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Ägyptisches Konzert in Berlin

Ägyptische Sinfonie mit Zwischentönen

Feature

Ein einzigartiges Orchester aus blinden Frauen verspricht Licht und Hoffnung aus Kairo nach Berlin zu bringen. Das Konzert rückt vor den gegenwärtigen Konflikten am Nil aber in den Hintergrund. Es kommt zum Tumult.

Es ist Herbst in Berlin. Unter grauem Himmel leuchtet das pastellfarbene Laub in den Alleen. Doch an diesem Dienstagabend dominieren andere Töne die Jahreszeit. Ein ägyptisches Galakonzert in der Berliner Urania wandelt sich in einen arabischen Herbststurm. Im Grunde war der Anlass für das Konzert des Kairoer »Light & Hope Chamber Orchestra« erfreulich. Seit 1988 tourt das ausschließlich aus blinden jungen Frauen bestehende Orchester durch die Welt.

 

»Es ist faszinierend, zu beobachten und noch viel mehr zu lauschen, wie die jungen Frauen Stücke aus der orientalischen als auch europäischen Klassik auf die Bühne bringen« – ein Versprechen, das sich bewahrheitete. Egal ob Mozart, Grieg oder arabische Granden wie al-Sunbati und Abu Bakr Khairat – die jungen Musikerinnen bringen westliche wie östliche Kompositionen virtuos zum Klingen. Ohne eine einzige Note vor sich, denn das komplette Repertoire haben sie verinnerlicht.

 

Ohne den strengen Dirigierstab des Maestros, der allein mit einem Schnippen den Takt vorgibt und dann im Hintergrund verschwindet. Trotz dieser Unwägbarkeiten harmonieren die Musikerinnen so gekonnt wie selbstsicher vor großem Publikum. Ein Genuss für alle Sinne. Im Grunde wäre das Konzert ein erfreulicher Anlass gewesen, die Arbeit des bereits 1954 gegründeten Vereins »Al Nour Wal Amal« – zu Deutsch: »Licht und Hoffnung« – in den Mittelpunkt zu rücken.

 

Viele Freiwillige haben es sich darin zur Aufgabe gemacht, erblindeten Mädchen und Frauen in Ägypten eine gleichberechtigte Bildungschance und die Förderung ihrer Talente zu ermöglichen. Gerade im Hinblick auf die Situation von Menschen mit Behinderung in arabischen Ländern, die von ihren Familien oft vor ihrer Umwelt versteckt werden, ist das ein wahrer Lichtblick und Hoffnungsschimmer. Einrichtungen wie »Al Nour Wal Amal«, die mit einem Handicap adäquat umgehen, sind selten.

 

Auf einmal verläuft die Spaltung Ägyptens durch den Berliner Konzertsaal

 

Im Grunde. Doch es kam anders. Die gegenwärtige Lage in Ägypten, wo nur zwei Tage zuvor, am 6. Oktober 2013,  bei gewaltsamen Zusammenstößen wieder 50 Menschen starben, überschattete am Ende auch diesen Abend. »Wir glauben, eine Zukunft voller Licht und Hoffnung ist möglich für Ägypten«, erklärte der Vertreter des Auswärtigen Amtes, Heinrich Kreft, im Sinne des Abends, nachdem er seine Besorgnis und sein Beileid bekundet hatte.

 

Zwar schaffte es die Musik, nachdem der ägyptische Botschafter in Berlin, Mohammed Higazy, die Bühne zu Beginn als oberster Tourismuswerber eingenommen hatte, den Raum wieder mit versöhnlichen Klängen zu füllen. Dennoch kam es zum Abschluss des an sich schon unvergesslichen Konzerts zu folgender Szene. Während Botschafter Higazy wieder die Bühne für sich und den ägyptischen Heile-Welt-Tourismus vollständig einnimmt, betritt ein Mann im Anzug die Bühne.

 

Er ergreift das Wort zunächst auf Arabisch, ehe er auf Deutsch dazu übergeht, dem Botschafter und allen Versammelten den Mord an all den Demonstranten in Kairo in Erinnerung zu rufen. Auf einmal verläuft die ganze Spaltung Ägyptens durch den Berliner Konzertsaal. Die feine Gesellschaft zeigt ihr wahres Gesicht. Unter Buhrufen wird der Mann von der Bühne gedrängt. Zwischentöne in dieser ägyptischen Sinfonie scheinen unliebsam zu sein.

 

Der ägyptische Botschafter übertönt die Argumente des Störenfriedes, indem er die Nationalhymne anstimmt. Im daraus erwachsenden Chor sind jene Zwischentöne nicht mehr zu vernehmen. Allein draußen vor dem Eingang hat sich ein Dutzend Demonstranten versammelt, die lautstark gegen das aktuelle ägyptische Regime protestieren. Die jungen Frauen vom »Light & Hope Orchester« sind da längst von der Bühne verschwunden. Wären die Worte von Botschafter Higazy, die er an die Musikerinnen richtete, doch mehr als leere Hülsen gewesen: »Ihr seid die wahren Botschafter Ägyptens.«

Von: 
Ruben Schenzle

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