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Ashraf Ghani ist Afghanistans neuer Präsident

Machtübergabe ohne Endergebnis

Feature

Ashraf Ghani ist Afghanistans neuer Präsident. Doch das Machtgezerre nach den Wahlen zeigt, dass Karzais Nachfolger und seine Regierung einen neuen Stil an den Tag legen müssen, um das Vertrauen der Bürger zurückzugewinnen.

Ashraf Ghani Ahmadzai heißt der Nachfolger von Hamid Karzai als Präsident von Afghanistan. Wie Karzai hat auch er lange in den USA im Exil gelebt. Wie Karzai zuletzt wird auch er darauf achten, mit dem Westen zu kooperieren, zugleich nicht in Verruf zu geraten, eine Marionette Washingtons zu sein. Ein überzeugender Sieger dieser Wahl ist er ebenso wenig wie sein tadschikischer Rivale Abdullah Abdullah, mit dem er jetzt eine Regierung der »nationalen Einheit« anführen will.

 

Ob diese über den Tag hinaus halten wird? eine gesunde Skepsis schwingt mit. Diese im April so hoffnungsvoll gestartete Wahl – die dritte seit dem Krieg gegen die Taliban und Al-Qaida – kennt viele Verlierer, vor allem die Bürger Afghanistans, deren Vertrauen auf funktionierende demokratische Prozesse und Institutionen einmal mehr nachhaltig erschüttert worden ist. Für ein Happy End hätte sich der Verlierer der Wahl in seine Niederlage fügen müssen, wie es die Verfassung vorsieht. Dazu aber erschien schon früh keiner von beiden bereit. Der gefundene Kompromiss – mit einem »Chief Executive« für das Abdullah-Lager als eine Art Premier Minister – lässt offen, ob und wie gut das Vertragswerk erste Krisen um Macht und Kompetenzen meistern kann. 

 

Positiv scheint immerhin, dass mit dem gefundenen Kompromiss Afghanistan nicht wie der Irak oder Libyen auseinanderfällt. Spät aber noch rechtzeitig kann jetzt die Stationierung von Nato-Militär für das ISAF-Folgemandat ausgehandelt werden. Sie kommt zu einem Zeitpunkt, da mit dem Islamischen Staat (IS) mittlerweile eine neue extremistische Drohung an den Rändern Afghanistans lauert. Für Afghanistan selbst scheint die Gefahr unmittelbarer Gewaltausbrüche und Straßenkämpfe vorerst gebannt. Es sei denn, einige Hitzköpfe aus dem Lager der Verlierer geben nicht nach.

 

Überwunden werden müssen vor allem die Ursachen der Staatskrise der letzten Wochen. Sie haben zu einem faktischen Stillstand staatlicher Behörden, einem Teil-Kollaps der afghanischen Wirtschaft, mit Kapitalflucht und massiv gestiegener Arbeitslosigkeit, bei gleichzeitigen Erfolgen der Taliban und anderer Gruppen im Norden des Landes im sogenannten deutschen Verantwortungsbereich geführt. Vor allem müssten die politischen Eliten des Landes die Idee eines friedlichen Wandels akzeptieren, statt an der Gewaltspirale zu drehen und eine unabhängige Justiz zu verhindern.

 

Auch das Wahlrecht müsste dringend reformiert werden, um einen Präsidialstil zu verhindern, der Abgeordnete gegeneinander ausspielt und Posten wie Privatbesitz verteilt. Der Westen und die Geberländer tragen Mitverantwortung an der aktuellen Krise. Zu lange haben sie auf Wahlen und neue Institutionen von oben gesetzt, alte Eliten und gewendete Warlords unterstützt. Spätestens seit 2009, mit dem Amtsantritt von US-Präsident Barack Obama, wurde vor allem der Staatsaufbau vernachlässigt. Das rächt sich jetzt. So wie jetzt wendet sich das afghanische Wahlvolk angewidert ab.

 

Andere Ursachen der Krise sind struktureller Natur: bis heute fehlt ein nationales Wahlregister. Dies hat den Handel mit Millionen illegaler Stimmzettel überhaupt erst möglich gemacht. Der Westen trägt auch hier eine Mitverantwortung. Es gibt weitaus mehr bewaffnete Parteigänger als unabhängige Wahlbeobachter an den Urnen. Das eröffnet Manipulationen und Einschüchterungen Tür und Tor. Bleibt zu hoffen, dass sich die Geschichte nationaler Einheits-Regierungen in Afghanistan nicht wiederholt. In der Vergangenheit hatte dies bislang wenig Gutes zu bedeuten. Ashraf Ghani wird vor allem die verfeindeten Ethnien aussöhnen müssen, Korruption verringern und seinem Land eine Perspektive auch ohne westliches Militär vermitteln müssen.

Von: 
Martin Gerner

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