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Der Nahe Osten und Papst Franziskus

Als die Welt Gaza vergaß, rief Franziskus an

Nachruf
Der Nahe Osten und Papst Franziskus
Papst Franziskus beim Besuch in Bethlehem im Jahr 2014 Michael Swan / Flickr

Warum so viele Muslime um das Oberhaupt der katholischen Kirche trauern.

Der Tod von Papst Franziskus im Heiligen Jahr hat bei rund 1,4 Milliarden Katholiken weltweit Trauer ausgelöst. Doch besonders auffällig ist – verglichen mit den Meldungen zum Ableben seiner Vorgänger – wie groß die Anteilnahme auch in der muslimischen Welt ausfiel. Arabische Medien waren voller respektvoller Nachrufe. Auch wenn es in arabischen und muslimischen Ländern katholische Christen gibt, so ist es keineswegs selbstverständlich, dass der Tod eines Kirchenoberhauptes in dieser Weise die Titelseiten der Zeitungen, Prime-Time-Sendungen und Timelines der sozialen Medien bestimmt. Franziskus wurde nicht nur als Papst geehrt, sondern als eine moralische Autorität: als Brückenbauer und Kämpfer für Würde, Frieden und Gerechtigkeit.

 

Das mag auch damit zu tun haben, dass Franziskus als argentinischer Ordensmann ein Papst aus dem sogenannten Globalen Süden war. Manche christliche Gemeinden im Westen fremdelten mit ihm, standen ihm zum Teil sogar distanziert gegenüber. Den einen war er nicht progressiv genug, den anderen zu politisch, etwa wegen seiner kritischen Äußerungen gegenüber dem Kapitalismus oder zur Abwehr von Migration, was im nach rechts driftenden Teil Europas gegen den Zeitgeist ging. Die Muslime mussten sich zu den innerkirchlichen Auseinandersetzungen nicht positionieren und schauten vor allem auf die menschliche Wärme, die er nach außen ausstrahlte.

 

Über konfessionelle und politische Grenzen hinweg wurde seine Stimme gehört – und willkommen geheißen. Sein Besuch in Mosul 2021, wo er inmitten der vom Krieg gegen den sogenannten Islamischen Staat hinterlassenen Ruinen für den Frieden betete, war ein starkes Symbol.

 

Gemeinsam mit Vertretern anderer christlicher Kirchen reiste er in den Südsudan, sprach mit Geflüchteten, traf sich mit religiösen Führern und rief eindringlich zu einem Ende des Blutvergießens auf. Franziskus küsste den Boden vor dem Treffen mit den sudanesischen Konfliktparteien und mahnte sie, den Frieden zu wahren – eine Geste, die weltweit Schlagzeilen machte, aber in den Augen Afrikas und von Teilen der muslimischen vor allem als eines gesehen wurde: als Ausdruck von Demut und Empathie.

 

Derzeit verbreitet sich ein offenbar durch Künstliche Intelligenz generiertes Bild, das den einstigen Jesuitenpaper Jorge Mario Bergoglio im Himmel zeigt – umgeben von Kindern aus Gaza. Es ist kein offizielles Kirchenbild, womöglich nicht einmal ein politisches Statement. Aber es trifft einen Nerv: Denn in den Augen vieler Menschen in der arabischen und muslimischen Welt, insbesondere aber der Palästinenser, gilt Franziskus als der Papst, der Gaza nie vergessen hat. In einer Welt, in der 50.000 Todesopfer, darunter geschätzt 18.000 Kinder, kaum Beachtung finden: Es sei denn, die Kriegsverbrechen sind so gut dokumentiert, dass Bilder und Videos das Netz fluten und man sie als Politiker nicht unkommentiert lassen kann.

 

Nicht politische Analysen, sondern der menschliche Verstand war es, der Franziskus zu einer schlichten, aber wahren Aussage bewegte: Die Blockade von humanitärer Hilfe in Gaza durch Israel war in seinen Augen »Grausamkeit«. Und zu den vielfach dokumentierten Angriffen der israelischen Armee auf kirchliche Einrichtungen sowie das absichtliche Töten von Zivilisten, insbesondere Frauen und Kindern, sagte er: »Das ist Krieg. Das ist Terrorismus.« An anderer Stelle erklärte Franziskus, dass dieser Krieg die »Merkmale eines Genozids« aufweise.

 

Die zahlreichen, mitunter täglichen Telefonanrufe, die Franziskus unternahm, um den wenigen in Gaza verbliebenen Christen sein Mitgefühl auszudrücken – wie etwa am Palmsonntag vor dem letzten Osterfest – hat der Vatikan publik gemacht. Eines dürfte ihm angesichts seiner spirituellen Größe nicht viel bedeutet haben, ist aber trotzdem bemerkenswert: Wann immer Franziskus sich zu Gaza äußerte, vergaß mancher seinen Respekt für das Oberhaupt einer der größten Glaubensgemeinschaften der Welt schnell. Auch deutsche Kommentatoren, die sich anmaßen, sie verträten die Sache Israels, schmähten Franziskus dafür teilweise öffentlich.

 

Den Palästinensern wird Franziskus fehlen, unabhängig davon, ob sie Christen sind oder nicht. Denn als der Großteil der Welt uns vergaß oder resigniert zurückzog, hat er uns wenigsten noch angerufen.


Sawsan Chebli kam 1978 in Berlin als Kind einer geflüchteten, palästinensischen Familie zur Welt. 2010 wurde sie Grundsatzreferentin für interkulturelle Angelegenheiten in der Berliner Senatsverwaltung für Inneres und Sport. Ab Januar 2014 wechselte sie als stellvertretende Sprecherin des damaligen Außenministers Frank-Walter Steinmeier ins Auswärtige Amt. Von 2016 bis 2021 war sie die Bevollmächtigte des Landes Berlin beim Bund und Staatssekretärin für Bürgerschaftliches Engagement und Internationales.

Von: 
Sawsan Chebli

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