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Israels ehemaliger Premierminister gründet neue Partei

Bündnis Naftali Bennett

Feature
Israels ehemaliger Premierminister gründet neue Partei
GPO/Kobi Gideon

Ein Jahr vor den Wahlen nährt das politische Comeback von Naftali Bennett die Hoffnungen auf eine Abwahl von Benyamin Netanyahu. Doch dieses Kalkül ging schon öfters nicht auf.

Naftali Bennett ist 53 Jahre alt, kommt gebürtig aus Haifa und war Israels 13. Premierminister. Israelische Medien nannten ihn den ersten gläubigen Ministerpräsidenten. Seine wie nie zuvor diverse Koalition, bestehend aus Linken, der islamischen Partei Raam, Zentristen, Liberalen und religiös-zionistischen Siedlern, hielt ihn knapp über ein Jahr im Amt.

 

Nach dem Ende seiner Amtszeit im Sommer 2022 erklärte Naftali Bennett, er würde nicht erneut für einen Sitz in der Knesset kandidieren. Somit fand seine politische Karriere vorerst ein Ende. Jedenfalls schien es so. Doch im Januar 2024 begann die Gerüchteküche zu brodeln. Das Armeeradio berichtete über ein Treffen zwischen der Aktivistin Polly Bronstein und Naftali Bennett. Nach den Wahlen 2015 – bei denen sich Benyamin Netanyahu knapp gegen den heutigen Präsidenten Itzchak Herzog durchsetzte und zum vierten Mal Premierminister wurde – gründete Polly Bronstein mit anderen Aktivisten die Nichtregierungsorganisation Darkenu (zu Deutsch »unser Weg«). Mit 400.000 Unterstützern ist Darkenu nach eigenen Angaben die größte nicht-parteiliche zivilgesellschaftliche Bewegung in Israel. Ihr Ziel ist es, den »demokratischen und zionistischen Charakter« Israels zu stärken.

 

Allerdings bestritten Bennetts Sprecher die Berichte und erklärten: »Der ehemalige Premierminister und Polly Bronstein unterhalten keine berufliche Zusammenarbeit. Im Rahmen seiner Tätigkeit traf sich Naftali Bennett mit einer Reihe von Organisationen«, darunter auch Bronstein, die zu diesem Zeitpunkt einer anderen NGO vorstand.

 

»Freunde, wir haben es schon mal getan und wir können es wieder tun«

 

Das hielt Maariv – eine der größten israelischen Tageszeitungen – jedoch nicht davon ab, die Berichte mit dem Titel »Kehrt Bennett in die Politik zurück?« zu versehen. Ein halbes Jahr später war es Bennett persönlich, der die Spekulationen um seine mögliche Rückkehr anheizte. In einem langen Beitrag auf der Plattform X zog er, genau drei Jahre nach dem Beginn seiner Amtszeit, eine Bilanz. Er legte dar, wie unter seiner Führung Minister aus dem linken und rechten Lager zusammenkamen, um nicht weniger zu tun, als Israel zu retten. Nach einem ausführlichen Lob der Errungenschaften seiner Regierung stellt Bennett klar, dass Israel seit dem 7. Oktober mehr denn je eine neue Regierung benötigt, die es schafft, die Bevölkerung zu einen. Doch am meisten Aufsehen erregte der Satz: »Freunde, wir haben es schon malgetan und wir können es wieder tun«.

 

Nur drei Monate nach diesem Statement schienen signifikante Teile der israelischen Bevölkerung dies ähnlich zu sehen. Vom Nachrichtensender N12 gefragt, wer besser für den Posten des Premiers geeignet ist, antworteten Mitte September letzten Jahres 40 % der Befragten »Bennett« und nur 29 Prozent »Netanyahu«. Der amtierende Premierminister landete nur knapp vor den Kategorien »keiner« mit 25 Prozent und »weiß ich nicht« mit 6 Prozent. Zu diesem Zeitpunkt liegt der Termin für die nächste reguläre Wahl der Knesset wohlgemerkt noch zwei Jahre in der Zukunft. Kurz nach der Veröffentlichung dieser Umfrage berichtete ebenfalls N12, dass man in Bennetts Umfeld bereits anfinge, Unterstützer einer möglichen Partei zu organisieren.

 

Doch nun scheint Gewissheit einzukehren. Am 1. April berichteten israelische Medien übereinstimmend, dass der ehemalige Premierminister eine neue Partei angemeldet hat – mit dem vorläufigen Namen »Bennett 2026«. Ob er denn nun wirklich antritt, ließ er in einem Statement zu den Berichten offen und antwortete lediglich, dass Ankündigungen in der Zukunft noch gemacht würden. Das hielt seinen ehemaligen Koalitionspartner und jetzigen Oppositionsführer Yair Lapid jedoch nicht davon ab, ihm zur Parteigründung zu gratulieren.

 

Die Frage, wer für diese Partei in die Knesset einziehen würde, sofern sie denn wirklich antritt, ist ebenfalls noch offen. Doch die Vorbereitungen scheinen auf Hochtouren zu laufen. Abgeordnete der aktuellen Regierungskoalition erklärten gegenüber Kan11, dass Naftali Bennett versuchen würde, »Abtrünnige« zu rekrutieren und damit die aktuelle Regierung zu Fall zu bringen, um frühere Neuwahlen zu bewirken. Namen, ihre eigenen oder die möglicher Abtrünniger, wollten die Abgeordneten nicht nennen.

 

Dass solche Projektionsflächen zu großen politischen Enttäuschungen führen können, zeigt ein Rückblick auf die Wahlen im März 2020

 

Der wohl bekannteste Name, der im Raum steht, ist Yoav Gallant – ehemaliger Verteidigungsminister unter Netanyahu und vom Internationalen Strafgerichtshof wegen möglicher Kriegsverbrechen per Haftbefehl gesucht. Erste Kontakte zwischen den beiden soll es laut Medienberichten bereits im Dezember 2024 gegeben haben. Yoav Gallant stritt die Berichte ab und erklärte, dass er weder mit Naftali Bennett gesprochen habe, noch ein Interesse an politischer Zusammenarbeit mit ihm hätte. Parteigründer Bennett entgegnete lediglich: »Ich schließe diese Möglichkeit nicht aus, aber jetzt beschäftige ich mich damit nicht«.

 

Trotz all dieser Ungewissheiten vom Namen der Partei über das Personal bis hin zu der Frage, ob sie denn wirklich antritt, genießt das Projekt »Bennett 2026« enorm hohe Umfragewerte. Für diesen Monat legte der öffentlich-rechtliche Sender Kan11 die erste Werte vor: 27 Sitze für eine Partei unter der Führung von Naftali Bennett, gefolgt von Netanyahus Likud mit 22 Sitzen. Lediglich zwei Tage später legte der Nachrichtensender N13 nach. Diesmal soll Bennett sogar auf 29 Sitze kommen, während der Likud unverändert bei 22 Sitzen verweilt. Und wieder zwei Tage später präsentiert N12 ebenfalls eine Umfrage. Hier kommt die noch kaum existierende Partei des Ex-Premiers zwar nur noch auf 23 Sitze, schneidet damit allerdings immer noch einen Sitz besser ab als der regierende Likud. Drei Umfragen in einer Woche und das ein ganzes Jahr vor dem regulären Wahltermin am 27. Oktober 2026 zeigen, wie groß der mediale Hype um Bennetts wahrscheinliche Rückkehr in die Politik ist.

 

Er wird dabei auch zu einer Projektionsfläche des »Bloß-nicht-Bibi«-Lagers in der israelischen Politik und Gesellschaft, und zwar über weite Teile des politischen Spektrums hinweg. Ein Leserbrief, den die linksliberale Zeitung Haaretz am 26. März veröffentlichte, illustriert die breite Zustimmung. Der Leser Avichai Levy schreibt, dass Bennett unbestreitbar ein Rechter ist, aber er sei auch ein »Mentsh«. Und ein »Mentsh« im Jiddischen ist nicht irgendein Mensch, wie im Deutschen, sondern eine besonders integre Person mit gutem Herzen. Eigentlich, so Levy, fühle er sich politisch von Yair Golan und den Demokraten – ein Zusammenschluss der beiden linken Parteien Avoda und Meretz – vertreten, doch jetzt brauche Israel Bennett.

 

Dass solche Projektionsflächen zu großen politischen Enttäuschungen führen können, zeigt ein Rückblick auf die Wahlen im März 2020. Im Vorfeld galt der Mitte-Rechts-Politiker und ehemalige Armeechef Benny Gantz als der Hoffnungsträger, der Netanyahu endlich schlagen könnte. Er schwor sogar, niemals in eine Regierung unter »Bibi« einzutreten. In den Umfragen lag seine Partei mit über 30 Sitzen regelmäßig knapp vor dem Likud. Doch am Wahltag errang dieser drei Mandate mehr als die Partei Blau-Weiß unter Herausforderer Benny Gantz. Die Covid-19-Pandemie motivierte diesen dazu, sein Versprechen zu brechen und mit Netanyahu eine kurzlebige Einheitsregierung zu bilden. Ein Schritt, den er kaum ein Jahr später öffentlich bereute. Vergeben haben ihm diesen Schritt jedoch einige im Lager der Netanyahu-Gegner weiterhin nicht. Denn als Benny Gantz Mitte März an einer Demonstration gegen die Amtsenthebung des Inlandsgeheimdienstchefs Ronen Bar teilnahm, beschimpften ihn vereinzelte Teilnehmer als »schamlos« und als »Verräter«.

 

Ebenso offen bleibt die Frage, wie Bennetts Vision für die Zukunft Israels, der Palästinenser im Westjordanland sowie jener im völlig zerstörten Gazastreifen aussieht

 

Auch auf Bennetts Höhenflug kommen die ersten Turbulenzen zu. Bisher profitierte er davon, am 7. Oktober keine Verantwortung getragen zu haben und auch keine Lösungsvorschläge anbieten zu müssen. Derzeit droht aber ein erster Skandal ihn einzuholen. Am 6. April deckte Kan11 die »Methode Bennett« auf. Basierend auf Dokumenten, welche der Sender über das Informationsfreiheitsgesetz erlangte, konnte nachgewiesen werden, dass Naftali Bennett gleich zweimal Parteien nach seiner Zeit als Vorsitzender mit hohen Schulden gegenüber der Staatskasse verließ. Beide Male nutzte er Schlupflöcher, um selbst nicht für die Gelder aufkommen zu müssen, wodurch er den israelischen Steuerzahler insgesamt 20 Millionen Schekel zusätzlich kostete – umgerechnet wären dies etwas weniger als 5 Millionen Euro.

 

Bennetts Team entgegnete: »Der Likud fürchtet sich vor Bennett, deswegen versucht er, ein Gesetz zu verabschieden, um ihn zu blockieren«. Weiterhin heißt es, dass der Staat Israel aktuell deutlich wichtigere Probleme habe. Es sei eine Schande, dass Zeit für diesen »Quatsch« verschwendet werde. Mit dem Gesetz sind die Bemühungen des Likud-Abgeordneten Avichai Boaron gemeint. Der erst im Sommer 2024 in die Knesset nachgerückte Likudnik treibt in diesen Tagen einen Gesetzesentwurf voran, der Bennett dazu zwingen würde, für seine ehemalige, jedoch hochverschuldete Partei Yamina zu kandidieren und ihm weitere öffentliche Gelder verwehren würde.

 

Wie dieser Skandal seine politischen Chancen beeinflusst, ist kaum abzuschätzen. Dem langjährigen Vorsitzenden der mizrachisch-religiösen Shas jedenfalls schadete seine Verurteilung und anschließende Haftstrafe wegen Bestechung im Jahr 2000 nicht langfristig. Bereits 2015 konnte sich Arye Deri als Wirtschaftsminister rehabilitieren. Ebenfalls konnte er sich durch einen Deal mit der Staatsanwaltschaft im Jahr 2022 vor einer möglichen Wahlsperre wegen Steuerbetrugs schützen. Auch auf diesen Skandal folgte ein Ministerposten.

 

Welche Rolle Bennett in der politischen Zukunft Israels spielen wird, bleibt damit weiterhin völlig offen. Ebenso wie die Frage, wie seine Vision für die Zukunft Israels, der Palästinenser im Westjordanland sowie jener im völlig zerstörten Gazastreifen aussieht. Der mediale Hype um seine Person wird höchstwahrscheinlich anhalten, doch ob der reicht, um Netanyahu spätestens im Herbst 2026 als Premierminister zu beerben, bleibt zumindest fragwürdig. Vorerst ist das Projekt »Bennett 2026« vage Spekulation, Projektionsfläche und Medienthema.

Von: 
Ignaz Szlacheta

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