Karim Ben Khelifa hat einige der brutalsten Konflikte des 21. Jahrhunderts dokumentiert. Nun stellt der Kriegsreporter und Künstler Schrapnelle und zerstörte Munition in Berlin aus.
zenith: Karim Ben Khelifa – wir sind von Schrapnellresten umgeben. Was hat es damit auf sich?
Karim Ben Khelifa: In meinem Atelier lagern noch mehr von diesen Fragmenten. Ich habe in der Ukraine in der Region Kherson etwa 45 Kilogramm Schrapnell aus verschiedenen Waffenarten gesammelt...
…zu welchem Zweck?
Im Dezember 2022 besuchte ich eine Tanzaufführung in Berlin. Auf einmal bemerkte ich, wie mir Tränen in die Augen stiegen – mehr als einmal. Auf dem Heimweg habe ich mich gefragt: Was hat mich so sehr berührt? Es dauerte einen Tag, bis ich begriff: Die Hälfte dessen, was bei einer solchen Aufführung passiert, spielt sich auf der Bühne ab, die andere Hälfte in mir selbst. Die Idee, eben keine Geschichte zu erzählen, begann mich sehr zu interessieren.
Wenn diese Schrapnelle nichts aussagen – warum sind sie dann hier ausgestellt?
Ich berichte nun schon seit Jahrzehnten über den Krieg. Mit der Zeit habe ich realisiert, dass es Grenzen dafür gibt, was Menschen ertragen können. Lange Zeit habe ich mir eingeredet, dass ich, wenn ich für das beste Magazin der Welt arbeite, auch etwas bewirken werde. Die Reaktion beim Publikum fällt in meiner Erfahrung aber meist anders aus: Die Leser vermeiden solche Bilder lieber, anstatt sich mit ihnen auseinanderzusetzen.
»Um diese Intensität auszuhalten, findet man Wege, damit umzugehen, oder man zerbricht daran«
Und wie kam das Schrapnell ins Spiel?
Ich sammelte ein paar Kilo davon und kehrte nach Berlin zurück. Im Laufe des Sommers wurde mir klar, dass ich sie fotografieren könnte. Sie fingen an, visuell interessant zu wirken. Vielleicht könnte ich eine Skulptur schaffen. Ich dachte über dieses Objekt nach, das sinnbildlich für unsere Fähigkeit steht, Waffen zu schaffen, um uns gegenseitig zu vernichten.
Welche Reaktionen beobachten Sie beim Publikum?
Einige empfinden es als unpassend, dass diese rohen Überreste des Krieges neben den lockeren Gesprächen und dem Klirren der Gläser bei einer Ausstellungseröffnung gezeigt werden. Ich verstehe die Kritik, aber sie stört mich nicht. Mein Ziel ist es, ständig neue Wege der Konfliktdarstellung zu erkunden. Letztendlich befinde ich mich im Grunde genommen im Krieg mit dem Krieg.
Was macht der Krieg mit Ihnen?
Die Gefahr in Kriegsgebieten kann physischer oder emotionaler Natur sein, oder eine unerbittliche Mischung aus beidem. In solchen Momenten herrscht Ungewissheit, und Zeit ist ein Luxus, über den man nicht verfügt. Man braucht einen ausgeprägten Instinkt, um die Situation einschätzen zu können und wachsam zu bleiben. Zu wissen, wann man handelt, wann man sich zurückhält, wann man sich zurückzieht – das sind Entscheidungen, die in einem Augenblick getroffen werden, geprägt von Erfahrung, Instinkt und ein bisschen Glück. Konflikte fordern ihren Tribut. Ich habe viele Schrecken miterlebt, von Entführungen im Irak bis hin zu den Folgen von massenweisem Sterben. Um diese Intensität auszuhalten, findet man Wege, damit umzugehen, oder man zerbricht daran.
»Eine tiefere, unbequemere Art der Auseinandersetzung mit den Realitäten des Krieges«
Inwiefern unterscheiden sich Ihre Erfahrungen in der Ukraine von denen in anderen Kriegsgebieten?
In meiner Kunst geht es nicht nur um die Ukraine. Man kann darin alle möglichen Konflikte sehen: vergangene, gegenwärtige und zukünftige. Dieser Tage mögen Besucher darin die Schrecken des Gaza-Kriegs erkennen: den Terror eines Raketeneinschlags, das verzweifelte Warten auf Nachrichten. Sie spricht jegliche Konflikt an, auch jene, die ich nicht ausdrücklich nenne.
Sie wollen als Künstler keine Stellung beziehen?
Ich habe beschlossen, mich nicht in die sozialen Medien zu stürzen, laut zu sein und all diese Botschaften zu verbreiten. Sie sind überall, und ich habe nicht das Gefühl, dass ich dort noch mehr Lärm verursachen müsste, um überhaupt Gehör zu finden. Meine Arbeit bewegt sich oft auf einem schmalen Grat. Sie ist subversiv, keine direkte Verurteilung der Ukraine, doch sie erinnert die Betrachter an andere Konflikte, wie den in Gaza. Dieses Verständnis entsteht dadurch, dass das Publikum seine eigenen Verbindungen knüpft. Ich möchte eine tiefere, unbequemere Art der Auseinandersetzung mit den Realitäten des Krieges anbieten.
Wie auch viele andere Kollegen haben Sie sich besorgt über den zunehmenden Druck auf Künstler geäußert – gerade in Berlin.
Das ist ein besorgniserregender Trend. Eine Finanzierung, die an Forderungen wie das Bekenntnis zu Israel geknüpft ist, untergräbt die wesentliche Rolle des Künstlers als kritische Stimme. Ich diene denen, die unter dem Missbrauch von Macht leiden, und nicht umgekehrt. Wahre Kunst muss frei sein, ansonsten handelt es sich bloß um Propaganda.
Karim Ben Khelifa (52) ist belgisch-tunesischer Fotojournalist und Künstler. Er arbeitete zwanzig Jahre lang als Kriegsreporter und berichtete dabei unter anderem aus Irak, Afghanistan, Somalia, Südsudan, Libyen und Jemen. Seine Reportagen erschienen etwa bei der New York Times, im Time Magazine, im Stern und bei GEO.
Seine Ausstellung »In 36.000 Ways« ist noch bis zum 20. April in der Berliner Galerie »Anahita Sadighi« zu sehen.