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Analyse: Ägypten

Wahnsinnig männlich

Analyse
Mashrou’_Leila
Foto: Ateger11

Die libanesische ­Indie-­Band Mashrou ­Leila um den offen ­homosexuellen Sänger Hamed Sinno tritt in Kairo auf. Und eine ­Regenbogenfahne beim Konzert löst in Ägypten einen Aufschrei aus.

Alles begann am 22. September, mit farbenfrohen Fahnen, die der durchschnittliche Ägypter wohl nicht als moralische oder symbolische Bedrohung empfunden hätte. Bei einem Rockkonzert der libanesischen Indie-Band Mashrou Leila hatten Fans die Regenbogenfahne geschwungen, aus Solidarität mit dem Frontsänger Hamed Sinno, der offen zu seiner Homosexualität steht – trotz negativer Reaktionen und Drohungen quer durch die arabische Welt. Als ein Fan dann jedoch ein Foto mit der Fahne auf Facebook hochlud, entfachte das schnell ein Feuer der Empörung. Den Hasskommentaren folgte eine Medienhetze auf allen Kanälen, Talkshows überboten sich an Entrüstungen über Homosexualität und dem Beschwören von Moral und Anstand. Wenige Tage später verhafteten Sicherheitskräfte dann sieben Konzertbesucher unter dem Vorwurf der Förderung der Unsittlichkeit, der Musiker-Berufsverband entzog der Band die Auftrittsgenehmigung für Ägypten. In den folgenden Tagen wurden im Zuge der Razzien gegen Homosexuelle weitere Männer und eine Frau verhaftet. Den 33 Angeklagten drohen mehrjährige Gefängnisstrafen wegen Anstiftung zu »Perversion und Unsittlichkeit«.

WORUM GEHT ES EIGENTLICH?

Die Razzien und Verhaftungen sind Ausdruck der staatlichen Repression gegenüber Homosexuellen in Ägypten, die aber auch in weiten Teilen der Gesellschaft Rückhalt findet. Online-Überwachung und die gezielte Suche nach »Verdächtigen« über Dating-Apps sowie Analtests werden regelmäßig zur Verfolgung Homosexueller eingesetzt. Homosexualität ist nach ägyptischem Recht kein Tatbestand, jedoch kommt es häufig zu Verhaftungen aufgrund vager Vorwürfe wie »Unsittlichkeit« oder »ausschweifendes Verhalten«. Homosexualität ist in der Bevölkerung, durchaus auch unter Intellektuellen, verpönt und entfacht regelmäßig Zorn wie kaum ein anderes Thema. Nicht zuletzt waren es der Aufschrei auf Face­book und die Medienhetze, die erst zu den Verhaftungen geführt haben. Ahmed Moussa, ein bekannter TV-Moderator, setzte Homosexualität gar auf eine Stufe mit Terrorismus. Stimmen, die den harten Verfolgungen Homosexueller kritisch gegenüberstehen, sind selten und werden schnell mundtot gemacht. Ein Moderator, der sich entsetzt zeigte über die Jagd auf jeden, der anders ist, sah sich mit wütenden Zuschaueranrufen konfrontiert, woraufhin der Sender ihn entließ. Der »Hohe Rat für Medienkontrolle« veröffentlichte später ein Verbot jeglicher Diskussionen über Homosexualität in den Medien, die Homosexualität nicht als schändliche Krankheit darstellt.

WIE GEHT ES NUN WEITER?

Seit Ende Oktober diskutiert das Parlament die Kriminalisierung von Homosexualität mit Haftstrafen bis zu 15 Jahren, um »dem Phänomen sexueller Perversion« entgegenzutreten. Zehn bis 15 Jahre Gefängnis drohen demnach Angeklagten, die sexuelle Handlungen ausführen oder diese zulassen oder Veranstaltungen organisieren, die diese fördern. Auch die religiösen Institutionen stimmen in den Chor ein. So ließ die Al-Azhar verlautbaren, dass sie Aufrufe zu sexueller Perversion ebenso verurteile wie religiösen Extremismus. Die koptische Kirche organisiert eine Konferenz zur »Heilung« von Homosexuellen. Eine konservative Öffentlichkeit und ein Regime, das sich als Wertegarant behaupten muss, schaffen so den Nährboden für die Repression von Homosexuellen in Ägypten.


VICTORIA TIEMEIER ist Politikwissenschaftlerin und lebt und arbeitet seit über fünf Jahren in Kairo. Sie war in Ägypten unter anderem für das Programm der Vereinten Nationen für menschliche Siedlungen (UN-HABITAT) verantwortlich.

Von: 
Victoria Tiemeier
Fotografien von: 
Ateger11

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