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Innerpalästinesische Versöhnung

Frieden mit »vereinten Feinden«

Kommentar

Mahmud Abbas will im Rahmen der innerpalästinensischen Versöhnung die Hamas wieder einbinden. Das ist eine mutige Entscheidung für den Frieden mit Israel – aller politischen israelischen Entrüstung zum Trotz, meint Jakob Rieken.

»Frieden schließt man mit Feinden, nicht mit Freunden«, sagte einst der ehemalige israelische Premierminister Yitzhak Rabin. Der Präsident der Palästinensischen Autonomieverwaltung Mahmud Abbas müsse sich zwischen Frieden mit Israel und einem Pakt mit der Hamas entscheiden, wetterte dagegen sein Nachfolger Benjamin Netanjahu unmittelbar nachdem die Nachricht über eine geplante palästinensische Einheitsregierung in Gaza verkündet worden war.

 

Netanjahu ist bekannt dafür, politische Chancen bestens zu nutzen. Nur so ist der bisherige Erfolg seiner visionslosen Politik zu erklären. Auch jetzt nutzt er jede rhetorische Gelegenheit, um die innerpalästinensische Versöhnung in seinem Sinne auszuschlachten.

 

Noch kurz zuvor hatte Netanjahu beklagt, man habe keinen Partner für den Frieden, vertrete Abbas doch nicht das zutiefst gespaltene palästinensische Volk. Ein politisches Meisterstück, den Palästinensern in allen Fällen den schwarzen Peter für das Scheitern der Verhandlungen zuschieben zu können.

 

Was Netanjahu verschweigt: Er hat mit Hamas bereits erfolgreich verhandelt und hat dabei größere Zugeständnisse gemacht als in seinen Verhandlungen mit der Palästinensischen Autonomiebehörde. So hat er im Austausch für den entführten israelischen Soldaten Gilad Shalit über 1.000 palästinensische Gefangene freigelassen. Im Gegenzug für die Wiederaufnahme von Verhandlungen konnte Mahmud Abbas lediglich die Freilassung von 104 Gefangenen durchsetzen und hat sich dabei verpflichtet, den Gang zu den Vereinten Nationen abzubrechen – trotz fortgesetztem israelischem Siedlungsausbau.

 

Bei der letzten Tranche hat Netanjahu einen Rückzieher gemacht und damit Abbas unter Druck gesetzt, ein Gegenzeichen zu setzen. Mit dem Antrag auf Aufnahme in internationale Konventionen, unter anderem gegen Korruption, für Frauen- und Kinderrechte, setzte er, so informierte Quellen in der Fatah, bewusst auf Maßnahmen, die Israel nicht schaden würden. Die Reaktion der israelischen Regierung fiel nichtsdestotrotz sehr scharf aus.

 

Auch nach den kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Israel und Hamas im November 2012 vereinbarten Israel und die Hamas Erleichterungen für die Einfuhr von Gütern nach Gaza und eine Verkleinerung des israelischen Sicherheitskorridors innerhalb des Gazastreifens. Mit solchen Vereinbarungen, die die Palästinensische Autonomiebehörde ausgrenzten, wurde Abbas vor den Kopf gestoßen. Seine friedensorientierte Politik führte zu keiner Verbesserung der Situation der Palästinenser, während auf die Gewaltanwendung der Hamas mit Zugeständnissen reagiert wurde.

Der einzige Friedensschluss, der von Dauer sein kann

 

Doch diesmal scheint Netanjahus Konzept des »Blame Game« nicht aufzugehen. Selbst viele Israelis stimmen zu: Es gibt keinen Palästinenser, der dem Friedensprozess mehr verpflichtet ist als Mahmud Abbas. Er war es, der seine Unterschrift unter die Oslo-Verträge setzte, nicht Yasser Arafat. Mit seinen 79 Jahren ist sein Ausscheiden aus der Politik absehbar. Eine Einbindung der Hamas zu einem Zeitpunkt, zu dem Abbas noch das Sagen hat, ist daher der beste Weg, die islamistische Bewegung zu einem pragmatischen, friedensorientierten Ansatz zu bewegen.

 

Um den Palästinensern die Schuld für das Scheitern der Verhandlungen zuschieben zu können, verspielt Netanjahu leichtfertig die Gelegenheit, Frieden mit einer vereinigten palästinensischen Führung zu schließen – der einzige Friedensschluss, der von Dauer sein kann. Dass die Hamas im Rahmen der Bildung einer Einheitsregierung wohl bereit wäre, Israel anzuerkennen und der Gewalt abzuschwören, zeigt, dass Abbas den richtigen Weg eingeschlagen hat.

 

Ob Israel wiederum bereit ist, einen palästinensischen Staat anzuerkennen, bleibt offen. Auch ob die Umsetzung im Gegensatz zu vorherigen Versöhnungserklärungen auch tatsächlich umgesetzt wird, ist noch unklar. Mit Sicherheit wird dies jedoch auch von der Reaktion der internationalen Staatengemeinschaft abhängen. Sie täte gut daran, diese Chance nicht durch vorschnelle Verurteilung zu verspielen.


Jakob Rieken ist Projekt-Manager bei der Friedrich-Ebert-Stiftung in Ost-Jerusalem. Der Artikel stellt die Meinung des Autors dar und spiegelt nicht grundsätzlich die Meinung der Friedrich-Ebert-Stiftung wider.

Von: 
Jakob Rieken

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