Mit dem langjährigen Parlamentssprecher Ali Larijani kehrt ein alter Bekannter zurück ins politische Rampenlicht der Islamischen Republik Iran. Wo die Prioritäten des Generalsekretärs des neu geschaffenen »Verteidigungsrats« liegen, zeigte sich bei den Antrittsbesuchen im Irak und im Libanon.
Der sogenannte 12-Tage-Krieg offenbarte die Schwächen der militärischen Infrastruktur der Islamischen Republik und gab den Anlass für die Einrichtung eines neuen Gremiums Anfang August. Der »Verteidigungsrat« soll die Sicherheitsarchitektur Irans neu aufstellen. An der Spitze des neu geschaffenen Nebenorgans des »Obersten Nationalen Sicherheitsrates« steht mit Ali Laridschani ein erfahrener Pragmatiker. Damit rückt der 67-Jährige nach fast fünf Jahren wieder in eine Führungsrolle im Machtgefüge der Islamischen Republik vor.
Larijani wurde in Nadschaf im Irak in eine einflussreiche Klerikerfamilie geboren. Larijani trat während des Iran-Irak-Krieges 1982 in das Korps der Islamischen Revolutionsgarde (IRGC) ein und diente bis 1992 als Stellvertreter des IRGC-Generalstabs. Obwohl er zu Beginn seiner Karriere zunächst als konservativer Politiker bekannt war, schlug er nach und nach einen zentristischen politischen Weg ein. Nichtsdestotrotz sieht er sich keiner Partei zugehörig, weder den Konservativen noch den Reformisten, obwohl er zu verschiedenen Zeiten mit Unterstützung zentristischer, konservativer und sogar reformistischer Gruppen zusammengearbeitet hat.
Seit 2020 ist er auf Dekret von Revolutionsführer Ayatollah Khamenei Mitglied des Schlichtungsrates. Im Laufe seiner politischen Laufbahn hatte Laridschani unter anderem Positionen wie den des Ministers für Kultur und islamische Führung, des Leiters der staatlichen Rundfunkanstalt IRIB, des Sekretärs des Obersten Nationalen Sicherheitsrates, des Parlamentssprechers inne. Zu den Präsidentschaftswahlen 2021 und 2024 war er durchaus überraschend nicht zugelassen worden.
Folglich bedeutet Larijanis Berufung eine Schwächung der »Stabilitätsfront« und ihrer Führungsfigur Saeed Jalili
Dass ihm nun die Führung des »Verteidigungsrats« aufgetragen wurde, deutet auf eine Prioritätenverschiebung und Richtungskämpfe innerhalb der Sicherheitsinstitutionen der Islamischen Republik hin. Larijani soll als Pragmatiker Iran wieder in die Lage versetzen, interne und externe Krisen zu bewältigen – offenbar Ergebnis einer internen Bewertung, die den überbordenden Einfluss der Hardliner sowohl für den Konfrontationskurs im eigen Land und in der regionalen Nachbarschaft, aber auch für die offensichtlichen Schwächen der Verteidigungsinfrastruktur verantwortlich macht.
Folglich bedeutet Larijanis Berufung eine Schwächung der »Stabilitätsfront« (Jebhe-ye Paydari) und ihrer Führungsfigur Saeed Jalili – einem entschiedenen Gegner des JCPOA-Abkommens und der Atomverhandlungen mit dem Westen. In den vergangenen Jahren, vor allem unter der Präsidentschaft von Ebrahim Raisi, hat der politische Arm der Hardliner beträchtlichen Einfluss auf das iranische Machtgefüge gewonnen. Diese Gruppe steht alteingesessenen staatlichen Institutionen – egal ob konservativ oder reformistisch – grundsätzlich misstrauisch gegenüber. Auch aus diesem Grund schuf das Regime, das den politischen Spielraum extrem stark reguliert und einschränkt, die Bedingungen dafür, dass nicht der Hardliner Jalili, sondern Pezeshkian dem bei einem Hubschrauberabsturz verunglückten Ebrahim Raisi nachfolgt.
Ganz konkret geht es auch in der Atomfrage darum, die verhandlungserfahrenen Pragmatiker gegenüber den ideologisch motivierten Prinzipalisten zu stärken. Larijani war zuvor etwa unter anderem an der Aushandlung der strategischen Partnerschaftsverträge zwischen Iran und China beteiligt. Auch die Position von Außenminister Abbas Araghchi dürfte, so das Kalkül, bei künftigen Atomverhandlungen mehr Gewicht durch die Rückendeckung des neuen »Verteidigungsrats« und dessen Generalsekretär Ali Larijani gestärkt werden.
Die Hardliner können sich jedoch mit medialen oder politischen Mitteln, etwa über Druck durch das Parlament oder angeschlossene Medien, gegen diese Machtverschiebung zur Wehr setzen. Dieser Widerstand könnte zu neuen politischen Konflikten führen. Der Ausgang hängt davon ab, ob Larijani in der Lage ist, die Unterstützung Khameneis sowie weiterer einflussreicher Institutionen sicherzustellen.
Ali Khameneis außenpolitischer Berater Ali Akbar Velayati hatte im Vorfeld die Entwaffnung der Hizbullah als »Wunschdenken« bezeichnet
Insgesamt signalisiert Larijanis Beförderung eine Präferenz für Diplomatie und Pragmatismus in der iranischen Regionalpolitik infolge des 12-Tage-Kriegs. Er steht für den Kurs einer aktiven und innovative Diplomatie bei gleichzeitiger Steigerung der militärischen und wirtschaftlichen Kapazitäten. Das gilt auch für die von Iran unterstützten Gruppierungen in der Region. Das Netzwerk verbündeter Milizen und Parteien ist nach den Kriegen der vergangenen Jahre geschwächt, zudem fehlt seit der Tötung von Qassem Soleimani eine Schlüsselstelle, die die verschiedenen schiitischen Gruppen etwa im Nachbarland Irak unter einem Dach zu vereinen oder zumindest effektiv koordinieren vermag. Auch die Neuaufstellung des regionalen Netzwerks fällt deshalb in Larijanis Aufgabenbereich.
Dementsprechend sucht Larijani nach Wegen, um eine weitere Schwächung der »Achse des Widerstands« zu verhindern. Von Iran unterstützte schiitische Milizen wie die Hizbullah im Libanon und die Volksmobilisierungskräfte (PMF) im Irak sind in ihren Ländern gegenüber den dortigen Regierungen und politischen Gegnern immer häufiger in der Defensive.
Die Hizbullah muss gemäß dem Waffenstillstandsabkommen mit Israel auf der Grundlage der Resolution 1701 des UN-Sicherheitsrats entwaffnet werden. Dementsprechend hat die libanesische Regierung ihre Armee beauftragt, einen Plan auszuarbeiten, nach dem bis Ende 2025 nur noch offizielle staatliche Institutionen Waffen besitzen dürfen.
In diesem Zusammenhang reiste Larijani in den Irak und dann in den Libanon. Der schwierige Balanceakt und die anhaltenden Grabenkämpfe traten beim Besuch in Beirut besonders augenfällig zutage: Ali Khameneis außenpolitischer Berater Ali Akbar Velayati hatte im Vorfeld die Entwaffnung der Hizbullah als »Wunschdenken« bezeichnet. Der libanesische Präsident Joseph Aoun wies Larijani dann auch ziemlich offen zurecht, dass sich Iran nicht in die inneren Angelegenheiten Libanons einzumischen habe. Bei seinem Treffen mit Hizbullah-Generalsekretär Naim Qassem bekräftigte Larijani dann zwar Teherans Rückendeckung für den Verbündeten. Zugleich formulierte er, dass Iran jede Vereinbarung zwischen der Hizbullah und der libanesischen Regierung in der Waffenfrage unterstütze, allerdings die von den USA vorgegebene Fristsetzung nicht akzeptiere.
Die Verabschiedung des PMF-Gesetzes würde den Einfluss Irans im Irak stärken und das interne Kräfteverhältnis zugunsten der mit Teheran verbündeten Gruppen verschieben
Erfolgreicher gestaltete sich der Besuch zuvor im Irak. Die Unterzeichnung einer Absichtserklärung für eine verstärkte Sicherheitspartnerschaft stieß wie zu erwarten in den USA auf Ablehnung. In Reaktion betonte die irakische Botschaft in Washington, dass das Dokument Teil der bilateralen Zusammenarbeit zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und zur Kontrolle der Grenzen sei und dass es sich lediglich um eine Absichtserklärung und nicht um einen rechtlich bindenden Vertrag handele.
Wichtiger und konkreter war allerdings Larijanis Auftrag, die schiitische Gruppierungen zur Unterstützung für das umstrittene Gesetz zu drängen, dass die vollständige Eingliederung der PMF in die staatliche Sicherheitsstruktur des Irak formalisieren soll. Das Gesetz wurde noch nicht im irakischen Parlament verabschiedet. Der Prozess hat sich aufgrund des Widerstands einiger politischer Fraktionen und des ausländischen Drucks, insbesondere der Vereinigten Staaten, verzögert.
Die Verabschiedung würde den Einfluss Irans im Irak stärken und das interne Kräfteverhältnis zugunsten der mit Teheran verbündeten Gruppen verschieben. Ziel des Gesetzentwurfs ist es, ein breites Netzwerk bewaffneter Gruppen mit mehr als 200.000 Kämpfern zu organisieren. Mit anderen Worten, schiitische politische Parteien versuchen, die PMF als unabhängige militärische Institution auf der Ebene des Innenministeriums oder des Verteidigungsministeriums zu erhalten. Sunnitische und kurdische Politiker lehnen einen solchen Schritt jedoch ab, und selbst unter den Schiiten besteht in dieser Frage kein Konsens.
Insgesamt ist die Ernennung von Ali Larijani zum Sekretär des »Verteidigungsrats« das Ergebnis der Rückschläge der iranischen Innen- und Außenpolitik. Israels Überraschungsangriff im Juni 2025 war eine hybride Operation, die neben der militärischen Unterlegenheit auch Schwachstellen im Geheimdienst- und Sicherheitsapparat offenlegte. Auf der anderen Seite hat die Schwächung Irans und seiner Partner in der Region Teherans Einfluss verringert, und die Fortsetzung dieses Trends könnte die von der Islamischen Republik unterstützten Kräfte weiter isolieren. Daher könnte Larijanis primäre Aufgabe wie auch bei seinen ersten Auslandsreisen in neuer Funktion zunächst darin bestehen, Irans geschwächte Verbündete zu stabilisieren.
Hessam Habibi Doroh ist Lehrbeauftragter für Internationale Beziehungen und Interkulturellen Dialog am FH Campus Wien. Javad Heiran-Nia ist Direktor der Persian Gulf Studies Group am Center for Scientific Research and Middle East Strategic Studies in Iran.