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Zukunft der Abraham-Abkommen

Die palästinensische Frage darf nicht ignoriert werden

Kommentar
Zukunft der Abraham-Abkommen

Die Abraham-Abkommen haben viele Türen geöffnet – aber dauerhafter Frieden erfordert die Einbindung der Palästinenser, sagt Ebtesam Al-Ketbi vom Emirates Policy Center.

Die Abraham-Abkommen von 2020 waren ein historischer Moment des Wandels, weil sie die Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und Bahrain, Marokko, dem Sudan sowie den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) eingeleitet haben. Endlich wurden die jahrzehntelangen Bemühungen der arabischen Welt, Israel aufgrund der Besetzung palästinensischer Gebiete in Ostjerusalem, im Gazastreifen und dem Westjordanland zu isolieren, beendet. Die Abraham-Abkommen ermöglichten Direktflüge, Botschaften wurden eröffnet und hochrangige Staatsbesuche unternommen.

 

Sie haben zudem die regionale Diplomatie neugestaltet und Handel, Tourismus und technologische Zusammenarbeit angekurbelt – insbesondere zwischen Israel und den VAE. Das dauerhafte Vermächtnis der Abkommen wird jedoch davon abhängen, inwieweit sie in der Lage sind, die politischen Rechte der Palästinenser voranzubringen und echte Stabilität sowie Kooperation zwischen den Staaten der Region zu fördern.

 

In den drei Jahren nach ihrer Unterzeichnung waren die Abraham-Abkommen ein Rahmen für Zusammenarbeit im Nahen Osten, am Golf, im Mittelmeerraum, am Roten Meer und im Indischen Ozean. Sie galten als Erfolg der US-amerikanischen Außenpolitik. Die Verlegung Israels aus dem Verantwortungsbereich des Europäischen Kommandos der US-Streitkräfte in das Zentrale Kommando verdeutlichte den transformativen Charakter der Abkommen und festigte Israels Integration in die Region. Für Israel waren die Abkommen zunächst auch ein Mittel, um den Einfluss Irans einzudämmen. Und in gewisser Hinsicht gelang es Israel, die Verbündeten Washingtons in der Region unter einem gemeinsamen Sicherheitsschirm zu vereinen.

 

Sorge vor einem »kalten Frieden«

 

Vor dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7 Oktober 2023 und dem darauffolgenden Krieg im Gazastreifen prägten die Abraham-Abkommen zunehmend die geopolitische Landschaft der Region. Heute jedoch stellen der Krieg und die wachsende regionale Instabilität, die auf die israelischen Militäroperationen folgte, große Herausforderungen für die Zukunft der Abkommen dar.

 

Es wächst die Sorge, dass die Region auf einen »kalten Frieden« zusteuert, geprägt von geringer Unterstützung in den Gesellschaften der Partnerländer und wachsender Enttäuschung über die Abkommen. Aufgrund der regionalen Instabilität und ungelöster palästinensischer Anliegen verzögert sich beispielsweise die Einbindung Saudi-Arabiens in die Abraham-Abkommen. Destabilisierende Ereignisse, wie der israelische Luftschlag in Doha im September, könnten die Bemühungen der Vereinigten Staaten, die Abkommen auf weitere Golfstaaten auszuweiten, erschweren.

 

Während geopolitische Entwicklungen zunehmend das Schicksal der Abraham-Abkommen beeinflussen – oft zulasten wirtschaftlicher Zusammenarbeit – bieten Projekte wie der Indien-Nahost-Europa-Wirtschaftskorridor IMEC (dessen Kernziel es ist, Israel in regionale Infrastruktur- und Handelsnetzwerke einzubinden und der aufgrund des Krieges ins Stocken geraten ist) Anreize zur Wiederbelebung und möglichen Erweiterung der Abkommen.

 

Deutschland spielt eine Schlüsselrolle dabei, neue Chancen für Frieden voranzubringen

 

Heute unterstützt Europa verstärkt eine Zweistaaten-Lösung und setzt sich für ein Ende der israelischen Besatzung ein, um sicherzustellen, dass alle Phasen des Abkommens zur Beendigung des Gaza-Krieges ohne Verzögerung umgesetzt werden. Deutschland kommt eine Schlüsselrolle zu, wenn es darum geht, neue Chancen für den Frieden zu fördern, den Waffenstillstand im Gazastreifen zu unterstützen und sich möglicherweise in Zusammenarbeit mit europäischen und regionalen Partnern an der Umsetzung einiger seiner Artikel zu beteiligen. Berlin muss anerkennen, dass das Ende des Leidens der palästinensischen Bevölkerung in Gaza und im Westjordanland und die Schaffung einer politischen Perspektive zur Lösung des Konflikts vollständig mit seiner entschiedenen Unterstützung für Israel vereinbar sind.

 

Letztlich dienen Frieden und Wohlstand den langfristigen Interessen sowohl des israelischen Volkes als auch Deutschlands. Die in den Abraham-Abkommen verkörperten Prinzipien der Zusammenarbeit, des Zusammenlebens und der Deeskalation entsprechen der deutschen Diplomatie, die sich stets für die Festigung dieser Werte im Nahen Osten eingesetzt hat.

 

Aus Sicht der Vereinigten Arabischen Emirate liegt eine zentrale Herausforderung darin, die Palästinensische Autonomiebehörde und die palästinensische Gesellschaft in einen erneuerten Friedensprozess einzubinden. Dieser Prozess muss die Besatzung beenden, den Siedlungsbau stoppen und verhindern, dass Israel die Souveränität anderer Staaten wie Katar und Syrien verletzt.

 

Die palästinensische Frage darf nicht ignoriert werden

 

Diese Ziele der Abraham-Abkommen waren bereits vor dem 7. Oktober 2023 schwer zu erreichen und wurden mit dem Krieg im Gazastreifen noch schwieriger. Da der Krieg aber nun mit breiter internationaler und regionaler Unterstützung beendet wurde, rückt der Wiederaufbau in den Vordergrund. Die VAE haben signalisiert, dass ihre finanzielle und politische Unterstützung für den Wiederaufbau Gazas an einen tragfähigen, von den USA unterstützten Plan geknüpft sein wird. Nun haben wir die Gelegenheit, einen pragmatischeren und nuancierten politischen Ansatz zu verfolgen.

 

Die palästinensische Frage kann aufgrund ihrer Zentralität nicht ignoriert werden. Und die Wirtschafts- und Entwicklungsinitiativen der VAE können nur in einem Kontext von regionalem Frieden und Deeskalation wirksam sein. Die wichtigste Lehre aus dem Gaza-Krieg ist, dass übermäßige Gewalt nicht zu dauerhaftem Frieden oder zur Lösung von grundlegenden Problemen führt. Stattdessen brauchen wir ein erneutes Bekenntnis zu Diplomatie, Mäßigung, Toleranz und Ablehnung von Hass.

 

Aus Sicht der VAE hat der Krieg den Abraham-Abkommen erheblichen Schaden zugefügt und den Fokus wieder auf die ungelöste palästinensische Frage gelenkt. Mit dem Ende des Krieges bietet sich nun eine große Chance, zahlreiche schwierige Problemfelder anzugehen, was zu einem positiven Ergebnis im Hinblick auf die Wiederbelebung und Ausweitung der Abraham-Abkommen führen könnte. Das palästinensische Volk verdient einen unabhängigen und sicheren Staat. Und trotz aller Herausforderungen ist dieses Ziel alternativlos.



Zukunft der Abraham-Abkommen

Ebtesam Al-Ketbi ist Präsidentin des Emirates Policy Center. Dieser Beitrag wurde zuerst auf English bei The Berlin Pulse veröffentlicht.

Von: 
Ebtesam Al-Ketbi

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