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Katar und Frankreich

Die Maitresse des Emirs

Feature

Milliarden-Deals und eine Männerfreundschaft: Katar und Frankreich liebten sich leidenschaftlich. Doch dann kam ein Sozialist, der die Reichen besteuern will und nicht einmal Scheich Hamads Handynummer hat. Ob das gut ist fürs Geschäft?

Wer in Paris aus der Metro-Station »Charles de Gaulle – Etoile« steigt, um auf den Champs-Élysées zu flanieren, dem fällt eine imposante Villa ins Auge. Noch immer sieht man Gruppen von Touristen, die über deren exotische weiß-braun-gezackte Fahne rätseln – aber das sind Fragen, die sich die Pariser schon lange nicht mehr stellen.

 

Katars Botschaft an der Seine hat nicht nur die beste Postanschrift – spätestens seit der katarische Sender Al-Jazeera Sport sogar die französischen Übertragungsrechte für die Champions League gekauft und einen eigenen Pay-TV-Kanal in Frankreich betreibt, wissen die Franzosen, was sich hinter dem Namen eines winzig kleinen Emirats verbirgt. »Schließt man neue Freundschaften, empfiehlt es sich, die erste Runde zu spendieren«, witzelt ein französischer Diplomat im Gespräch mit zenith.

 

Er spielt damit auf die Nachricht an, dass Katar beabsichtige, 50 Millionen Euro für heruntergekommene Viertel der Pariser Banlieue zu spendieren. Als der Deal vor Monaten die Runde machte, löste er bissige Reaktionen an allen Enden des politischen Spektrums aus. Marine Le Pen, Kampfgeschütz der französischen Rechten, witterte Verschwörung: Der Plan sei ein »trojanisches Pferd des Islam«; schließlich investiere Katar ausschließlich dort, wo mehrheitlich Muslime lebten.

 

»Wir lassen fremde Länder ihre Investitionsentscheidungen auf Grundlage der Religion treffen«, schimpfte Le Pen. Diese Worte trafen die französische Gesellschaft an einer empfindlichen Stelle: Viele Franzosen sehen verarmte Vorstädte und arbeitslose Migranten nicht nur als Fanal des Scheiterns der Integrationsgesellschaft, sondern auch als Bedrohung für den französischen »way of life«.

 

Auch linke Kommentatoren waren empört: Frankreich solle sich nicht auf Geschäfte mit einer Monarchie einlassen, die sich am Ende nur das Wohlwollen einer Veto-Macht im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen kaufen wolle – um dort möglicherweise selbst einmal zu sitzen. Immerhin: Die Kataris sind wieder zurück an der Seine. Für einige Monate wussten die Polit- und Investitionsstrategen des Emirs in Doha nämlich nicht mehr, woran sie waren.

 

Würde der erste sozialistische Präsident seit fast 20 Jahren die katarisch-französische Affäre so leidenschaftlich fortsetzen wie sein Vorgänger Sarkozy? Immerhin hatte das Emirat sich diese Liebe etwas kosten lassen: In den zurückliegenden fünf Jahren investierte Katars Herrscherhaus in französische Immobilien, Sportvereine und Industriefirmen. Verwandte des Emirs ließen sich historische Stadtpaläste in Paris umbauen und erhielten Steuerprivilegien. Und nun hatten die Franzosen einen Mann gewählt, dem nichts besseres einfällt, als die Reichen zu besteuern?

 

Über die letzten zwölf Monate lief Katars Investitionsmaschinerie in Frankreich auf Hochtouren

 

Nicolas Sarkozy, vor seiner Läuterung ein Bling-Bling-Präsident an der Seite eines Ex-Models, schien ein weitaus besserer Partner für Katars energischen, aber jovialen Herrscher Scheich Hamad bin Khalifa Al Thani und seine telegene Gattin Mozah. Beide suchten nach einer Führungsrolle in der Weltdiplomatie – zwei Macher eben. Und sehr zum Ärger höherer Chargen im Pariser Quai d'Orsay hatte der Emir eine Standleitung zum Präsidenten, denn in den Golfstaaten zählen persönliche Beziehungen eben noch mehr als auf dem alten Kontinent.

 

François Hollande dagegen: ein selbsternannter Normalo, ein Technokrat, der zunächst einmal die Bewirtungskosten des Élysées herabsetzte. Paris und Doha standen sich, so berichten Diplomaten, auf einmal skeptisch gegenüber. »Hollande und Hamad sind keine natürlichen Verbündeten, und die Kataris fürchteten, dass Frankreich von Sarkozys Strategie nun Abstand nehmen würde«, sagt Vincent Forest, ehemaliger Mitarbeiter des französischen Außenministeriums und heute Westeuropa-Spezialist der »Economist Intelligence Unit« (EIU).

 

Auch in der Routine-Kommunikation musste man offenbar bei null anfangen, sagt Karim Bitar, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Internationale und Strategische Beziehungen in Paris (IRIS): »Selbst die französischen Staatsbeamten hatten keine Telefonnummern ihrer Kollegen in Katar«, erklärt Bitar. Da die französische Wirtschaft derzeit angeschlagen ist und ein Interesse daran hat, den solventen Partner – trotz aller sozialistischen Parolen der neuen Regierung – nicht vor den Kopf zu stoßen, könnte man vermuten, dass die Franzosen auf die Kataris zugehen würden.

 

Aber die erste Charme-Offensive ging allem Anschein nach von Doha aus: Premierminister Hamad bin Jassim bin Jaber bin Muhammad Al Thani – kurz: »HBJ« – reiste nur wenige Wochen nach Hollandes Amtsantritt an die Seine, um das Terrain auszukundschaften. Es lief nicht schlecht: Im August kam dann Scheich Hamad, und als HBJ im September wieder in Paris auftauchte, schien es beinahe wie früher. »Die Kataris setzen auf soft diplomacy«, findet Marc Pellas, Spezialist für die Golfstaaten bei der Monatszeitung Le Monde Diplomatique.

 

Die massiven Investitionen der »Qatar Investment Authority« (QIA) in Frankreich seien auch im Sinne einer diplomatischen Aufwertungskampagne zu bewerten. Gewiss: Ginge es nur um die Rendite, hätte Katar womöglich anderswo investiert. Insgesamt hat die staatliche Investitionsgesellschaft dafür weit über 100 Milliarden US-Dollar zur Verfügung. Katar hält Anteile beim US-Juwelier Tiffany's, bei Volkswagen, Harrods, Shell, Barclays and Credit Suisse und 11 Prozent am globalen Minenunternehmen Xstrata.

 

Aber ein erheblicher Teil katarischen Investitionskapitals floss nach Frankreich – mit Beteiligungen am Bauunternehmen Vinci, an den Dienstleistern Suez Environment und Veolia, diversen Luxushotels wie Hotel du Louvre, Royal Monceau Hotel Lambert und Concorde Lafayette in Paris. Darüber hinaus gehören den Kataris das Martinez und das Carlton in Cannes, das Palais de la Méditeranée in Nizza und Anteile an der Société des Bains de Mer, die mehrere Luxushotels in Monaco betreibt.

 

»Frankreich steckt in erheblichen finanziellen Schwierigkeiten. Es lohnt sich, reiche Freunde zu haben«

 

Katars Herrschaftsfamilie gilt als frankophil, zumindest seit den 1980er Jahren: Damals verbrachte Scheich Hamads Vater, Emir Khalifa bin Hamad Al Thani, seine Sommerfrische an der französischen Riviera und ließ sich dort prächtige Anwesen errichten – offenbar ohne zu merken, dass sich in Doha eine Verschwörung zusammenbraut, an deren Spitze kein anderer stand als der Sohn des Herrschers: 1995 wurde Khalifa von seinem Sohn Hamad entmachtet.

 

Vergeblich bat Khalifa seinen »alten Freund« Jacques Chirac um Hilfe: Chirac, ein Mann mit politischem Instinkt, schickte keine Fallschirmjäger, sondern arrangierte sich stattdessen mit dem neuen Herrscher. In der Ära Sarkozy, vor allem aber innerhalb der letzten zwölf Monate, lief Katars Investitionsmaschine in Frankreich immer höhere Drehzahlen: Kataris kauften den Fußballclub Paris Saint-Germain, die Lederwarenfirma Le Tanneur und beteiligten sich mit immerhin zwei Prozent am Unterhaltungskonzern Vivendi.

 

Zudem hält Katar 13 Prozent der mächtigen Mediengruppe Lagardère, die ihrerseits am deutsch-französischen Luftfahrtunternehmen EADS beteiligt ist. Drei Prozent des französischen Petroleumriesen Total – derzeit kapitalisiert mit 98,96 Milliarden Euro – sind ebenso in katarischer Hand wie ein Prozent des Luxusgutherstellers LVMH Moët Hennessy – Louis Vuitton (LVMH). Ob es sich bei Letzterem um ein strategisches Investment oder eine Liebhaberei handelt, liegt wohl im Auge des Betrachters.

 

Aber just, als die Scheichs einer Rückversicherung zur Steuerpolitik bedurften, war die Direktverbindung nach Frankreich plötzlich gekappt. Eine der größten Sorgen wäre wohl die mit Sarkozy auf fünf Jahre ausgehandelte Befreiung von der französischen Vermögenssteuer gewesen, die Wirtschaftsgüter ab 1,3 Millionen Euro betrifft. »Sollte er die katarischen Investoren nun zwingen, mehr Steuern zu bezahlen, würde er vielleicht für ein paar Jahre 100 Millionen Euro extra einnehmen, aber die Kataris könnten ihr Vermögen aus Frankreich abziehen und damit weit größere Probleme hinterlassen«, erklärt EIU-Spezialist Forest. Das müsse auch der Sozialistischen Partei einleuchten.

 

Viele Franzosen misstrauten der politischen Agenda des Emirats

 

Hollandes anfängliche Zurückhaltung gegenüber den Kataris erwuchs nicht nur aus der Unsicherheit, sondern auch aus politischem Kalkül. Immerhin sei es nicht nur gut für das Image eines sozialistischen Präsidenten, einen reichen Golf-Emir zum Freund zu haben, sagt Denis Bauchard vom französischen Institut für Internationale Beziehungen (IFRI): »Es könnte der Eindruck entstehen, er verrate seine Grundüberzeugungen.«

 

Denn Katars Ruf sei nicht unumstritten. »Das Emirat wird eben auch als Sponsor von Islamisten und Dschihadisten in der arabischen Welt gesehen«, erläutert Bauchard, und viele Franzosen misstrauten der politischen Agenda des Emirats. »Die Wählerschaft der französischen Sozialisten war widerwillig«, meint auch Katar-Experte Karim Bitar, »sie erlebt Katar als ein islamistisches Land und einen politischen Verbündeten der USA« – beides wecke altbekannte Ressentiments der Linken.

 

Zudem habe Hollandes Partei die Steuervorteile und Immobiliendeals der Kataris mit Sarkozy scharf kritisiert – zumindest, als sie sich noch in der Opposition befand. Nun steht die Regierung Hollande auch vor dem Problem, die rüstungstechnische Zusammenarbeit mit Katar ihrer Wählerschaft zu erklären: Derzeit erwerben die Kataris, die nicht von US-amerikanischen Waffen abhängig sein wollen, rund 80 Prozent ihrer militärischen Ausrüstung in Frankreich. Für die französische Rüstungsindustrie sind diese Geschäfte beinahe überlebenswichtig.

 

»Katar will diplomatisch in der ersten Liga spielen. Wenn du nur an Konferenzen teilnimmst, aber aus einer militärischen Perspektive nichts zu bieten hast, funktioniert das nicht«, sagt der ehemalige Militärattaché der französischen Botschaft in Doha, Philippe Meyer, im Gespräch mit zenith. Allerdings buhlten auch andere um die Militärbudgets der Scheichs. »Da ist immer die Angst, dass uns Großbritannien mit seiner Waffenindustrie am Golf den Schneid abkauft«, fügt Meyer hinzu.

 

Für Karim Bitar vom IRIS steht fest, dass die Regierung Hollande ihr Verhältnis zu Katar auch langfristig der Bürokratie überlassen werde: »Er sagt Ja oder Nein und reicht dann das Telefon weiter, um Staatsbeamte die Einzelheiten verhandeln zu lassen.« Mit Hollande werde die klassische Diplomatie sich wieder durchsetzen: »Bewege dich vorsichtig und analysiere alles.« Mit Katar angemessen umzugehen sei nun zwar eine schwere, aber keine unlösbare Aufgabe für Paris.

 

Nach dem Wahlerfolg ernannte Hollande den sozialistischen Ex-Premier Laurent Fabius zum Außenminister; der Diplomat Jean Paul Ortiz wurde sein Top-Berater. Ortiz' Spezialgebiete sind allerdings Asien und besonders China. Manchen Beobachtern der französischen Außenpolitik gilt das als Indiz dafür, dass sich der Fokus deshalb ein Stück weit weg vom Golf und mehr auf Ostasien richten könnte.

Von: 
Charlie Hamilton

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