Lesezeit: 8 Minuten
Mord an kurdischen Aktivistinnen

PKK im Fadenkreuz

Analyse

Unbekannte haben in der französischen Hauptstadt Paris drei kurdische Aktivistinnen erschossen. Die Morde wecken schlimme Erinnerungen an das dunkle Kapitel türkisch-kurdischer Auseinandersetzungen in den 1990er Jahren.

Die Nachricht schockierte nicht nur die kurdische Community in Europa, sondern auch in der Türkei: In der Nacht auf heute wurden die drei kurdischen Aktivistinnen Sakine Cansiz, Fidan Dogan und Leyla Soylemez in einem kurdischen Kulturzentrum in der Pariser Innenstadt erschossen aufgefunden. Nach aktuellem Informationsstand wurden die Frauen regelrecht exekutiert – mit Kopf- und Nackenschüssen.

 

Kurdische Quellen berichten auch von dem Einsatz von Schalldämpfern. Alle bisherigen Indizien sprechen für professionell durchgeführte Morde, insbesondere da das Gebäude nicht ohne weiteres von Außen betreten werden kann. Der französische Innenminister Manuel Valls sprach den Familienangehörigen am Tatort sein Beileid aus: »Die drei Frauen wurden ohne Zweifel exekutiert.

 

Die französischen Behörden werden versuchen so schnell wie möglich Licht in diese Angelegenheit zu bringen.« Vor dem Gebäude selbst versammelten sich hunderte Kurden, viele von ihnen aus dem umliegenden 10. Distrikt. Sie skandierten Parolen wie »Wir sind alle die PKK« und »Türkei Mörderin, Hollande Komplize«. Insbesondere der letzte Ausruf zeigt das schwierige Verhältnis zwischen den französischen Behörden und der kurdischen Bevölkerung.

 

Unter Staatschef Francois Hollande wurde die Verfolgung von kurdischen Aktivisten – als Teil der Terrorismusbekämpfung und auf Druck der Türkei – massiv ausgeweitet. Es kam in den letzten Monaten zu Razzien, Verhaftungen und auch direkten Auseinandersetzungen zwischen kurdischen Aktivisten und der französischen Polizei, aber auch türkischen Nationalisten.

 

AKP: interne Konflikte waren Grund für Morde

 

Der Regierungssprecher der türkischen Regierungspartei AKP, Hüseyin Celik, hingegen möchte die Tat einer »internen PKK Auseinandersetzung« zugerechnet sehen – und viele türkische Medien übernehmen diese Lesart. Celik ging nicht darauf ein, dass der türkische Geheimdienst MIT sowie der »tiefe Staat«, wie Türken die Verflechtungen von Militärs, Mafia und Politikern auch nennen, in der Türkei in den letzten Jahrzehnten oft ähnliche Auftragsmorde durchführte – meist mit Hilfe von kurdischen Rekruten.

 

Auch Gruppen wie die Hizbullahî Kurdî, eine vom türkischen Staat lange Zeit tolerierte islamistische Terrorgruppe, welche gezielt gegen linke kurdische Aktivisten vorging, kommen in Betracht. Insbesondere da viele Hizbullahî Anhänger wegen laufender Gerichtsverfahren in der Türkei nach Europa geflohen sind; und da die AKP in den letzten Jahren die Verfolgung der Hizbullahî merklich zurückgefahren und auch für Gnadengesuche von verurteilten Anhängern ein offenes Ohr hatte.

 

Zu Zeiten der massivsten türkisch-kurdischen Auseinandersetzungen in der Türkei in den 1990ern mordete die Gruppe hundertfach. Allesamt errangen sie als »Morde von unbekannten Tätern« in der Türkei traurige Berühmtheit. In einer ersten Stellungnahme reagierte Zübeyir Aydar, Exekutivratsmitglied des Kurdischen Nationalkongresses in Brüssel, entrüstet: »Wir erwarten vom französischen Staat und den Vertretern der EU, dass sie diesen Mordfall lückenlos aufklären.

 

Es ist nicht das erste Mal, dass kurdische Politiker in Europa zum Opfer von Mordanschlägen wurden [gemeint sind die Morde an den kurdischen Politikern Abdul Rahman Ghassemlou 1989 in Wien und Mihemed Sadiq Şerefkendî 1992 in Berlin].“ Besonders der Zeitpunkt und die Stellung zwei der Frauen innerhalb der kurdischen Bewegung lässt aufhorchen: Sakine Cansiz war Mitbegründerin der PKK, das zweite Opfer Vertreterin des Kurdischen Nationalkongresses KNK in Paris.

 

Der KNK wird oft mit der KCK, der Union der Gemeinschaften Kurdistans, gleichgesetzt. Der KCK wird in der Türkei jedoch als »ziviler Arm« der PKK angesehen; seit 2009 wurden mehrere Tausend kurdische Aktivisten, Bürgermeister wie auch Journalisten wegen dem Verdacht auf KCK-Mitgliedschaft verhaftet. Parallel gingen in europäischen Ländern vielfach Sicherheitskräfte gegen Mitglieder des KNK vor.

 

Kommt der junge Friedensprozess zum erliegen?

 

2012 wurde zu einem der blutigsten Jahre seit den 1990ern im Dauerkonflikt zwischen beiden Volksgruppen: Die International Crisis Group hat errechnet, dass mehr als 900 türkische Soldaten, kurdische Guerillakämpfer und kurdische Zivilisten diesen Gefechten zum Opfer gefallen sind. Dabei bot der Jahresbeginn 2013 Grund zur Hoffnung: Dieses Versagen der militärischen Aufstandsbekämpfung hat in den letzten Wochen zu einem Umdenken innerhalb Teilen der AKP geführt.

 

Es werden nun wieder direkte Gespräche mit dem inhaftierten PKK-Gründer Abdullah Öcalan geführt, eine Roadmap zum Frieden wie auch eine Waffenniederlegung der PKK stehen auf der Agenda. Just zu diesem Zeitpunkt werden die Frauen im Zentrum von Paris hingerichtet. Viele Kurden sehen darin ein weiteres Zeichen dafür, dass es dem türkischen Militär, aber auch anderen anti-kurdischen Aktivisten nicht an einer echten Lösung der »kurdischen Frage« gelegen ist.

 

Gefüttert wird die Ansicht, dass es im Kern stets um eine Ausschaltung der PKK ging von Aussagen diverser Politiker und Militärs. Noch im Dezember 2012 sagte der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan: »Entweder entscheidet ihr euch wie Menschen unter dieser Nation zu leben oder ihr sucht euch ein anderes Land, in dem ihr leben könnt. Oder aber ihr versteckt euch weiterhin in euren Höhlen.

 

Aber seid gewiss, dass wir euch auch in diesen Höhlen finden werden.« Schon kurz nach Bekanntwerden haben die Morde für Reaktionen in der Türkei gesorgt: In kurdischen Städten der Ost-Türkei, etwa in Diyarbakir, wird zu  Demonstrationen und dem Boykott des öffentlichen Lebens aufgerufen. Die pro-kurdische Partei BDP wird am Nachmittag ihre erste Stellungnahme bei einer Pressekonferenz in Diyarbakir geben.

 

Diese Eskalation kommt zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunk und könnte den gestarteten Friedensprozess erneut ins Stocken bringen. Dass die Ermittlungen der französischen Polizei schon bald zu einem Ergebnis kommen könnten, ist dabei nicht unwahrscheinlich. Zenith-Informationen zufolge wurde die Politikerin Sakine Cansiz bis zuletzt von der Polizei überwacht.

Von: 
Benjamin Hiller

Banner ausblenden

Die neue zenith 02/2022 ist da: Reise zum Mittelpunkt der Erde

Reise zum Mittelpunkt der Erde

Die neue zenith ist da: mit einem großen Dossier zur Region Persischer Golf und überraschenden Entdeckungen. Von Archäologe über Weltpolitik und Wattenmeer zu E-Sports und großem Kino.

Banner ausblenden

Newsletter 2

Der heiße Draht

Frische Analysen, neue Podcast-Folgen, exklusive Einladungen zu Hintergrundgesprächen und Werkstattberichte: Jeden Donnerstag erhalten tausende Abonnenten den zenith-Newsletter. Sie  wollen auch auf dem Laufenden bleiben? Dann melden Sie sich hier kostenlos an.

Banner ausblenden

WM Katar

So eine WM gab es noch nie

Auf 152 Seiten knöpfen sich Robert Chatterjee und Leo Wigger alle wichtigen Fragen rund um die erste Fußball-WM in einem arabischen Land vor.