Lesezeit: 8 Minuten
Interview mit jordanischem General Fayez al-Doueiri

»Wir brauchen internationale Bodentruppen«

Interview

Der pensionierte jordanische General Fayez al-Doueiri kritisiert im Interview die mangelnde Wirksamkeit der internationalen Luftschläge und erklärt, welche Rolle Jordanien im Kampf gegen den »Islamischen Staat« (IS) zufällt.

zenith: Nach der Veröffentlichung des IS-Videos von der Verbrennung des Piloten Moaz al-Kasasbeh verkündete die jordanische Armee umgehend, ihre Rache werde »das Ausmaß der Tragödie haben, die allen Jordaniern zugefügt wurde«. Was beinhaltet diese Reaktion?

Fayez al-Doueiri: 24 Stunden nach der Veröffentlichung des Videos führte die jordanische Armee 30 Luftschläge aus, am nächsten Tag 15, am dritten Tag nochmals 15, seither liegen keine neuen Informationen vor. Mit dieser Kampagne – die noch immer andauert –, will die Armee dem »Islamischen Staat« (IS) klarmachen, dass er sich nicht mit Jordanien anlegen soll.

 

Warum war es nicht möglich, mit dem IS zu verhandeln?

Der IS hat ein schmutziges Spiel gespielt: Zuerst gab er bekannt, er werde die japanischen Journalisten freilassen, wenn Tokio ein Lösegeld von 200 Millionen US-Dollar bezahle. Dieser Betrag entsprach der Hilfe, die die japanische Regierung der Anti-IS-Koalition zugesagt hatte. Als Tokio nicht einlenkte, richtete der IS eine der beiden japanischen Geiseln hin. Dann verkündete er, die andere könne gegen Sajida al-Rishawi, die irakische Gefangene in Jordanien, getauscht werden. Über den Piloten wurde gar nicht erst verhandelt. Also musste die jordanische Regierung davon ausgehen, dass er schon tot sei. Trotzdem drängte sie auf einen Lebensbeweis. Dieser Beweis blieb aus.

 

Wäre die jordanische Armee künftig in der Lage, das Leben ihres Piloten zu retten, sollte ein ähnlicher Fall wieder eintreten?

Wir beten, dass so etwas nie wieder passieren wird. Nachdem der IS Kasasbeh gefangen genommen hatte, erstellte er (auf Twitter) ein Hashtag, unter dem er von seinen Anhängern Vorschläge sammelte, auf welche Art der Pilot hingerichtet werden solle. Es gab hunderte grauenvolle Antworten: ihn zu verbrennen, wie es geschah, ihn in einem Teich von Krokodilen auffressen zu lassen, und so weiter.

 

Die Hinrichtung der beiden irakischen Gefangenen am 3. Februar war das zweite Mal binnen zwei Monaten, dass in Jordanien die Todesstrafe vollstreckt wurde. Zuvor hatte sie Amman seit 2006 nicht mehr angewendet. Ist fortan mit weiteren Exekutionen zu rechnen?

Im Dezember 2014 wurden elf jordanische Mörder hingerichtet. Damit hatte die Regierung das staatliche Gesetz walten lassen, um zu verhindern, dass nach dem Stammesrecht abgeurteilt wird. Im Rahmen der »Terror-Bekämpfung« wird es in Jordanien bestimmt öfter Hinrichtungen geben.

 

Ist es richtig, Menschen aus Rachemotiven hinzurichten, zumal dies einen blutigen Teufelskreis von Vergeltungshinrichtungen in Gang setzen könnte?

Die Reaktion Ammans richtete sich einerseits an den IS, andererseits sollte sie den lädierten Teil der jordanischen Gesellschaft beruhigen. Es ging darum, den Angehörigen von Kasasbeh zu zeigen, dass wir begonnen haben, den IS zu bekämpfen. Manchmal ist ein Zeichen des Königs nötig.

 

Kasasbehs Verbrennung wurde auf den Trümmern eines Hauses durchgeführt, das von der von den USA angeführten Anti-IS-Koalition zerstört worden war. Spielen die internationalen Luftschläge der IS-Propaganda nicht in die Hände?

Am Anfang der internationalen Militärkampagne dürfte der IS schon Auftrieb bekommen haben. Aber mit der Serie von barbarischen Hinrichtungen, die mit der Enthauptung von James Foley begann, hat er viel Popularität eingebüßt.

 

Messen Sie diese Einschätzung an der Welle von Anti-IS-Protesten in der Region, als die Verbrennung von Kasasbeh publik wurde?

Nicht nur. Seit den besagten Entführungen und Hinrichtungen haben viele (ehemalige) IS-Sympathisanten angefangen, die Ideologie des IS in Frage zu stellen. Den meisten leuchtet ein, dass er nicht den richtigen Islam vertritt.

 

Hat die Hinrichtung durch Verbrennung die muslimische Gesellschaft noch stärker schockiert als die bisherigen Methoden des IS?

Ob Verbrennung oder Enthauptung, Exekution ist Exekution – das Resultat ist dasselbe. Aber für das Opfer ist es noch schlimmer, von Flammen verschlungen zu werden, als mit einem Messer geköpft zu werden, weil es im ersten Fall noch mehr leidet.

 


Fayez al-Doueiri

wurde 1952 in Amman geboren und diente 36 Jahre in den jordanischen Streitkräften.


 

Sind Sie der Meinung, der IS könne militärisch geschlagen werden?

Was die Anti-IS-Koalition macht, genügt nicht, das ist keine richtige Kampagne. Mit 12 Luftschlägen pro Tag kommt man nicht weit, schließlich ist das vom IS kontrollierte Gebiet riesig. Deshalb sagt Washington auch, es werde Jahre dauern, bis der IS beseitigt ist. Die USA müssten schon so bombardieren wie 2003, um den IS wirksam zu bekämpfen; damals wurden im Durchschnitt täglich 1.750 Ziele bombardiert. Im Golfkrieg 1991 waren es sogar 2.500. Außerdem bin ich der Meinung, dass der IS nur durch eine Bodenoffensive geschlagen werden kann.

 

Dafür setzen die USA auf die Freie Syrische Armee, die irakische Armee, die Peschmerga und die von Iran unterstützten schiitischen Milizen.

Die sind alle nicht in der Lage, den IS zu schlagen. Internationale Bodentruppen sind nötig. Aber bisher findet diese Idee nicht genügend Anklang. Sollte eine Koalition jedoch eines Tages zustande kommen, würde sich Jordanien daran definitiv beteiligen.

 

Und wenn nicht?

Dann wird Jordanien weiterhin aus der Luft kämpfen. Allerdings wartet die Armee derzeit auf die Hilfe der Vereinigten Arabischen Emirate, die ihr einige Kampfflugzeuge des Typs F-16 liefern sollen. Die USA haben ihre jährliche Militärhilfe von 289 Millionen schon auf 1 Milliarde US-Dollar erhöht.

 

Welche Perspektive würde die Syrer und Iraker erwarten, sollte es tatsächlich gelingen, den IS militärisch zu schlagen?

Mit der Beseitigung des IS wäre nur ein Aspekt – ein Bruchteil des Problems – vom Tisch. Syrien und Irak haben aber mit einer Palette von politischen Problemen zu kämpfen. Im Irak haben die Kurden und die Schiiten das Erdöl, die Sunniten haben nichts. In Syrien wäre da noch immer Baschar al-Assad, ein grauenhafter Diktator; er ist vielleicht schlimmer als Hitler und Mussolini. Das Hauptproblem sind aber die Machtansprüche Irans.

Von: 
Julia Joerin

Banner ausblenden

Die neue zenith 02/2022 ist da: Reise zum Mittelpunkt der Erde

Reise zum Mittelpunkt der Erde

Die neue zenith ist da: mit einem großen Dossier zur Region Persischer Golf und überraschenden Entdeckungen. Von Archäologe über Weltpolitik und Wattenmeer zu E-Sports und großem Kino.

Banner ausblenden

Newsletter 2

Der heiße Draht

Frische Analysen, neue Podcast-Folgen, exklusive Einladungen zu Hintergrundgesprächen und Werkstattberichte: Jeden Donnerstag erhalten tausende Abonnenten den zenith-Newsletter. Sie  wollen auch auf dem Laufenden bleiben? Dann melden Sie sich hier kostenlos an.

Banner ausblenden

WM Katar

So eine WM gab es noch nie

Auf 152 Seiten knöpfen sich Robert Chatterjee und Leo Wigger alle wichtigen Fragen rund um die erste Fußball-WM in einem arabischen Land vor.