Journalist Aluf Benn über Parallelen zwischen dem 7. Oktober und dem Jom-Kippur-Krieg – und was die Entscheidungsträger damals zum Friedensschluss motivierte.
zenith: Zumindest auf dem Papier besteht seit Anfang Oktober ein Waffenstillstand zwischen Israel und der Hamas. Wie haben Sie darauf reagiert?
Aluf Benn: Ich war schon etwas überrascht, weil ich mir nicht sicher war, ob Trump Netanyahu tatsächlich einen Waffenstillstand aufzwingen würde. Und ob Trump tatsächlich ein halbherziges Einverständnis der Hamas zu einigen der Bedingungen annehmen würde, um so den Druck auf Netanyahu zu erhöhen. Viele Israelis, nicht nur wir bei Haaretz, waren skeptisch, ob alle Geiseln zurückkehren würden. Ihre Porträts waren in Israel allgegenwärtig. Jedem waren ihre Namen und ihre Gesichter vertraut. Dass die Toten nun hier zu Grabe getragen werden konnten und die Überlebenden zurückkehrten, war dementsprechend eine unerwartete, aber umso erfreulichere Überraschung.
Für wie nachhaltig und tragfähig halten Sie den Waffenstillstand?
Der Waffenstillstand selbst ist sehr brüchig. Wochen nach Inkrafttreten bombardieren die israelischen Luftstreitkräfte weiter Ziele im Libanon. Und immer wieder brechen Gefechte in Gaza aus. Grundsätzlich stellt sich jetzt die Frage, ob etwa im Ausland Boykottmaßnahmen gegen Israel trotz Waffenstillstand weiter gefordert werden oder an Momentum verlieren und sich im Wesentlichen wieder auf die BDS-Bewegung beschränken. Diesen Unwägbarkeiten zum Trotz: Seit der Präsentation des 20-Punkte-Plans ist es einfacher, über den Weg hin zu einem nachhaltigeren, stabileren, dauerhafteren Frieden zu reden. Aber es wird eine sehr lange Zeit brauchen, um das Trauma vom 7. Oktober und zwei Jahren Krieg zu überwinden.
Wie sehr steht dieses Trauma einem politischen Neuanfang im Weg?
Der Jom-Kippur-Krieg ereignete sich genau 50 Jahre und einen Tag vor dem 7. Oktober 2023. Und bis heute kommen die Erinnerungen an diesen Krieg am Tag des Versöhnungsfests im jüdischen Kalender hoch und es flammen wieder die Diskussionen auf, wer dafür verantwortlich war, dass der ägyptische Angriff nicht vorausgeahnt wurde. Ich persönlich kenne viele Menschen, die damals dienten und traumatisiert zurückblieben. Sie sind es bis heute. Etwa 3.000 Gefallene waren damals zu beklagen. Und dennoch empfing Israel vier Jahre später den ägyptischen Präsidenten Anwar Al-Sadat in Jerusalem. Und anderthalb Jahre später folgte der Friedensvertrag. Die Entscheidungsträger damals verschwendeten keine Zeit darauf, bis eine Generation ohne dieses Kriegstrauma heranwächst. Sie verstanden, dass man gerade wegen dieses Traumas schnell handeln musste, um einen besseren Rahmen für eine Koexistenz zu finden, die dann im Abkommen von Camp David mündete – ein kalter Frieden, aber einer, der seit 50 Jahren hält und einem sehr traumatischen und blutigen Krieg folgte.
Aluf Benn wurde 1965 geboren und ist seit 2011 Chefredakteur der israelischen Tageszeitung Haaretz. Das Interview wurde am Rande der Konferenz »Bruchlinien und Zukunftsperspektiven: Israel, Gaza und Deutschland in Kriegszeiten und darüber hinaus« in Berlin Anfang November 2025 geführt.




