Entsetzen, Unverständnis, Ablehnung: Der »Jahrhundert-Deal« wird den Nahostkonflikt nicht lösen, darin sind sich fast alle Kritiker einig. Doch immerhin wird wieder über ihn gesprochen. Fünf Beobachtungen.
1. Lasst uns über den Nahostkonflikt reden
Was einst als der Schlüsselkonflikt des gesamten Nahen Ostens angesehen wurde, istin den vergangenen Jahren in Politik, Diplomatie und medialer Öffentlichkeit weitgehend ignoriert worden. Sicher, Meinungen zu Israel und den Palästinensern kursieren zuhauf und manch einer wird einwenden, dass der ganzen Sache weniger Emotionalität guttun würde. Doch um ans Eingemachte zu gehen, muss manchmal aufgerüttelt werden. Ebenso wie der Fokus auf die BDS-Bewegung spielten Apathie, Resignation und Desinteresse im Übrigen der israelischen Regierung bei der schleichenden Annexion des Westjordanlandes in die Karten.
2. Die Karten auf den Tisch
Apropos Karten: Wie kaum ein anderer Konflikt lässt sich der Nahostkonflikt in Karten visualisieren – sowohl in seiner historischen Entwicklung als auch in seinen Lösungsszenarien. In diesen reichen Schatz an Karten reiht sich das Dokument des sogenannten Friedensplans ein. Denn es ermöglicht Vergleich und Einordnung – und das dank Twitter in ungeahnten Dimensionen. Das Ergebnis: Binnen kürzester Zeit konnte man das Dokument auf Herz und Nieren durchleuchten und detailliert und anschaulich analysieren – das bietet die Gelegenheit, den Nahostkonflikt von der abstrakten ideologischen wieder auf eine konkrete faktenbasierte Ebene zu hieven.
3. Nehmt Netanyahu beim Wort
Natürlich lohnt es sich, einen Blick hinter die Karten zu werfen. Denn in der Kakophonie von Trump’scher Selbsthuldigung und unfreiwilliger Komik (»United Arab Amateurs«) gingen während der Vorstellung ein paar tatsächlich bemerkenswerte Formulierungen unter. Allen voran die Ankündigung, dass niemand, egal ob Israeli oder Palästinenser, Haus und Boden räumen werden müsse. Aus israelischer Sicht kommt das einer Bestandsgarantie für alle Siedlungen (und Außenposten) im Westjordanland gleich – keine Überraschung. Doch die palästinensische Seite wäre gut beraten, Netanyahu beim Wort zu nehmen. Denn nach der Lesart ist es völlig unerheblich, welcher Staat Souveränität ausübt. Hausbesetzungen (gleichbedeutend mit dem Rausschmiss arabischer Familien) wie im Osten Jerusalems oder in Hebron wären dann ebenso illegal wie die Räumung beduinischer Siedlungen in der Negev-Wüste und der Abriss von Häusern als Sippenhaft. Auch wenn diese Fragen die israelische Justiz noch über Jahre beschäftigen, könnte die Ankündigung ein Ansatzpunkt sein, einigen der wichtigsten Triebkräfte der schleichenden Enteignung und Annexion etwas entgegenzusetzen.
4. Aufwachen, Ramallah
Etwas entgegensetzen – das erwarten auch die Palästinenser von ihrer Führung. Es überraschte dann schon, dass Präsident Mahmud Abbas erst unmittelbar vor der Pressekonferenz in Washington eiligst eine Krisensitzung einberief und mehr hilf- und planlos wirkte als entschlossen, der amerikanisch-israelischen Initiative zu begegnen. Netanyahus Kalkül für den Zeitpunkt der öffentlichen Präsentation hatte nicht nur den Wahlkampf und seinen anstehenden Prozess im Blick, sondern nutzt vor allem auch eine Phase außerordentlicher Führungsschwäche auf palästinensischer Seite – nach Innen wie nach Außen. Dass kein einziger arabischer Staat sich hinter die Führung in Ramallah stellte, ist für die PLO eine Katastrophe. Noch gravierender ist aber wohl die fehlende Legitimation im Innern: Seit fast einem Jahrzehnt warten die Menschen in Palästina darauf, ihre Führung in Wahlen zu bestimmen, noch länger auf ein Ende des Zwists zwischen Fatah und Hamas. Doch die geringe Aufmerksamkeit ermöglichte es der überalterten Führung beider Parteien, sich weiter durchzuwursteln. Das könnte sich nun ändern, da der Druck wächst, wieder als ernstzunehmender Verhandlungspartner in Erscheinung zu treten.
5. Holt Abdullahs Plan aus der Schublade
Die palästinensische Führung muss also das Vertrauen der eigenen Bevölkerung zurückgewinnen. Ebenso wichtig wäre es dann, das eigene Allianzengebilde wieder zu stärken. In den vergangenen Jahren sahen Fatah und Hamas relativ hilflos dabei zu, wie Netanyahu immer engere Bande insbesondere mit den Golfstaaten knüpfte. Ramallah hat der Draht nach Riad schon einmal fast zum diplomatischen Durchbruch verholfen: 2002 präsentierte der damalige König Abdullah die bis dato weitreichendste Initiative zur Lösung des Nahostkonflikts. Kronprinz Muhammad Bin Salman braucht dringend einen diplomatischen Prestigeerfolg – nun wäre die Zeit reif, über seinen Schatten zu springen und den Plan seines Großonkels aus der Schublade zu holen.