Journalist Osama Abu Dikar erklärt im Interview, wie die Lage im Süden Syriens derart eskalieren konnte – und wie der soziale Frieden in Suweida wieder hergestellt werden kann.
zenith: Am Donnerstag einigten sich die syrische Übergangsregierung und drusische Verbände in Suweida auf eine Waffenpause. Wie gestaltet sich die Lage vor Ort?
Osama Abou Dikar: Gestern Nacht drangen Stammes- oder beduinische Milizen durch den westlichen Zugang nach Suweida vor und es folgten kleinere bewaffnete Zusammenstöße. Zudem sind Militärkonvois aus Idlib, Homs und Hama auf dem Weg Richtung Süden – hier ist die Angst vor einem neuen Angriff groß. Auch die israelische Armee ist weiterhin präsent, die Kampfjets sind deutlich zu hören.
Wie gestalten sich die Beziehungen zwischen den Beduinen und den Drusen in Suwaida und bestehen Gesprächskanäle?
Beduinische Stammesangehörige und drusische Führer in Suwaida pflegen beständig Beziehungen – doch die werden nun von externen Akteuren instrumentalisiert. Einige der Beduinenführer senden auch positive Signale und rufen zur Deeskalation aus. Zugleich aber erleben wir eine massive Hetzkampagne in den sozialen Medien. Nach dem die Operation von Kräften der von der Übergangsregierung neugegründeten Sicherheitsbehörde »Allgemeine Staatssicherheit« in dieser Woche scheiterte, werden die Beduinen als taktische Karte gespielt.
In den sozialen Medien kursieren Videos, die Vergeltungsaktionen gegen Beduinen zeigen.
Ich kann solche Berichte im Moment nicht überprüfen. Jegliche Vergeltungsaktionen sind natürlich abzulehnen. Aus dem Dorf Shahba bei Suweida sind allerdings gesichert dort ansässige Beduinen vertrieben worden – sie sollen sich zuvor den Streitkräften des Allgemeinen Sicherheitsdiensts angeschlossen und sich an den Übergriffen auf Drusen beteiligt haben.
Hikmat Al-Hijri ist einer der drei spirituellen Oberhäupter in der drusischen Religionsgemeinschaft in Syrien und stand in den vergangenen Tagen besonders in der Kritik – warum?
Tatsächlich ging Al-Hijri schon vor Monaten auf die Übergansregierung zu und reichte den neuen Machthabern die Hand – er hieß sie im Rahmen einer öffentlichen Proklamation sogar in der Stadt willkommen. Die Verbände der neu gegründeten »Allgemeinen Staatssicherheit« verübten dann stattdessen Massaker, drangen in ein Krankenhaus ein und führten standrechtliche Hinrichtungen durch. Deshalb zog Al-Hijri seinen Beteiligung an dem Sicherheitsarrangement für Suweida mit der Übergangsregierung zurück – das Vertrauen in die Regierung war dahin. Al-Hijri fordert von der internationalen Gemeinschaft Schutz, aber keine militärische Intervention. Gewünscht wird eine dritte Partei, die das Abkommen garantiert – solch eine Rolle könnten etwa auch die deutsche Regierung oder die Europäische Union einnehmen.
Liegen inzwischen genaue Zahlen zur Anzahl der Opfer vor und wie steht es um die medizinische Versorgung?
Offizielle Statistiken fehlen, weil die Kämpfe andauern, aber laut meinen Informationen sind geschätzt bereits über 500 Menschen ums Leben gekommen, und über 1.000 verwundet. Das staatliche Krankenhaus ist nach den Massakern außer Betrieb – unter den Hingerichteten ist etwa auch medizinisches Personal.
Wer hat am 17. Juli die Konfliktparteien vertreten und die Verhandlungen für eine Waffenruhe geführt?
Ahmed al-Dalati, der Leiter der Inneren Sicherheit in der Provinz Suweida, vertrat die Regierung, und Scheich Yusuf Jarbou‘sprach für die Drusen. Als Scheich Jarbou‘ zurückkehrte, erklärte er die Verhandlungen allerdings für gescheitert und verkündete, dass man getäuscht worden wäre. Zwei Stunden nach der Vereinbarung hätten die regierungsnahen Milizen die Kämpfe allerdings umgehend wieder aufgenommen.
Osama Abu Dikar