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Waffenlieferungen an die Türkei und Griechenland

Erdoğans F-16-Poker

Analyse
Waffenlieferungen an die Türkei und Griechenland
U.S. Department of State

Am Anfang seiner Nahost-Tour machte US-Außenminister Blinken zunächst Halt in Istanbul und auf Kreta. Was die türkisch-griechische Rivalität in Sachen Rüstung mit dem schwedischen NATO-Beitritt und dem grünen Licht der Bundesregierung für Eurofighter-Lieferungen an Saudi-Arabien zu tun hat.


 

Zum Auftakt seiner jüngsten Reise in den Nahen Osten führte US-Außenminister Antony Blinken politische Gespräche in der Türkei und in Griechenland. Auch in Istanbul und auf Kreta ging es – wie sollte es anders sein – um die explosive Lage im Nahen Osten. Wenig beachtet in der Öffentlichkeit blieb, dass für Amerikas Top-Diplomaten ein Thema ohne direkten Bezug zum Krieg in und um Gaza ganz oben auf der Tagesordnung stand: die Modalitäten der nicht nur in Washington als überfällig erachteten Ratifizierung des NATO-Beitritts Schwedens durch die Türkei.

 

Seit Präsident Recep Tayyip Erdoğans grundsätzlicher Zustimmung zu der Erweiterung auf dem NATO-Gipfel von Vilnius im Juli vergangenen Jahres erleben wir in dieser Frage ein politisches Hin- und Her. Dabei geht es längst nicht mehr um das skandinavische Land. Ankara nutzt seine Veto-Macht in der Allianz als Faustpfand in einem Ringen um milliardenschwere Waffenlieferungen aus den USA. Konkret geht es um die Beschaffung von 40 hochmodernen F-16-Kampfjets und 80 sogenannte Modernisierungspakete für überalterte Flieger im türkischen Arsenal.

 

Während die Biden-Administration nach anfänglichem Zögern das Waffengeschäft mit den Türken befürwortet, stößt der Deal in beiden Häusern des Kongresses parteiübergreifend auf Widerstand. Die Lage wird dadurch verkompliziert, dass Senat und Repräsentantenhaus bei Rüstungsgeschäften ein verbrieftes Mitspracherecht haben.

 

»Positive Entwicklungen seitens der Vereinigten Staaten in Bezug auf die F-16 werden die positive Haltung unseres Parlaments (in der schwedischen Frage, RM) beschleunigen«, formulierte der türkische Präsident sein politisches Junktim. »Alle diese Fragen sind miteinander verknüpft«, ergänzte Erdoğan.

 

Präsident Biden hatte bereits im Februar des vergangenen Jahres den Kongress förmlich darüber informiert, dass er die Lieferung des F-16-Pakets an Ankara beabsichtige. Es dauerte nicht lange und im Kongress formierte sich der Widerstand. Die Gegner des Waffengeschäfts bemängeln zum einen die mangelhafte Bündnisloyalität Ankaras im Krieg in der Ukraine und stellen sodann – ebenfalls – ein politisches Junktim her zwischen der Ratifizierung der NATO-Mitgliedschaft Schwedens seitens der Türkei und ihrer Zustimmung zu den Waffenlieferungen. Eine dritte Forderung aus dem Kongress, die das Verfahren zusätzlich verkompliziert, zielt darauf ab, dass Ankara die gelieferten Flugzeuge nicht gegen den NATO-Partner Griechenland einsetzen darf.

 

Kurz vor dem Gipfeltreffen von Vilnius sprach US-Präsident Biden im Sommer ein Machtwort

 

Washingtons Beziehungen zur Türkei haben – allemal, wenn es um Rüstungsgeschäfte geht –spätestens seit Ankaras Zypern-Invasion vor 50 Jahren und dem folgenden Waffenembargo stets eine griechische Dimension. Nicht zuletzt in Folge des Wirkens einer gut aufgestellten hellenischen Lobby in Amerika achtet die Administration bei ihren Waffengeschäften in der Region mit Argusaugen darauf, dass die Interessen Athens nicht unter den Tisch fallen.

 

Auch die griechische Luftwaffe ist an modernem Fluggerät »Made in USA« interessiert. Nach Auskunft des österreichischen Luftfahrtjournalisten Georg Mader in der Fachzeitschrift Militär Aktuell geht es bei dem »massiven« Ausbau neben dem Kauf von 24 »Dassault Rafale« aus Frankreich um den Erwerb von 48 F-35 aus den USA. Dabei handelt es sich um Kampfjets, die unter Experten als das Maß aller Dinge in der Waffentechnologie gelten.

 

»Wenn unser Projekt zur Modernisierung der F-16-Flugzeuge scheitert, während Griechenland seine Projekte realisieren kann, wird die griechische Seite 2025 die Oberhand bei Kampfflugzeugen gewinnen«, zitiert Hader den ehemaligen Kommandeur der türkischen Luftwaffe, General Abidin Unal.

 

Die USA finden sich einmal mehr im Fadenkreuz divergierender Interessen ihrer zerstrittenen Bündnispartner an der Südostflanke der NATO. Kurz vor dem Gipfeltreffen von Vilnius sprach US-Präsident Biden im Sommer ein Machtwort. In einem CNN-Interview sagte er damals: »Die Türkei möchte ihre F-16-Flugzeuge modernisieren. Und (der griechische Ministerpräsident) Mitsotakis in Griechenland bittet ebenfalls um Hilfe. Ich versuche also, ein kleines Konsortium zusammenzustellen, das die NATO in Bezug auf die militärischen Kapazitäten Griechenlands und der Türkei stärkt und Schweden die Möglichkeit gibt, sich zu beteiligen. Aber es ist im Spiel. Es ist noch nicht fertig.«

 

Der Ton zwischen Ankara und Washington ist rauer geworden

 

Der Grund für die Verzögerung liegt im Moment vor allem an der Haltung im Kongress. Dessen Konditionalitäten sind für die Türkei offenbar schwer zu schlucken. Aufhorchen ließ angesichts dieser Gemengelage die Äußerung von US-Außenminister Blinken nach seinen Istanbuler Gesprächen mit der türkischen Führung vom Wochenende. Der Außenminister sagte, er habe mit Erdoğan über die »finalen Schritte im Prozess der Ratifizierung des Beitritts Schwedens zur NATO in den nächsten Wochen« gesprochen. Einzelheiten führte Blinken nicht aus.

 

Unterdessen berichtet die gut unterrichtete Athener Tageszeitung Kathimerini von einem »Ultimatum« Blinkens an seinen türkischen Amtskollegen Hakan Fidan: »Wenn Sie nicht bis zum Jahreswechsel den NATO-Beitritt Schwedens beschließen, werden wir das Thema der F-16 (für die Türkei) und der F-35 (für Griechenland) entkoppeln und mit dem Verkauf (der Kampfjets) an Griechenland fortfahren.«

 

Der Ton zwischen Ankara und Washington ist rauer geworden. Das zeigen nicht zuletzt die versteinerten Mienen Blinkens und seiner türkischen Gastgeber in Istanbul. Die ohnehin angeschlagenen Beziehungen zwischen Washington und Ankara würden auf einen neuen Tiefpunkt fallen, sollte das Geschäft mit den F-16 nicht zustande kommen. Die letzte große Krise in den US-amerikanisch-türkischen Beziehungen ereignete sich 2019.

 

Auch damals war hochmodernes Kriegsgerät der Stein des Anstoßes. Nachdem Ankara das russische Raketenabwehrsystem S 400 erworben hatte, warfen die Amerikaner die Türken kurzerhand aus dem mulinationalen Entwicklungsprogramm für die F-35 Kampfjets. Die Flieger könnten nicht Seite an Seite mit einem russischen Spionageinstrument eingesetzt werden, das dazu genutzt werde, die Flugzeuge auszuspähen, hieß es seitens der Trump-Administration.

 

Die Türkei ist seit November mit London und Madrid über den Kauf von 40 Eurofightern ins Gespräch gekommen

 

Washingtons Drängen, Ankara möge die S 400 einmotten, hat bis heute keine Früchte getragen. Die türkische Luftwaffe bezahlt für Erdoğans geopolitisch motivierten Raketenkauf bei den Russen einen hohen Preis. Denn die F-35, die für Ankara in unerreichbare Ferne gerückt sind, gelten als technologisch fortschrittlicher als die F-16-Flieger. Und selbst um die muss die Türkei jetzt bangen.

 

Dies mag erklären, wieso Ankara auf der Suche nach möglichen Alternativen bei den Produzenten des Eurofighters vorgesprochen hat. Der »Eurofighter Typhoon«, so die offizielle Bezeichnung, ist ein Mehrzweckkampfflugzeug, das die Rüstungsindustrien Deutschlands, Großbritanniens, Italiens und Spaniens gemeinsam herstellen. Zu den Abnehmern der Maschinen gehören auch die arabischen Golfstaaten Saudi-Arabien, Katar, Kuwait und Oman.

 

Nun ist bekanntgeworden, dass die Türkei seit November letzten Jahres mit London und Madrid über den Kauf von 40 Eurofightern ins Gespräch gekommen ist. Damit die Transaktion erfolgen kann, ist eine Zustimmung Berlins erforderlich. Im Vorfeld des Besuches des türkischen Präsidenten in der deutschen Hauptstadt im November ist es – so berichten griechische Medien – habe die türkische Seite ihre Lobby-Aktivitäten in Richtung der Bundesregierung verstärkt. Während London und Madrid dem Waffendeal mit Ankara zugeneigt seien, habe Olaf Scholz Erdoğan abblitzen lassen, heißt es.

 

Durchaus konsequent und die restriktive Linie befolgend hatte Berlin bis zuletzt auch das Ansinnen Saudi-Arabiens blockiert, zusätzlich 48 Eurofighter zu erwerben, was Riad bewogen hat, gegenüber Frankreich das Interesse am Kauf von Kampfjets des Typs »Dassault Rafale« auszuloten. Es wäre das erste Geschäft dieser Art der Saudis mit den Franzosen.

 

Erdoğan wäre nicht Erdoğan, wenn er diesen Trumpf im Feilschen mit den Amerikanern nicht einkalkuliert hätte

 

In den heiß umkämpften Markt der Kampfflugzeuge ist neue Dynamik gekommen, seitdem die deutsche Außenministerin nun verkündet hat, dass die Bundesregierung dem Export von Eurofightern nach Saudi-Arabien nicht länger im Weg stehen will. »Die Welt, insbesondere im Nahen Osten, ist seit dem 7. Oktober eine komplett andere geworden«, sagte Annalena Baerbock.

 

Ob diese Neubewertung der geostrategischen Rahmenbedingungen der deutschen Ministerin so weit reicht, dass Berlin fortan die restriktive Rüstungsexportpolitik auch gegenüber dem NATO-Partner Türkei revidiert, ist zur Stunde nicht absehbar. Der Rüstungslobby im In- und Ausland hat die Kursänderung Berlins in der Eurofighter-Frage in jedem Fall neue Munition geliefert – und der Türkei möglicherweise neue Argumente.

 

Ob und wann es zur türkischen Ratifizierung der schwedischen NATO-Mitgliedschaft kommt, steht dagegen allem Zweckoptimismus der Amerikaner zum Trotz in den Sternen. Derweil richtet sich das Augenmerk auf den 16. Januar: den Tag, an dem die türkischen Parlamentarier aus der Neujahrspause kommen. In Ankara erwartet man den nächsten Schritt von den USA in Form eines »grünen Lichts« für die F-16-Lieferung. Erdoğan legt Wert auf die »Synchronisierung« der türkischen Zustimmung und der Formalisierung der amerikanischen Zusage.

 

Das Drama könnte somit in die Verlängerung gehen. Selbst wenn eine Mehrheit im türkischen Parlament ihr Placet zum Schweden-Beitritt gibt, wird – so hört man aus Ankara – die Ratifizierung erst rechtskräftig, wenn die Regierung das NATO-Hauptquartier offiziell hierüber in Kenntnis setzt.

 

Erdoğan wäre nicht Erdoğan, wenn er diesen Trumpf im Feilschen mit den Amerikanern nicht einkalkuliert hätte.


Dr. Ronald Meinardus ist Senior Research Fellow bei der »Hellenischen Stiftung für Europäische und Auswärtige Politik« (ELIAMEP).

Von: 
Ronald Meinardus

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