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Apfelbäume im Golan

Knackiges Symbol der Hoffnung

Feature

Apfelbäume im Golan bewahrten das Land vor einer Konfiszierung durch die Israelis, sicherten der drusischen Bevölkerung den Lebensunterhalt und traten als erstes Produkt die Reise nach Syrien an, die den Bewohnern des Golans verwehrt ist.

»Der Apfelbaum bedeutet uns hier viel. Er symbolisiert Stärke und eine Verbindung zum Land. Er bedeutet hier zu bleiben und nicht zu gehen«, sagt ein Landwirt, der vor seinem Traktor steht, direkt in die Kamera. Diese Szene sieht man in dem irischen Dokumentarfilm »Apples of the Golan«, der unter der Regie von Keith Walsh und Jill Beardsworth entstand und gerade in Dublin Premiere feierte.

 

Seit Israel die Golanhöhen 1967 annektierte, lebt die dortige Bevölkerung unter der Besatzungsmacht. Schätzungsweise 97 Prozent der Einwohner wurden im Zuge des Sechstagekrieges vertrieben. Aus den vormals 139 syrischen Dörfern auf dem Golan blieben nur die fünf Drusendörfer bestehen. 

 

Die circa 20.000 Drusen trennt eine Demarkationslinie von ihren Familien auf der anderen Seite. Einmal im Jahr dürfen Studenten, Bräute und Pilger diese Grenze überqueren – und Äpfel. Diese Tatsache ist für die Menschen im Golan ein kleiner Sieg gegen die Besatzung. Sie praktizieren einen gewaltlosen Widerstand. Die Bevölkerung lehnt die israelische Staatsangehörigkeit ab, protestierte 1982 ein halbes Jahr friedlich gegen die Annexion und versucht sich ihre arabisch-syrische Identität zu bewahren.

 

Landwirtschaft, hauptsächlich Viehzucht, war seit jeher die Haupteinkommensquelle der Menschen in der Region. In Majdal Schams erzählt man sich, dass um 1945 ein Angehöriger der Abu Saleh, einer einflussreichen Familie im Ort, auf die Idee kam, Äpfel anzupflanzen. Durch das feuchte Klima und den fruchtbaren Vulkangesteinsboden schossen die Äpfelbäume in die Höhe und trugen reichlich Früchte.

 

Als Israel im Sechstagekrieg die Golanhöhen besetzte, reagierten die Bewohner schnell. Sie wussten von israelischen Gesetzen wie beispielsweise dem »Law Concerning Uncultivated Lands« von 1953, dass Land produktiv sein musste, damit es nicht enteignet werden konnte. Unebene, steinige Flächen, die vorher als nicht brauchbar galten, wurden nutzbar gemacht. Die Bauern bepflanzten jeden freien Fleck mit Äpfelbäumen, um ihn vor einer möglichen Konfiszierung durch die Israelis zu schützen. Trotzdem beanspruchten die Israelis Teile des Lands.

 

Wettkampf zwischen Siedlern und syrischen Landwirten um das Marktmonopol

 

Mit der Okkupation der Golanhöhen kamen die Siedler, und auch diese bauten Äpfel an, unter den gleichen Bedingungen wie die Landwirte in der Region. Die israelische Regierung griff den Siedlern dabei unter die Arme. Sie erhielten mehr Wasser als die syrisch-drusische Bevölkerung. Durch reichliche Bewässerung waren die Früchte der Siedler größer und attraktiver. In den 1980er Jahren wurde der Markt mit der Apfelmenge überschwemmt und die Preise fielen. Ein Export der Äpfel nach Europa oder in arabische Nachbarländer war unmöglich. Europa selbst hat eine eigene Apfelproduktion und die arabischen Länder kaufen keine israelischen Produkte.

 

Die Siedler verfügten über bessere Marketingstrategien und wissenschaftliches Know-How. Ihr speziell entwickeltes Kühlsystem machte es ihnen möglich, Äpfel drei Monate länger zu lagern als ihren arabischen Konkurrenten. So mussten die syrischen Landwirte ihre Äpfel zu Dumpingpreisen verkaufen, weil der Markt überflutet war und fuhren somit riesige Verluste ein. Die Siedler rissen das Marktmonopol an sich und die Bevölkerung des Golans wurde zunehmend verzweifelter, weil der Äpfelverkauf traditionell vielen Familien den Lebensunterhalt sicherte.

 

Die Heimkehr der Äpfel

 

Schon im Dezember 1983 wandten sich die Dorfscheichs an den damaligen Premierminister Jitzchak Schamir mit der Bitte, ihnen den Apfeltransport nach Syrien zu erlauben. Erst 2005 wurde ihr Wunsch erfüllt. Nach riesigem bürokratischen Aufwand passierten die ersten 7.000 Tonnen Äpfel den Grenzübergang Quneitra. Seit 1948 befinden sich beiden Staaten im Kriegszustand und normalerweise darf niemand die Grenze überqueren. Aber es gibt Ausnahmen. Das Rote Kreuz agierte nach dem Ersuchen der Bauern als Vermittler. Knifflige Fragen mussten gelöst werden. Wer sollte etwa die Äpfel über die Grenze bringen? Im Endeffekt entschied man sich für Fahrer aus Kenia, die fünf Tage im Jahr die dreiminütige Strecke fahren. Kenianer gelten bei Israelis und Syrern als neutral.

 

Es war ein Sieg für alle. Die Syrer feierten die Heimkehr der syrischen Äpfel als Sieg über Israel. Die Israelis konnten ihre Märkte stabilisieren. Und die Apfelbauern im Golan erzielten in Syrien höhere Preise und freuten sich, dass wenigstens die Äpfel ins Mutterland zurückkehren können.

 

Seit sieben Jahren gibt es diesen ungewöhnlichen Handelsverkehr zwischen den beiden Staaten. Trotz der aktuellen Situation in Syrien ist geplant, den Transport im März durchzuführen. Falls der Apfelhandel dieses Jahr nicht stattfindet, würde der israelische Markt durcheinander kommen und die Apfelbauern im Golan würden riesige finanzielle Verluste erleiden.

 

Ein gern zitiertes Sprichwort im Golan besagt: »Wir hängen an unserem Heimatland, wie der Apfel am Baum.« Der Apfel steht sinnbildlich für das Durchhaltevermögen der Menschen, die friedlich der Besatzungsmacht trotzen. Die Frucht erinnert die Drusen, für ihre Rechte zu kämpfen und Hoffnung zu bewahren.

 

Daher ist der Apfel zu einem Kultsymbol avanciert. Letztes Jahr fand on Majdal Schams etwa zum ersten Mal ein Apfel-Poesie-Festival statt. Ein Künstler schuf einen riesigen Apfel aus Mosaiksteinchen, der die Dorfmitte zierte. Im Sommer bieten die Apfelplantagen der Jugend zudem eine willkommene Abwechslung zu dem sonst öden Freizeitangebot und einen idealen Ort für Grillfeste.

 

Die Dorfbewohner schicken inhaftierten Verwandten an Festtagen Äpfel ins Gefängnis. Auch nach Palästina schicken sie ihre Äpfel als Zeichen der Verbundenheit, mit ihren arabischen Brüdern.

Von: 
Mai-Britt Wulf

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