Welche Veränderungen die angekündigten Aufhebungen der Syrien-Sanktionen bringen – und worin sich Maßnahmen der USA und der Europäischen Union unterscheiden.
Am 13. Mai verkündete der US-Präsident Donald Trump die Aufhebung von Sanktionen gegen Syrien. Die dem US-Finanzministerium beigeordnete Behörde Office of Foreign Assets Control (OFAC) veröffentlichte am 28. Mai ein Informationsblatt, das Klarheit in den US-Sanktionskomplex bringen soll. Vor allem dazu, was »Syria General License 25« – die offizielle Bezeichnung des Dekrets zu den Sanktionsaufhebungen – genau umfasst und welche Risiken für Investoren verbleiben. Die finanziellen Risiken entstehen aus dem rechtlichen Status Quo: Was nur durch Ausnahmeregelungen, sogenannte Waiver, ausgesetzt, aber nicht formell aufgehoben wird – wie der Caesar Syria Civilian Protection Act – unterliegt auch der Gefahr rückwirkender Aushebelung.
Der zugrunde liegende Sanktionsrahmen des Sanktionspakets Caesar Act ist weiterhin in Kraft und es gelten derzeit lediglich Ausnahmeregelungen zur Aussetzung, die oft fälschlicherweise als Sanktionsaufhebungen verstanden werden. Investoren tendieren unter diesen Umständen dazu, bestehende Sanktionsvorgaben geradezu überzuerfüllen, um sich rechtlich abzusichern. Zudem hat Washington auch einen Monat nach der Ankündigung keinen konkreten Fahrplan für die Sanktionsaufhebung vorgelegt – nicht zuletzt, weil dieser Prozess in den Händen der Legislative in den USA liegt. Das vom Kongress erlassene Gesetz kann nur durch Mehrheiten in Repräsentantenhaus und Senat außer Kraft gesetzt werden.
Tatsächlich bestünde in dieser Frage sogar die Chance, einen überparteilichen Konsens zwischen Republikanern und Demokraten zu erreichen. Allerdings würde es selbst unter idealen Bedingungen noch Monate dauern, bis solch ein Vorstoß sämtliche bürokratischen Hürden in Parlament und Verwaltung nimmt. Die Einstufung Syriens als Sponsor staatlichen Terrorismus (SST) durch das State Department– seit 1979 in Kraft – bleibt zudem bestehen, wohl um sich Hebel in den künftigen Verhandlungen mit der Regierung von Ahmad Al-Sharaa zu bewahren.
Für die syrische Übergangsregierung haben die Anbindung an internationale Finanzinstitutionen und die Einbindung syrischen Auslandskapitals in die Wiederaufbaubemühungen Priorität
Europa steht in Bezug auf die Syrien-Sanktionen mitunter vor ähnlichen Herausforderungen, dennoch stellt sich die Lage anders dar. Ende Mai hob der EU-Rat die meisten wirtschaftlichen restriktiven Maßnahmen gegen Syrien auf. Damit fallen unter anderem Handelsverbote in den Bereichen Infrastruktur und Energie weg. Von den Lockerungen ausgenommen sind Rüstungsgüter, Repressions- und Überwachungstechnologie. Auch das Ausfuhrverbot für Kulturgüter sowie personenbezogene Sanktionen gegen frühere hochrangige Funktionäre des Assad-Regimes bleiben in Kraft.
Für die syrische Übergangsregierung haben die Anbindung an internationale Finanzinstitutionen und die Einbindung syrischen Auslandskapitals in die Wiederaufbaubemühungen Priorität. Deswegen sind die Beschlüsse des EU-Rats in diesem Bereich so bedeutsam: So gibt die EU die eingefrorenen Gelder von 24 Organisationen frei, darunter der Zentralbank sowie mehrerer Industriebanken. Sollte die Mitte Juni angekündigte Rückkehr Syriens in das internationale Zahlungssystem SWIFT in den kommenden Wochen vorankommen, wären wichtige Grundlagen für die Abwicklung des Warenverkehrs und anderer Zahlungsläufe für Unternehmen wie Haushalte geschaffen. Dank der Tilgung ausstehender Verbindlichkeiten durch Katar und Saudi-Arabien im April kann Syrien zudem wieder in Förderprogramme der Weltbank aufgenommen werden.
Allerdings hat die EU im selbem Atemzug auch eine Reihe neuer Sanktionen verhängt: Sie richten sich gegen drei Milizen (Suleiman-Shah-Brigade, Hamza-Division und Sultan Murad Division) und zwei Milizenführer (Muhammad Hussein al-Jasim und Sayf Boulad Abu Bakr), die alle mehr oder weniger Teil des neuen Sicherheitsapparats sind. Ihnen wird eine zentrale Rolle bei den Massakern an den Alawiten in den Küstenregionen im März zur Last gelegt. Ausdrücklich betonte die EU, die Liste gegebenenfalls auszuweiten.
Doch wann und inwieweit werden sich die Lockerungen der Sanktionen positiv auf das Leben in Syrien auswirken? Auch ein halbes Jahr nach dem Sturz des Assad-Regimes greifen die Menschen in Syrien auf etablierte Strukturen zurück, die sich in den Jahren des Bürgerkriegs bewährt haben, um wirtschaftlich über die Runden zu kommen. Überweisungen aus dem Ausland der über sechs Millionen im Exil lebenden Syrer waren seit 2011 nur über Bargeldtransport möglich, oder aber mit hohen Gebühren und strikten Einschränkungen verbunden. Zudem fallen die beiden Geldwechselunternehmen Al-Adham und Al-Fadel seit 2023 wegen ihrer Rolle bei der Sanktionsumgehung unter die Bestimmungen des Caesar Act.
Etwa zwei Millionen Menschen wohnen noch immer in provisorischen Lagern, insgesamt wird die Zahl der Binnenvertriebenen auf etwa 7,4 Millionen geschätzt
Daher haben sich in Syrien Ersatzmechanismen etabliert: Hawala ist ein informelles Geldtransfersystem, das auf Vertrauen und einem Netzwerk von Maklern (Hawaladar) basiert. Ein Sender zahlt Geld an einen Hawaladar in seinem Land, der dann einen Code an den Empfänger in Syrien übermittelt. Ein Hawaladar in Syrien zahlt den Betrag (oft abzüglich einer Gebühr von ungefähr 5 Prozent) an den Empfänger in der lokalen Währung aus.
Da keine physischen Geldbewegungen stattfinden und keine offiziellen Banken involviert sind, umgeht Hawala Sanktionen und bürokratische Hürden. Und auch wenn die Gebühren meist höher sind als die von Anbietern wie Western Union, orientieren sich die Hawaladar am meist niedrigeren inländischen Wechselkurs und garantieren damit höhere Erträge als über den offiziellen Weg. Die Risiken dieses Schwarzmarktsystems tragen in erster Linie die Verbraucher. Gerade wenn die Nachfrage nach kurzfristigen, kostspieligen Anschaffungen steigt – etwa im Vorfeld des Opferfestes – schießen die Gebühren in die Höhe.
Zudem bleibt die humanitäre Situation trotz der Lockerungen angespannt: Etwa zwei Millionen Menschen wohnen noch immer in provisorischen Lagern, insgesamt wird die Zahl der Binnenvertriebenen auf etwa 7,4 Millionen geschätzt. Humanitäre Ausnahmereglungen für bestehende Sanktionsinstrumente sollen zwar Hilfslieferungen ermöglichen, unterliegen aber aus Sicht der Geberstaaten denselben Unwägbarkeiten, die auch Investoren dazu bewegen, erst einmal Vorsicht walten zu lassen, solange die rechtlichen Verhältnisse nicht eindeutig geklärt sind.
Um den Trend der aktuellen Wachstumsrate, nach der das wirtschaftliche Niveau vor dem Krieg erst in 50 Jahren erreicht werden kann, zu beschleunigen, muss Syrien den Anschluss an internationale Standards erreichen. Von der Übergangsregierung wird erwartet, Verwaltungs- und Kommunikationsstrukturen zu etablieren, die das Land braucht, um etwa der Kooperationsbereitschaft der EU den Weg zu ebnen. Die begrenzten institutionellen und administrativen Kapazitäten der Regierung sind dabei ein Problem. Ein anderes sind die unter Assad begünstigten Eliten und deren Strohmänner, die weiterhin im Land aktiv sind und um ihren Platz im neuen Syrien buhlen. Die Zerschlagung der Wirtschaftscliquen, die wichtige Industriezweige kontrollieren, ist voller Fallstricke und wird sich schwierig gestalten.