Iran setzt in der Auseinandersetzung mit Israel auf eine riskante Doppelstrategie. Doch die Luftschläge gegen die Revolutionsgarde werfen Fragen über die Verteidigungsbereitschaft der Islamischen Republik auf.
In den frühen Morgenstunden des 14. April startete Iran Drohnen- und Raketenangriffe auf Israel, offenbar als Vergeltung für die Bombardierung des iranischen Botschaftskomplexes in Damaskus am 1. April. Diese Eskalation hat in der Fachwelt Debatten über ihre Bedeutung und Implikationen ausgelöst. Der Angriff auf Isfahan am 19. April, bei dem Drohnen eingesetzt wurden, die möglicherweise in Iran oder einem Nachbarland starteten, und der anschließend von den iranischen Behörden heruntergespielt wurde, hat die Gemengelage weiter verkompliziert.
Der Nahe Osten hat in den letzten Jahren erhebliche Veränderungen erfahren, die vor allem auf die Abraham-Abkommen und die engere Anbindung Israels an das US-amerikanische Zentralkommando CENTCOM zurückzuführen sind. Diese Entwicklungen haben neue Sicherheitsbedenken für Iran aufgeworfen, da die Ausweitung der militärischen und geheimdienstlichen Zusammenarbeit zwischen Israel und seinen potenziellen regionalen Verbündeten die Kräfteverhältnisse verschoben haben. Die Kooperation wurde nach dem unerwarteten Besuch des ehemaligen israelischen Verteidigungsministers Benny Gantz in Bahrain im Jahr 2022 intensiviert, bei dem er eine Absichtserklärung unterzeichnete, um den Austausch von Geheimdienstinformationen zu verbessern und die Zusammenarbeit zu formalisieren. Diesem Schritt folgte die Ankündigung Israels, einen Militärattaché im Hauptquartier der 5. Flotte der US-Marine in Bahrain zu entsenden, was diese Allianzen weiter festigte.
Obwohl Iran nicht gegen die Normalisierung der Beziehungen zwischen den Arabern am Persischen Golf und Israel vorgehen kann, ist man in Teheran besorgt über die militärische Konvergenz der Araber mit Israel und den Vereinigten Staaten. Die Golfstaaten stehen seit vielen Jahren unter dem amerikanischen Sicherheitsschirm. Was Iran als ernsthafte Bedrohung ansieht, ist die Annäherung der Araber an Israel unter der Führung der Vereinigten Staaten.
Die Schaffung eines gemeinsamen Luftverteidigungssystems, das von den USA und Israel mit den Arabern in Betracht gezogen wird, ist Ausdruck dieser gebündelten Kapazitäten. In Reaktion auf den iranischen Angriff auf Israel war das gemeinsame Verteidigungssystem zwischen den USA, Jordanien, Großbritannien und Frankreich mit dem mehrschichtigen israelischen Verteidigungssystem in der Lage, die meisten abgefeuerten Raketen und Drohnen zu zerstören. Einigen Meldungen zufolge haben Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate auch die USA und Israel in diesem Bereich mit Informationen unterstützt.
Iran nimmt diese Entwicklungen als direkte Bedrohung seiner Interessen wahr und stellt sie in den breiteren Kontext der Israel zugeschriebenen strategischen Pläne. Zum Beispiel zielt Israels Strategie gezielter, aber begrenzter Schläge darauf ab, iranische Interessen zu treffen, ohne einen umfassenden Krieg zu provozieren. Zu diesem Ansatz gehört auch, die regionalen Stellvertreter Irans und gelegentlich auch das iranische Regime selbst ins Visier zu nehmen.
Anschaffung und Entwicklung von radarumgehenden Waffen wie Hyperschallraketen sind Ausdruck von Teherans Bemühungen, den expandierenden israelischen Luftabwehrsystemen entgegenzuwirken
Hinzu kommt die sogenannte Oktopus-Doktrin, die darauf abzielt, Bedrohungen an ihrer Quelle zu unterbinden, indem sie Vertreter des iranischen Regimes direkt angreift, anstatt sich nur auf seine Stellvertreter zu konzentrieren. Diese Strategie fand Anwendung bei der Tötung von Hassan Sayyad Khodaei, einem hochrangigen Kommandeur der Revolutionsgarde Anfang des Jahres, sowie dem Angriff auf den iranischen Botschaftskomplex Im April, bei dem mit Mohammad Reza Zahedi ein hochrangiger Kommandeur der Garde ums Leben kam.
Neben der sicherheitspolitischen Herausforderung wird in Iran auch die wachsende wirtschaftliche Vernetzung zwischen Israel und anderen Ländern der Region kritisch wahrgenommen. In dieser Hinsicht erschwert der vorgeschlagene Wirtschaftskorridor Indien-Nahost-Europa (IMEC) das strategische Kalkül Irans zusätzlich. Diese Route, die auf dem G20-Gipfel im vergangenen Jahr angekündigt wurde, könnte Indien über den Persischen Golf mit Israel verbinden und die Bedeutung des iranischen Nord-Süd-Korridors verringern, zu dem auch der iranische Hafen von Chabahar gehört.
Iran hat auf diese sich verändernde Dynamik mit einem vielschichtigen Ansatz reagiert. Teheran hat sich zum Ziel gesetzt, die Spannungen mit wichtigen regionalen Akteuren wie Saudi-Arabien, Ägypten, Jordanien und Bahrain zu deeskalieren. Gleichzeitig hat man die Unterstützung für Gruppen wie den Islamischen Dschihad intensiviert und neue Fraktionen in der »Achse des Widerstands« gebildet, um zusätzlichen Druck auf Israel auszuüben, etwa im Westjordanland. Teherans Ziel ist es, eine zweite, Gaza ähnliche Front zu schaffen, die Israel zwingt, sich auf seine unmittelbare Umgebung zu konzentrieren.
Auch die militärischen Kapazitäten Irans entwickeln sich weiter. Die Anschaffung und Entwicklung von radarumgehenden Waffen wie Hyperschallraketen sind Ausdruck von Teherans Bemühungen, den expandierenden israelischen Luftabwehrsystemen entgegenzuwirken. Darüber hinaus deutet der Versuch Irans, Suchoi-35-Kampfflugzeuge von Russland zu kaufen, auf eine Verlagerung hin zu fortschrittlicherer militärischer Ausrüstung hin, die wahrscheinlich darauf abzielt, Israels überlegene Kapazitäten in der Luft auszugleichen. Israels jüngster Angriff auf Iran zeigte, wie verwundbar das Raketenabwehrsystem S-300 ist. Meldungen zufolge wurden die israelischen Raketen vom iranischen Luftabwehrradar nicht erkannt und trafen so ungestört das Ziel.
Die Partnerschaft könnte künftig auch russische Unterstützung Russlands für Irans regionale strategische Ziele nach sich ziehen
In diesem Zusammenhang spiegeln die Beziehungen zu Russland und China eine umfassendere strategische Neuausrichtung wider. Die Politik der iranischen Führung des »Blicks nach Osten«, wie sie Ayatollah Ali Khamenei nannte, hat Teherans Unterstützung für Russlands Krieg in der Ukraine gefestigt, indem man Kamikaze-Drohnen zur Verfügung stellt und die Lieferung ballistischer Raketen in Betracht zieht. Diese Partnerschaft könnte künftig auch russische Unterstützung Russlands für Irans regionale strategische Ziele nach sich ziehen.
Die jüngsten militärischen Aktionen Irans haben deutlich gezeigt, dass die Islamische Republik bereit ist, regionale Normen in Frage zu stellen. Die Beschlagnahmung eines Containerschiffs in der Straße von Hormus und die von Iran unterstützten Angriffe der Huthis auf Transportwege im Roten Meer sind Beispiele für dieses Durchsetzungsvermögen. Der Vorfall vom 13. April, an dem ein unter portugiesischer Flagge fahrendes Schiff beteiligt war, das mit der Zodiac Group des israelischen Milliardärs Eyal Ofer in Verbindung steht, bezeugt die Bereitschaft Irans, die Seehandelsrouten zu unterbrechen.
Diese offensiven Schritte haben auch innenpolitische Auswirkungen. Die steigende Zahl von Militärschlägen gegen Revolutionsgardisten seit Ausbruch des Gaza-Kriegs hat interne Revisionen der eigenen Verteidigungsbereitschaft vonnöten gemacht. Nichtsdestotrotz versucht Iran mit dem Angriff auf zwei Atommächte (Pakistan und Israel), die regionale Dynamik zu verändern. Die iranische Führung betrachtet ihre jüngste Aktion als erfolgreiche Machtdemonstration, die darauf abzielt, die eigene Position sowohl im Inland als auch international zu stärken.
Teheran hat zumindest seit Beginn der Präsidentschaft von Ebrahim Raisi versucht, seinen regionalen Einfluss zu erhalten und gleichzeitig einen umfassenden Konflikt mit Israel zu vermeiden. Dieser Ansatz spiegelt eine Strategie wider, die sich darauf konzentriert, Risiken zu minimieren und gleichzeitig die Präsenz Irans in der Region zu behaupten.
Während beide Seiten vorerst zu ihrem Schattenkonflikt zurückgekehrt zu sein scheinen, bleiben wichtige Fragen unbeantwortet
Das jüngste Vorgehen hat in der internationalen Gemeinschaft gemischte Reaktionen hervorgerufen. Indem man Israel zum ersten Mal vom iranischen Territorium aus ins Visier nimmt, scheint Iran die eigene Rolle in der Region neu zu definieren und bestehende Machtstrukturen in Frage zu stellen. Diese Schritte könnten jedoch die Beziehungen zu den Nachbarländern verkomplizieren, insbesondere in der Golfregion.
Innenpolitisch sieht sich das iranische Regime zunehmender Kritik ausgesetzt. Die Versuche, seine Macht durch militärische Aktionen wie die Drohnenangriffe auf Israel zu projizieren, sind Teil einer umfassenderen Bemühung, das Vertrauen unter den eigenen Anhängern wiederherzustellen. Die iranische Führung betrachtet diese Handlungen als ein Mittel, um Unterstützung im Inland zu gewinnen und ihre Position angesichts interner Herausforderungen zu stärken, während sie gleichzeitig regional und international eine Botschaft über die eigene Schlagkraft sendet.
Während beide Seiten vorerst zu ihrem Schattenkonflikt zurückgekehrt zu sein scheinen, bleiben wichtige Fragen unbeantwortet. Werden Teherans Versuche, das Verhältnis zu einigen Nachbarn in der Region zu entspannen, während die Konfrontation an anderer Stelle hochgefahren wird, von Erfolg gekrönt werden? Wie werden sich diese Entwicklungen auf die Beziehungen etwa zu den Golfstaaten auswirken?
Eine weitere Schlüsselfrage lautet, inwiefern die jüngste Machtdemonstration zu dauerhafter Stabilität innerhalb des Establishments führen wird. Angesichts der innenpolitischen Unruhen und wirtschaftlichen Herausforderungen wird die Aufrechterhaltung des inneren Zusammenhalts von entscheidender Bedeutung sein. Schließlich werden die anhaltenden geopolitischen Verschiebungen und die Bildung neuer Allianzen im Nahen Osten die regionale und globale Rolle Irans weiter prägen.
Hessam Habibi Doroh ist Lehrbeauftragter für Internationale Beziehungen und Interkulturellen Dialog am FH Campus Wien. Javad Heiran-Nia ist Direktor der Persian Gulf Studies Group am Center for Scientific Research and Middle East Strategic Studies in Iran.