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Anhänger und Gegner der Muslimbrüder in Ägypten

Der Law-and-Order-Salafist

Portrait

Der Graben zwischen Anhängern und Gegnern der Muslimbrüder in Ägypten ist groß. Dennoch sind die Trennlinien zwischen »altem« und »neuem« Regime fließend – wie der selbsternannte »gemäßigte Salafist« Adel Abd al-Maqsud Afifi zeigt.

Die Raison d'être eines Kuchens? Eindeutig: Backwerk soll und muss gegessen werden. Und was ist der Sinn, der Zweck, die Daseinsberechtigung einer Demokratie? Wenn es nach der ägyptischen Muslimbruderschaft geht, jener qua Urnengang demokratisch an die Macht gekommenen Kaderorganisation vom Nil, dann dient Demokratie den eigenen Interessen. »Inklusion«, »Partizipation« und »Dialog« oder »Gleichberechtigung« waren Vokabeln, die von der nun hinter Gittern schmorenden Führungsriege der Bruderschaft im Laufe ihres Wirkens in Amt und Würden nie erlernt worden sind.

 

Die Muslimbruderschaft war keine demokratische Organisation, ist es nicht und wird in naher Zukunft auch keine sein. Vor der Wahl hat man sich die Maske einer biederen, bürgerlichen und konservativen Bewegung aufgesetzt, die den einfachen und gläubigen Mann vertritt – und hinterher, nach dem all diese Demokratiespielchen vorüber waren, eben abgesetzt. Deshalb sind Millionen Ägypter auf die Straße gegangen und haben den Reset-Knopf gedrückt.

 

Neustart in Ägypten: Feuerwerk, grenzenloser Jubel – Ernüchterung? Nein, an dieser Stelle soll nicht der mahnende Zeigefinger gehoben oder die Moralkeule geschwungen werden. Die Frustration, die viele Mursi-Gegner angesichts der westlichen Berichterstattung verspüren, ist nachvollziehbar. Wer Leib und Leben gegen die Brechstangenpolitik der Bruderschaft riskiert, will keine demokratietheoretischen Überlegungen von (selbsternannten) Experten, die tagein, tagaus aus der Ferne über einen »Putsch« oder einem »Coup« sprechen.

 

Der Grund ist ganz einfach – noch einmal: Die Muslimbruderschaft war keine demokratische Organisation, ist es nicht und wird in naher Zukunft auch keine sein, sondern hat lediglich den demokratischsten Vorgang der Wahl genutzt und danach als Mubarak-Reinkarnation mit Bart regiert.

 

General Sisi hat sich an das preußische Sprichwort »Gegen Demokraten helfen nur Soldaten« erinnert

 

Dass die Gefahr für die Demokratiebewegung durch die erneute Machtübernahme des Militärs nicht gebannt ist, wissen die meisten Ägypter, die sich nun freuen. Schließlich ist bisher nichts über einen Gendefekt zwischen Assuan und Alexandria bekannt, der verantwortlich für Siebhirne ist. Ihr »demokratischer Staatsstreich« war nur durch die Armee möglich. In der Not greift man auch nach dem dünnsten und brüchigsten Strohhalm. Und die Generäle haben sich angesichts der desolaten Lage des Landes nicht zweimal bitten lassen – beziehungsweise von vornherein eigenmächtig eingegriffen.

 

In jedem Fall hat man sich in den Offizierscasinos offenkundig an den Preußenkönig Friedrich Wilhelm IV. erinnert, der 1848 angesichts der Frankfurter Nationalversammlung verächtlich bemerkte: »Gegen Demokraten helfen nur Soldaten.« Diese Chance konnten sich Sisi und Co. nicht entgehen lassen. Natürlich liegt darin für viele Unterstützer der Demokratie-Bewegung auch ein Problem.

 

Die Frage lautet: Wie bekommt man die Soldaten wieder in die Kasernen und die islamistischen Kräfte zurück in die politische Arena, die gegenwärtig – verständlicherweise, wer lässt sich gerne die Butter vom Brot nehmen – vor Hass, Zorn und Enttäuschung schäumen? Der offensichtliche gesellschaftliche Graben wird noch lange Bestand haben, eine einfache Antwort gibt es nicht. Auch eine schnelle Einigung der divergierenden Kräfte – von denen die Armee seit den 1950ern als stärkste erscheint – ist nicht in Sicht.

 

Polizeigeneral, Salafist und Liebhaber klassischer Musik

 

Zumal es genug Politiker und Persönlichkeiten gibt, die sich in Chamäleonmanier an die jeweiligen Umstände anpassen. Etwa Adel Abd al-Maqsud Afifi. Er ist ein Law-and-Order-Salafist und hat seit seiner Geburt 1945 wohl einiges richtig gemacht. Afifi, ein Liebhaber klassischer Musik und Hobby-Dirigent, der bereits vor dem schwedischen Königspaar in der Stockholmer Oper den Taktstock schwingen durfte, hat die Polizeischule absolviert, zwei Masterabschlüsse – einen in Jura, einen in Informatik – sowie eine rechtswissenschaftliche Dissertation mit dem Prädikat summa cum laude der Ain-Schams-Universität vorzuweisen.

 

Bis zum General hat es der »gemäßigte Salafist«, so die Selbstbeschreibung, gebracht, und von 1997 bis 2002 die »Mogamma«, die zentrale Verwaltungsbehörde am Tahrir-Platz im Herzen Kairos, geleitet. Als dort die Proteste gegen Hosni Mubarak losgingen, machte Afifi in Politik und gründete die salafistische Asala-Partei, der er bis Januar dieses Jahres vorstand und für die er auch im Schura-Rat saß. Dort war er nicht mehr der akkurate Sicherheitsfachmann und Bürokrat, sondern Politpolemiker. Vergewaltigten Frauen gab er die alleinige Schuld und plädierte dafür, dass es keine weiblichen und koptischen Präsidentschaftsbewerber geben dürfe.

 

Auf den Punkt gebracht: Afifis Wirken in den vergangenen Jahrzehnten liefert den Beweis, dass die Trennlinien zwischen »altem« und »neuen« Regime, zwischen »Islamisten« und »Mubarakisten« nicht eindeutig, sondern fließend ist. Man kann nur hoffen und angesichts des Tatendrangs der jungen Revolutionäre zuversichtlich sein, dass diese einen langen Atem haben und jenes Ägypten von übermorgen nicht mehr das von heute sein wird. Und man sollte ihnen zugestehen, dass sie für wenige Tage den süßen Moment des vermeintlichen Sieges ausgekostet haben, auch und gerade weil sie wussten, dass der bittere Nachgeschmack kommt. Langfristig gilt: Aequis aequus.

Von: 
Dominik Peters

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