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Interview zu den Kommunalwahlen in Israel

»Wir sind nicht der innere Feind«

Interview
Interview zu den Kommunalwahlen in Israel
Wahlplakat der jüdisch-arabischen Liste »Wir sind alle sind die Stadt

Am 27. Februar finden in ganz Israel Kommunalwahlen statt. Ein Gespräch mit dem Lokalpolitiker Amir Badran über den Zusammenhalt zwischen Juden und Arabern nach dem 7. Oktober und warum Netanyahus Partei auch auf Kommunalebene gemeinsame Sache mit Rechtsextremen macht.

zenith: Die Stadt Tel Aviv-Jaffa gilt als liberales Herz Israels und als Beispiel für gelungene Koexistenz. Wie sehr entspricht dieses Bild der Realität?

Amir Badran: Leider sieht die Realität nur für einen Teil der Bewohnerinnen und Bewohner wirklich so aus, nämlich nur für Jüdinnen und Juden. Diese Wahlen sind ein gutes Beispiel dafür: Dreizehn Listen treten für Sitze im Stadtrat an und auf keiner steht ein Araber auf einem aussichtsreichen Listenplatz, um tatsächlich als gewählter Vertreter in die Kommunale Parlament einziehen zu können. Unsere Liste ist wirklich die Einzige, die so etwas ermöglicht, weil sie jüdisch-arabisch besetzt ist.

 

In Ihrem Wahlkampf warnen Sie davor, dass die Kahanisten die Macht im Stadtrat übernehmen könnten. Für wie wahrscheinlich halten Sie so ein Szenario?

Sie versuchen es nicht nur, sie waren sogar bereits erfolgreich. Die Kahanisten sind ein Teil der Koalition des regierenden Bürgermeisters Ron Huldai. Schon jetzt gehört einer der stellvertretenden Bürgermeister der Siedlerbewegung an und der ist auch noch für die öffentliche Ordnung in Tel Aviv-Jaffa zuständig. Und an der Spitze der gemeinsamen lokalen Liste des Likud und der Partei Otzma Yehudit (»Jüdische Stärke«) steht ein verurteilter Straftäter. Diese Leute führen eine Hasskampagne gegen die arabischen Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt.

 

Was können Sie dem entgegensetzen?

Wir müssen eine starke Fraktion stellen und es braucht einen arabischen Vertreter aus Jaffa im Stadtrat. Wie liberal und demokratisch ist Tel Aviv-Jaffa wirklich, wenn der gesamte Stadtrat nur aus Menschen besteht, die jüdisch und aus Tel Aviv sind? Gleichzeitig fordern wir den Bürgermeister dazu auf, sich zu verpflichten, nicht mit den Kahanisten in einer Koalition zusammenzuarbeiten.

 

»Alles, was im israelisch-palästinensischen Konflikt geschieht, hat einen direkten Einfluss auf uns hier in Jaffa«

 

Wie hat der Krieg Ihre Kampagne als gemeinsame arabisch-jüdische Liste beeinflusst?

Wir in Jaffa haben schon immer die Auswirkungen der israelischen Politik beziehungsweise einer schwierigen Sicherheitssituation zu spüren bekommen. Alles, was im israelisch-palästinensischen Konflikt geschieht, hat einen direkten Einfluss auf uns hier in Jaffa. Wir als Liste versuchen einen anderen Diskurs anzubieten. Uns geht es um Zusammenarbeit und Hoffnung. Wir sagen: Schaut! Es geht sehr wohl, Juden und Araber zusammen, und das gilt auch in den schwierigsten Momenten, wie dem 7. Oktober.

 

Während des vorherigen Gaza-Krieges vor drei Jahren brach auch in Tel Aviv-Jaffa heftige Gewalt zwischen Juden und Arabern aus. Dieses Mal nicht.

Direkt nach dem 7. Oktober gründete ich gemeinsam mit anderen Bewohnerinnen und Bewohnern die »Wache jüdisch-arabischer Zusammenarbeit«. Zu dieser besonders angespannten Zeit schützten jüdische und arabische Bewohner gegenseitig Synagogen, Kirchen und Moscheen. Wir verteilten Essen und Medikamente und gingen gegen Hetze im Netz vor. Gleichzeitig war ich im ständigen Austausch mit der Stadtverwaltung und der Polizei, damit sich ihr absolutes Versagen vom Mai 2021 nicht wiederholt. Wir sind nicht der innere Feind und wir warten nicht auf den »Tag danach«, wir leben ihn, und zwar zusammen.



Interview zu den Kommunalwahlen in Israel

Amir Badran (52), studierte in Frankreich Jura und arbeitet in Tel Aviv-Jaffa als Anwalt. Seit 2016 ist er Mitglied des Stadtrates. Er erkämpfte beispielsweise eine kommunale Verordnung, welche als Reaktion auf das Nationalstaatsgesetz die zweisprachige Beschilderung in Hebräisch und Arabisch in der ganzen Stadt garantiert und war Teil der Protestbewegung gegen die Justizreform. Kurz vor den Kommunalwahlen am 27. Februar zog er seine Kandidatur für das Amt des Bürgermeisters zurück.

Von: 
Ignaz Szlacheta

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