverhältnismäßig stark unter den Folgen der israelischen Bombardierung leiden. Leitlinie 1 hätte, wenn sie handlungsleitend gewesen wäre, erwarten lassen, dass der Schutz von Zivilisten und die Beendigung der Gewalt für die deutsche Regierung von oberster Priorität gewesen wären. Das Gegenteil ist der Fall. Die Regierung hat sich auch nicht gegen den Einsatz von Explosivwaffen in Gaza ausgesprochen, obwohl der Gazastreifen eines der weltweit am dichtesten besiedelten Gebiete ist. Allein im ersten Monat hat die israelische Armee über 25.000 Tonnen Sprengstoff in Gaza detoniert. Das entspricht in etwa den zwei Atombomben, die die Vereinigten Staaten am Ende des Zweiten Weltkriegs in Japan eingesetzt haben.

 

Ebenso nachvollziehbar setzt feministische Außenpolitik in der Theorie auf Rüstungskontrolle und Abrüstung – beides Instrumente, um die Wahrscheinlichkeit von Konflikten zu verringern und die Sicherheit für alle Menschen zu erhöhen. Hier ist im Fall Gaza die Diskrepanz zwischen Strategie und Realität besonders eklatant. Anstatt auf Deeskalation zu setzen, heizte die Bundesregierung den Konflikt durch Rüstungsexporte weiter an. Im Jahr 2023 haben sich diese Ausfuhren nach Israel im Vergleich zum Vorjahr verzehnfacht, ein Großteil hiervon wurde nach dem 7. Oktober genehmigt. Die Bundesregierung genehmigte insgesamt Rüstungsexporte nach Israel im Wert von 326,5 Millionen Euro. Darunter waren Kriegswaffen für 20,1 Millionen Euro. Bis Februar 2024 genehmigte die Regierung den Export von Rüstungsgütern im Wert von etwa neun Millionen Euro.

 

Experten der Vereinten Nationen haben am 23. Februar alle Staaten aufgefordert, Waffenlieferungen an Israel, einschließlich Ausfuhrgenehmigungen und Militärhilfe, unverzüglich einzustellen. Staaten müssen gemäß der Genfer Konvention von 1949 davon absehen, Waffen und Munition zu liefern, falls zu erwarten ist, dass sie für Verstöße gegen das Völkerrecht verwendet werden.

 

Trotz gegenteiliger internationaler Empfehlungen exportiert Deutschland weiterhin Rüstungsgüter nach Israel

 

In einem jüngsten Bericht kam die Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen über die Lage der Menschenrechte in den seit 1967 besetzten palästinensischen Gebieten, Francesca Albanese, zu dem Urteil, dass es begründete Anhaltspunkte dafür gibt, dass Israel im Gazastreifen Völkermord begeht. Die Bundesregierung beschränkt sich indes darauf, Israel an die Einhaltung des humanitären Völkerrechts zu erinnern. Sollte sich später herausstellen, dass die Bundesregierung bereits seit vielen Monaten Kenntnis darüber hat, dass Israel in Gaza Kriegsverbrechen begeht, aber trotzdem öffentlich weiter an der Aussage festhält, Israel würde sich an das humanitäre Völkerrecht halten, wäre das eine gezielte Täuschung der deutschen Bevölkerung.

 

Trotz gegenteiliger internationaler Empfehlungen exportiert Deutschland weiterhin Rüstungsgüter nach Israel. Die Bundesrepublik steht damit auch innerhalb Europas zunehmend isoliert da. Belgien, Italien und Spanien haben ihre Rüstungsexporte bereits eingestellt. Die Niederlande dürfen nach einer erfolgreichen Klage verschiedener Menschenrechts- und Friedensorganisationen keine Ersatzteile für Kampfjets mehr nach Israel exportieren. Am 5. April nahm der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen fünf Resolutionen an, in denen unter anderem ein sofortiger Waffenstillstand im Gazastreifen und ein Stopp der Rüstungsexporte nach Israel gefordert wird. Deutschland stimmte als einziges europäisches Land dagegen.

 

Rüstungsexporte an eine Regierung zu genehmigen, gegen die eine Klage wegen Verstößen gegen die Völkermordkonvention angenommen und vorläufige Maßnahmen angeordnet worden sind, sind ein Verstoß gegen das Völkerrecht und widersprechen einer feministischen Außenpolitik, die sich aus der Friedenspolitik speist und für Rüstungskontrolle und Abrüstung einsetzt. Deutschland hat angesichts der apokalyptischen Situation im Gazastreifen seine humanitäre Hilfe aufgestockt und betont stets sein humanitäres Engagement. Die Bundesrepublik betreibt hier Augenwischerei. Es ist schon beinahe schizophren, einer Kriegspartei Waffen zu liefern und gleichzeitig die zivilen Opfer des Gebrauchs ebendieser Waffen zu beklagen.

 

Unter Leitlinie 1 der feministischen Außenpolitik wird außerdem der Kampf gegen sexualisierte Gewalt in bewaffneten Konflikten besonders hervorgehoben. Pramila Patten, die UN-Sonderbeauftragte für sexuelle Gewalt in Konflikten, kommt zusammen mit einem Expertenteam zu dem Schluss, dass Geiseln in Hamas-Gefangenschaft Vergewaltigungen und sexueller Folter ausgesetzt waren und vermutlich noch sind. Zudem stellen die Experten fest, dass es hinreichende Gründe für die Annahme gibt, dass es am 7. Oktober an mehreren Orten zu konfliktbedingter sexueller Gewalt gekommen ist, einschließlich Vergewaltigungen und Gruppenvergewaltigungen an mindestens drei Orten im Süden Israels. Richtigerweise hat die Bundesregierung die sexuellen Übergriffe der Hamas verurteilt, Hilfe bei der Beweissicherung sowie Unterstützung für die Opfer zugesagt sowie Sanktionen gegen die Täter auf EU-Ebene vorangetrieben.

 

Das Unvermögen, die offensiv als feministisch beworbene Außenpolitik umzusetzen, schadet auch dem Feminismus an sich

 

Experten der Vereinten Nationen haben jedoch auch sexuelle Gewalt gegen palästinensische Frauen und Mädchen seit dem 7. Oktober angeprangert. Sie äußerten ihre ernste Besorgnis über die willkürliche Inhaftierung hunderter palästinensischer Frauen und Mädchen seit dem 7. Oktober. Die Vereinten Nationen stufen die Berichte, wonach palästinensische Frauen und Mädchen in Haft vielfältigen Formen sexueller Übergriffe ausgesetzt waren, als glaubwürdig ein. Mindestens zwei weibliche palästinensische Gefangene wurden Berichten zufolge vergewaltigt, andere wurden mit Vergewaltigung und sexueller Gewalt bedroht. Äußerungen der Bundesregierung hierzu sucht man jedoch vergeblich. Weder wurden die sexuellen Gewalttaten gegen palästinensische Frauen und Mädchen durch die israelische Armee verurteilt noch Hilfe angeboten oder Aufklärung gefordert. Eine feministisch geleitete Außenpolitik hätte die Rechte aller von diesem Konflikt betroffenen Frauen versucht zu schützen.

 

Leitlinie 3 besagt, dass eine feministische Außenpolitik aktiv thematisiert, wo die Rechte von Frauen und marginalisierten Gruppen gefährdet sind. Die Situation von Frauen in Gaza könnte schlimmer kaum sein. Etwa 60.000 Schwangere in Gaza leiden unter Unterernährung, Dehydration und fehlendem Zugang zu medizinischer Versorgung. Frauen sind gezwungen, ihre Kinder auf der Straße, in überfüllten Notunterkünften oder im Auto zur Welt zu bringen, weil sie kein Krankenhaus erreichen konnten. Es fehlt an Schmerzmitteln. Kaiserschnitte finden ohne Anästhesie statt. Frauen haben keinen Zugang zu Menstruationsprodukten, Toiletten oder sauberem Wasser. Kinder verhungern.

 

Die Bundesregierung kritisierte richtigerweise die Situation afghanischer Frauen unter den Taliban oder die Missachtung von Frauenrechten in Iran durch das iranische Regime. Das immense Leid palästinensischer Frauen und Kinder wird in keiner annähernd vergleichbaren Weise thematisiert oder Verantwortlichkeiten für ihr Leid klar benannt. Dies nährt den Eindruck, dass die Bundesregierung sich nur dann kritisch zu Frauenrechten positioniert, wenn die Verstöße von einem politischen Gegner begangen werden.

 

Das Unvermögen, die offensiv als feministisch beworbene Außenpolitik umzusetzen, schadet auch dem Feminismus an sich. Feminismus wird zunehmend als westliches Machtinstrument wahrgenommen, welches selektiv eingesetzt wird. Das ist auch deshalb gefährlich, weil der Feminismus in der arabischen Welt seit der Kolonialzeit einen schweren Stand hat. Die bedeutende ägyptisch-amerikanische Wissenschaftlerin Leila Ahmed hat den Begriff des »kolonialen Feminismus« geprägt. Damit ist die Idee gemeint, dass der Status der Frau die lokale Kultur bestimmt. Fortschritte für Frauen könnten nur erreicht werden, wenn die lokale Kultur aufgegeben würde.

 

Frauenrechtsorganisationen können mit einer Bundesregierung, die sich so einseitig positioniert, nicht mehr zusammenarbeiten

 

Lord Cromer, der britische Generalkonsul Ägyptens von 1883 bis 1907, präsentierte sich beispielsweise selbst als Vorkämpfer der Rechte ägyptischer Frauen, verurteilte aber im gleichen Atemzug die Suffragetten, die sich für das Wahlrecht von Frauen in England einsetzten. Leila Ahmad hat argumentiert, dass diese Art der Doppelmoral dem Feminismus in nicht-westlichen Gesellschaften seitdem mit dem Makel versehen hat, als Instrument der Kolonialherrschaft gedient zu haben. In der jüngeren Vergangenheit hat die US-amerikanische Regierung die Invasion Afghanistans als Befreiung der afghanischen Frau dargestellt. Diese Instrumentalisierung von Frauenrechten hat Spuren hinterlassen.

 

In vielen Interviews, die ich mit Frauenrechtsaktivistinnen in Jordanien, Marokko, Algerien oder Syrien geführt habe, wird immer wieder betont, wie häufig diese Frauen von sozialkonservativen Kräften in ihren eigenen Ländern attackiert werden, weil sie als Feministinnen angeblich in den Diensten »westlicher Agenten« stehen. Die Finanzierungen, die viele dieser Gruppen von westlichen Geldgebern erhalten, werden als Beweis dafür herangezogen, dass Frauenrechtsgruppen als verlängerter Arm des Westens fungieren. Frauenrechtsorganisationen können mit einer Bundesregierung, die sich so einseitig positioniert, nicht mehr zusammenarbeiten, ohne für diese Zusammenarbeit massiv in die Kritik zu geraten. Akteure in der islamischen Welt, die Feminismus als rein westliches Machtmittel verstehen, sehen sich durch die aktuelle Politik der Bundesregierung bestätigt.

 

Eine feministische Außenpolitik richtet sich insbesondere auch auf den Nahen Osten. In der arabischen Welt, einer vielfältigen Gruppe von 22 Ländern, ist die Diskriminierung von Frauen weit verbreitet. Die arabischen Staaten sind regelmäßig die Schlusslichter in der weltweiten Rangliste der Gleichberechtigung der Geschlechter. Die Gründe dafür sind vielfältig, aber es ist klar, dass Konflikte, Kriege und militärische Interventionen den Rechten von Frauen und marginalisierten Gruppen besonders schaden. Eine feministische Nahostpolitik sollte daher immer ein besonderes Engagement für den Frieden sein und auf politische Lösungen statt auf weitere Militarisierung setzen. Gerade weil eine feministische Außenpolitik einen besonderen Fokus auf die arabische Welt legt, kann sie nur wirksam sein, wenn Deutschland in der Region als ehrlicher Vermittler wahrgenommen wird.

 

Ein Jahr nach der Veröffentlichung der Strategie über die feministische Außenpolitik ist klar: Deutschlands Außenpolitik ist nicht nur nicht feministisch, sie verstößt teils eklatant gegen die Leitlinien, die sich die Bundesrepublik selbst gesetzt hat. Dass diese Politik von einer rot-grün geführten Regierung geführt wird, ist im negativen Sinne bezeichnend. Beide Parteien sind zumindest in Teilen aus der Friedensbewegung hervorgegangen. Auch das Schweigen der Grünen Jugend und der Jusos ist überraschend, wie auch das Schweigen des Deutschen Zentrums für Feministische Außenpolitik. Hier wird einer den Krieg beschleunigenden Politik ein progressiver Anstrich verliehen. Falls schon das menschliche Leid sie nicht einlenken lässt, dann vielleicht die Sorge um das Klima. Der Krieg ist ein echter Klimasünder. Etwa fünf Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen werden durch Krieg verursacht. Vielleicht wäre das ein Ansporn für eine rot-grün geführte Regierung, einen Kurswechsel zu wagen.


Dörthe Engelcke promovierte 2015 an der Universität Oxford in Nahostwissenschaft und forscht zu Recht, Politik und Geschlechterfragen in Westasien und Nordafrika.

Von: 
Dörthe Engelcke

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