Der Gazastreifen und das Westjordanland müssen zusammenfinden. So könnte eine neue Wirtschaftsunion aussehen.
Nach Angaben der Weltbank hat die palästinensische Wirtschaft einen der größten Wirtschaftsschocks der jüngeren Geschichte erlebt. Das Bruttoinlandsprodukt in Gaza ist um mehr als 80 Prozent eingebrochen, die meisten wirtschaftlichen Aktivitäten sind zum Erliegen gekommen. Auch im Westjordanland hat der Krieg in Gaza die wirtschaftliche Lage beeinträchtigt. So stieg dort die Arbeitslosigkeit im Jahr 2024 auf 37 Prozent, die Importe gingen um 25 Prozent zurück, die Exporte um 30 Prozent.
Abhilfe verspricht die wirtschaftliche Integration der Westjordanland und des Gazastreifens. Damit könnte die Isolation der beiden Gebiete durchbrochen werden. Studien haben gezeigt, dass durch die Nutzung der Häfen im Gazastreifen bis zu 50 Prozent der Transportkosten für Unternehmen im Westjordanland eingespart werden könnten.
So könnte Gazas Lage am Meer nutzbar gemacht werden und die Produktivität von Handel und Dienstleistungen in diesem Sektor steigen. Das Westjordanland und der Gazastreifen sind für sich genommen kleine Wirtschaftsregionen, deren Integration einen größeren Markt schaffen würde. Der wiederum könnte dazu beitragen, lokale und ausländische Investoren anzuziehen.
Die Lohnunterschiede sind groß. Eine Angleichung bräuchte Zeit, könnte aber auch den Transfer von Arbeitskräften aus dem Gazastreifen ins Westjordanland beschleunigt werden. Dort herrscht ohnehin ein Mangel an qualifizierten Arbeitskräften, insbesondere im Tourismus und in der Gastronomie. Außerdem werden auf den Äckern im südlichen und nördlichen Gazastreifen Feldfrüchte angebaut, die im Westjordanland nicht produziert werden – und umgekehrt.
Es wird dauern, die Lohnunterschiede zwischen Gaza und Westjordanland auszugleichen
Das Oslo-Abkommen räumt der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) das Recht ein, die Gasvorkommen vor der Küste kommerziell zu nutzen. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen könnte die palästinensische Wirtschaft dadurch um bis zu 16 Prozent wachsen. Die Einnahmen würden sich zum Beispiel positiv auf die Strompreise auswirken. Im Majd-Feld im Westjordanland werden zudem rund 1,5 Milliarden Barrel Öl vermutet.
Die Erschließung dieser Vorkommen könnte die Grundlage für künftiges Wirtschaftswachstum bilden. Der Erfolg dieser Bemühungen hängt von der richtigen Umsetzung ab. Für den Privatsektor muss ein handelsrechtlicher Rahmen formuliert werden, der den Warenverkehr zwischen dem Gazastreifen und dem Westjordanland den Regeln des Binnenhandels unterwirft. Im Rahmen eines konsolidierten Gesamthaushalts sollte der Schwerpunkt auf Investitionen in Infrastruktur-, Bildungs- und Gesundheitsprojekte gelegt werden, wobei der größte Teil wegen der immensen Kriegsschäden dem Gazastreifen zugutekommen sollte.
In diesem Zusammenhang muss das Verhältnis zwischen öffentlichen Investitionen und privaten Initiativen festgelegt werden. Eine solche Abgrenzung würde dazu beitragen, Doppelstrukturen zu vermeiden und interne Konflikte zu minimieren. Ziel wäre es auch, die Angleichung des Lebensstandards zu fördern und Entwicklungsunterschiede zu verringern, indem Finanzmittel von einer Region in eine andere umgeschichtet werden – eine Art Finanzausgleich.
Um Investitionen und Importe zu fördern, sollte der Privatsektor eine wichtige Rolle spielen und von der Regierung nicht nur beaufsichtigt, sondern auch gefördert werden – etwa durch den rechtlichen Schutz von Privateigentum oder die Ernennung bestimmter Verwaltungseinheiten im Gazastreifen zu steuerfreien Freihandelszonen. Es sollte eine Planungskommission eingerichtet werden, die die Einführung eines neuen Rechtsrahmens überwacht, der wiederum die Befugnisse der kommunalen Verwaltungseinheiten festlegt.
Das Oslo-Abkommen spricht der PA ein Anrecht auf kommerzielle Gasvorkommen zu
Darüber hinaus ist ein rechtlicher Rahmen erforderlich, um Partnerschaften zwischen diesen Behörden und dem privaten Sektor zu erleichtern. Von der palästinensischen Diaspora wird nicht nur Solidarität und Aufmerksamkeit für das Wiederaufbauprojekt erwartet, sondern auch ein finanzieller Beitrag. Um diesen zu maximieren, ist ein klarer rechtlicher Rahmen erforderlich.
Investitionsanreize und -garantien tragen dazu bei, die Diaspora davon zu überzeugen, dass Investitionen im gegenseitigen Interesse sind. Die Regierung beziehungsweise die Kommunalverwaltungen würden eine entscheidende Rolle bei der Identifizierung und Lösung von Problemen spielen und müssten Anreize für lokale und ausländische Investoren schaffen. Zum Beispiel durch Vereinfachung und Straffung der Verfahren, sobald Investitionspolitik und Entwicklungsausgaben aus dem Haushalt finanziert werden. Etwa bei Kooperationsprojekten zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor.
Der freie Personen-, Kapital- und Warenverkehr zwischen den Regionen ist für Wirtschaft und Handel von großer Bedeutung. Dies erfordert solide infrastrukturelle, logistische und verfahrenstechnische Rahmenbedingungen. Zum Beispiel gut ausgebaute Verkehrsnetze zwischen dem Westjordanland und dem Gazastreifen.
Vor der Nakba 1948 war Palästina eine der am besten zugänglichen Regionen des Nahen Ostens und zeichnete sich durch nahtlose Mobilität, vielfältige Transportmöglichkeiten und eine umfassende Vernetzung aus. Heute erschwert das Fehlen von Flug- und Seehäfen sowie eines Eisenbahnnetzes die Mobilität. Umso wichtiger ist die Entwicklung eines gut durchdachten und strategisch geplanten Netzes von Straßen und Grenzübergängen.
Misyef Jamel Misyef ist seit 2014 Chief Economic Researcher am Forschungsinstitut für palästinensische Wirtschaftspolitik (MAS). Zuvor arbeitete er im Finanzministerium der PA.