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Mord an drei kurdischen Aktivistinnen in Paris

Schalldämpfer gegen die Annäherung

Analyse

Eine umfassende Aufklärung des Mordes an drei kurdischen Aktivistinnen in Paris steht noch aus. Doch vieles spricht dagegen, dass sie internen Richtungskämpfen der PKK zum Opfer fielen, meint Benjamin Hiller.

Die Nachricht schockierte nicht nur die kurdische Community in Europa, sondern auch in der Türkei: In der Nacht zum 10. Januar wurden die drei kurdischen Aktivistinnen Sakine Cansiz, Fidan Dogan und Leyla Soylemez in einem kurdischen Kulturzentrum in der Pariser Innenstadt erschossen aufgefunden. Nach aktuellem Informationsstand wurden die Frauen regelrecht exekutiert – mit mehreren Kopf- und Nackenschüssen.

 

Kurdische Quellen berichten auch von dem Einsatz von Schalldämpfern. Alle bisherigen Indizien sprechen für professionell durchgeführte Morde, insbesondere da das Gebäude nicht ohne weiteres von Außen betreten werden kann. Der französische Innenminister Manuel Valls sprach den Familienangehörigen am Tatort sein Beileid aus: »Die drei Frauen wurden ohne Zweifel exekutiert. Die französischen Behörden werden versuchen, so schnell wie möglich Licht in diese Angelegenheit zu bringen.«

 

Vor dem Gebäude selbst versammelten sich hunderte Kurden, viele von ihnen aus dem umliegenden 10. Distrikt. Sie skandierten Parolen wie »Wir sind alle die PKK« und »Die Türkei ist die Mörderin, Hollande ihr Komplize«. Insbesondere letzterer Ausruf bezeugt das schwierige Verhältnis zwischen den französischen Behörden und der kurdischen Bevölkerung. Unter Staatschef Francois Hollande wurde die Verfolgung von kurdischen Aktivisten – als Teil der Terrorismusbekämpfung und auf Druck der Türkei – massiv ausgeweitet. Es kam in den letzten Monaten zu Razzien, Verhaftungen und auch direkten Auseinandersetzungen zwischen kurdischen Aktivisten und der französischen Polizei, aber auch türkischen Nationalisten.

 

Islamisten der »Hizbullahî Kurdî« unter Verdacht

 

Der Regierungssprecher der türkischen Regierungspartei AKP, Hüseyin Celik, hingegen möchte die Tat einer »internen PKK-Auseinandersetzung« zugerechnet sehen – und viele türkische Medien übernehmen diese Lesart. Celik ging nicht darauf ein, dass der türkische Geheimdienst MIT sowie der »tiefe Staat«, wie Türken die Verflechtungen von Militärs, Mafia und Politikern auch nennen, in der Türkei in den letzten Jahrzehnten oft ähnliche Auftragsmorde durchführte – meist mit Hilfe von kurdischen Rekruten.

 

Auch »Hizbullahî Kurdî«, eine islamistische Terrorgruppe mit dem Ziel, einen religiösen Staat nach iranischem Vorbild in der Türkei zu errichten und dabei gezielt gegen linke kurdische Aktivisten vorging, kommt in Betracht – insbesondere da viele Hizbullahî-Anhänger nach ihrer vorläufigen Zerschlagung im Jahre 2000 nach Europa geflohen sind. Seit die AKP 2002 an der Regierung ist, wurde die Verfolgung der Hizbullahî merklich zurückgefahren und auch für Gnadengesuche von verurteilten Anhängern gab es offene Ohren.

 

Zu Zeiten der massivsten türkisch-kurdischen Auseinandersetzungen in der Türkei in den 1990er Jahren mordete die Gruppe hundertfach. Allesamt errangen sie als »Morde von unbekannten Tätern« in der Türkei traurige Berühmtheit. Dass Hizbullahî Kurdî weiter in Europa aktiv ist und seine alte Schlagkraft erneut erreichen möchte, zeigen Geheimdienstdokumente aus Deutschland und der Schweiz, welche der Basler Zeitung vorliegen.

 

Bereits im September 2012 berichteten Schweizer Medien, dass sich sich Anhänger und führende Köpfe der Hizbullahî Kurdî aus Frankreich, Deutschland und der Schweiz in einer Basler Moschee treffen. Mitglieder hatten im Irak leichte Handfeuerwaffen, Sprengstoff und Panzerfäuste des Typ RPG-7 organisiert. Der Schweizer Ali D., leitendes Mitglied der Moschee, ist auch einer der Top-Funktionäre der Hizbullahî Kurdî. Kontakte zur libanesischen Hisbollah wie auch zum Iran werden durch regelmäßige Besuche gepflegt. Und für die Hizbullahî Kurdî ist einer der Hauptfeinde noch immer die links-säkulare kurdische PKK – wird sie doch als Haupthindernis für die religiöse Bewegung in der Ost-Türkei angesehen.

 

Seit 2009 wurden mehrere tausend kurdische Aktivisten, Bürgermeister und Journalisten wegen Verdacht auf KCK-Mitgliedschaft verhaftet

 

In einer ersten Stellungnahme reagierte Zübeyir Aydar, Exekutivratsmitglied des Kurdischen Nationalkongresses in Brüssel, entrüstet: »Wir erwarten vom französischen Staat und den Vertretern der EU, dass sie diesen Mordfall lückenlos aufklären. Es ist nicht das erste Mal, dass kurdische Politiker in Europa zum Opfer von Mordanschlägen wurden« – gemeint sind die Morde an den kurdischen Politikern Abdul Rahman Ghassemlou 1989 in Wien und Mihemed Sadiq Şerefkendî 1992 in Berlin.

 

Besonders der Zeitpunkt und die Stellung zweier weiblicher Mordopfer innerhalb der kurdischen Bewegung lässt aufhorchen: Sakine Cansiz war Mitbegründerin der PKK, das zweite Opfer Vertreterin des Kurdischen Nationalkongresses KNK in Paris. Der KNK wird oft mit der KCK, der »Union der Gemeinschaften Kurdistans«, gleichgesetzt. Die KCK wird in der Türkei jedoch als »ziviler Arm« der PKK angesehen; seit 2009 wurden mehrere tausend kurdische Aktivisten, Bürgermeister wie auch Journalisten wegen dem Verdacht auf KCK-Mitgliedschaft verhaftet.

 

Parallel gingen in europäischen Ländern vielfach Sicherheitskräfte gegen Mitglieder des KNK vor. Ein weiterer Umstand spricht gegen die These der »internen Kämpfe«: In einer als »classified«, also geheim, eingestuften Depesche aus dem Jahre 2007 skizziert der US-Botschafter Ross Wilson einen Drei-Stufen Plan im Kampf gegen die PKK in Europa, angelehnt an der Antiterror-Strategie gegen Al-Qaida. Die Depesche, welche durch Wikileaks veröffentlicht wurde, zielt darauf, den Druck auf die EU-Partner bei der Bekämpfung der PKK zu erhöhen und damit die strategisch wichtigen türkischen Geheimdienste zu »befriedigen«.

 

Direkte Gespräche mit PKK-Chef Öcalan boten Anfang 2013 Grund zur Hoffnung

 

Ziel sei es, den Geldtransfer aus Europa in den Nord-Irak trocken zu legen sowie führende PKK-Mitglieder in Europa durch Abschiebung in die Türkei »auszuschalten«. Als eine der zwei wichtigsten Zielpersonen wird die nun ermordete Sakine Cansiz genannt. Ihr wird nachgesagt, tief in die PKK-Strukturen involviert und eine Hauptrolle im Geldtransfer zur PKK gespielt zu haben. Somit ist der Tod von Sakine Cansiz – cui bono – zuallererst den internationalen Geheimdiensten wie auch Gruppen wie Hizbullahî Kurdî dienlich; die PKK – auch deren radikaler Flügel, hat definitiv keinen Nutzen davon.

 

2012 wurde zu einem der blutigsten Jahre seit den 1990ern im Dauerkonflikt: Die International Crisis Group (ICG) hat errechnet, dass mehr als 900 türkische Soldaten, kurdische Guerillakämpfer und kurdische Zivilisten diesen Gefechten zum Opfer gefallen sind. Dabei bot der Jahresbeginn 2013 Grund zur Hoffnung: Das Versagen der militärischen Aufstandsbekämpfung hat in den vergangenen Wochen zu einem Umdenken innerhalb Teilen der AKP geführt.

 

Es werden nun wieder direkte Gespräche mit dem inhaftierten PKK-Gründer Abdullah Öcalan geführt, eine Roadmap zum Frieden wie auch eine Waffenniederlegung der PKK stehen auf der Agenda. Just zu diesem Zeitpunkt werden die Frauen im Zentrum von Paris hingerichtet. Viele Kurden sehen darin ein weiteres Zeichen dafür, dass es dem türkischen Militär, aber auch anderen anti-kurdischen Aktivisten nicht an einer echten Lösung der »kurdischen Frage« gelegen ist. Unterfüttert wird die Ansicht, dass es im Kern stets um eine Ausschaltung der PKK ging, von Aussagen diverser Politiker und Militärs.

 

Noch im Dezember 2012 sagte der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan: »Entweder entscheidet ihr euch, wie Menschen unter dieser Nation zu leben oder ihr sucht euch ein anderes Land, in dem ihr leben könnt. Oder aber ihr versteckt euch weiterhin in euren Höhlen. Aber seid gewiss, dass wir euch auch in diesen Höhlen finden werden.« Schon kurz nach Bekanntwerden haben die Morde für Reaktionen in der Türkei gesorgt: In kurdischen Städten der Ost-Türkei, etwa in Diyarbakir, wird zu Demonstrationen und dem Boykott des öffentlichen Lebens aufgerufen.

 

Diese Eskalation kommt zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunk und könnte den gestarteten Friedensprozess erneut ins Stocken bringen. Mittlerweile wurden zwei kurdischstämmige Männer, 30 und 39 Jahre alt, von der französischen Polizei verhaftet. Diese seien aus dem nahen Umfeld der Getöteten, so die Presseabteilung. Der ältere der beiden Festgenommenen musste aber am 21. Januar aus Mangel an Beweisen wieder freigelassen werde.

 

Der französische Inlandsgeheimdienst teilte nach den Verhaftungen der türkischen Regierung mit, dass es eine »interne Abrechnung« gewesen sein. Dieser Ansicht widersprechen aber Quellen aus Reihen der belgischen Polizei: Diese hatten die französische Regierung wie auch PKK-nahe Gruppen vor kurzem davor gewarnt, dass zwei »Anti-PKK Kommandos« in Frankreich angekommen seien, um ranghohe Ziele anzugreifen.

 

In Reaktion darauf hatte die französische Polizei in der Nähe von kurdischen Einrichtungen CCTV-Kameras aufgestellt; deren Daten liegen bisher noch nicht vor. Auch ist eine weitere Rede von Erdogan vom 12. Januar, also zwei Tage nach den Morden, aufgetaucht: »Am 5. November 2012 haben wir unsere letzte Nachricht an die französische Abteilung von Interpol geschickt, dass sich in Paris Terroristen (gemeint ist Cansiz) aufhalten. Zu unserem Bedauern hat die französische Regierung daraufhin keine Schritte gegen diese Terroristen unternommen.« Eine umfangreiche und transparente Aufklärung der Morde steht also bis dato noch aus.

Von: 
Benjamin Hiller

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