Die Beweislast für die genozidalen Absichten waren schon Jahre vor den Massakern in Al-Faschir erdrückend – dass die »Rapid Support Forces« (RSF) dennoch weiter morden durften, verdanken sie der Unterstützung der VAE – und dem Unwillen des Westens, sich gegenüber dem Partner vom Golf zu behaupten.
Nach der Einnahme von Al-Faschir ist der erneute Völkermord in Darfur für alle Welt sichtbar. Doch die Wahrheit ist: Er begann nicht erst in den vergangen Tagen oder Wochen, sondern ist seit über anderthalb Jahren im Gange. Die anhaltenden Massaker sind eine Fortsetzung der Gräueltaten, die Mitte 2023 in der Provinzhauptstadt verübt wurden, als über 14.000 Zivilisten nicht bei den Kämpfen zwischen Sudanesischer Armee (SAF) und Rapid Support Forces (RSF), sondern durch systematische Bombardierungen, gezieltes Aushungern und außergerichtliche Hinrichtungen getötet wurden. UN-Ermittler und zahlreiche Menschenrechtsorganisationen haben die RSF und verbündete Milizen als Verantwortliche für diese Gewalt eindeutig ausgemacht.
Im März 2025 erhob Sudan in seiner Klage beim Internationalen Gerichtshof (IGH) formell den Vorwurf, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) seien durch militärische, finanzielle und politische Unterstützung der RSF am Völkermord an den Masalit in West-Darfur beteiligt. Die VAE wiesen die Anschuldigung entschieden zurück, bezeichneten die Klageschrift als »zynischen PR-Gag« und beantragten umgehend eine Abweisung. Tatsächlich folgten keine rechtlichen Schritte nach Einreichen der sudanesischen Klage.
Die Anschuldigungen gegen die VAE haben dennoch Hand und Fuß. Amnesty International dokumentierte im Mai 2024 den Einsatz hochentwickelter chinesischer Waffen (GB50A-Lenkbomben und AH-4-Haubitzen) durch die RSF in Darfur und Khartum und kam zu dem Schluss, dass das Kriegsgerät mit hoher Wahrscheinlichkeit über die VAE re-exportiert wurde und damit gegen das UN-Waffenembargo zu Darfur verstießen. Eine umfassendere Untersuchung von Amnesty International zeichnet einen nahezu ungehinderten Waffenstrom aus Russland, China, der Türkei und den VAE in den Sudan über diverse regionale Lieferrouten. Die NGO warnte schon damals davor, dass, wenn diese Waffentransfers nicht gestoppt würden, weiterhin Zivilisten getötet würden und dass Staaten und Unternehmen, die Waffen liefern, sich womöglich strafbar machten.
Ein UN-Expertengremium hatte bereits 2024 Transportflüge dokumentiert, die von Abu Dhabi aus starteten und mit Waffen für die RSF im Gepäck im Osten des Tschad landeten
Im Juni 2024 forderte der UN-Sicherheitsrat die RSF einstimmig auf, die Belagerung von Al-Faschir einzustellen. Der Gesandte der sudanesischen Regierung bei den Vereinten Nationen erklärte vor dem Gremium damals, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) seien der »offizielle Unterstützer« der RSF in der Region. Die VAE wiesen diesen Vorwurf zurück. Ein UN-Expertengremium hatte jedoch bereits Anfang des Jahres 2024 Transportflüge dokumentiert, die von Abu Dhabi aus starteten und mit Waffen für die RSF im Gepäck im Osten des Tschad landeten. Trotz der Stellungnahme des UN-Sicherheitsrats folgten keine entschiedenen internationalen Maßnahmen.
Im September 2024 kamen weitere Beweise ans Licht, als die NGO Refugees International auf eine Untersuchung der New York Times reagierte und erklärte, die VAE hätten die RSF unter dem Deckmantel einer humanitären Mission des Emiratischen Roten Halbmonds direkt militärisch unterstützt und damit erneut gegen das Waffenembargo und möglicherweise gegen das humanitäre Völkerrecht verstoßen. Doch selbst nach diesen Enthüllungen folgten keine Sofortmaßnahmen oder Sanktionen.
Und obwohl solche eingehenden Untersuchung oft technischer Natur und damit vergleichsweise schwer zugänglich sind, liegen auch offensichtliche Beweise für die Gräueltaten im Sudan vor. Seit über einem Jahr verbreiten sudanesische Accounts auf TikTok, Facebook und X Videos aus von den RSF kontrollierten Gebieten, die zeigen, wie Zivilisten bedroht, gedemütigt und terrorisiert werden. Einige Clips veröffentlichten die RSF-Kämpfer selbst. In einer Audioaufnahme warnt eine Person einen RSF-Kommandanten davor, Bilder bestimmter schwerer Waffen zu veröffentlichen. Die Identität des Mannes, der im golfarabischen Dialekt spricht, konnte bislang nicht aufgedeckt werden. Doch selbst angesichts dieses öffentlich zugänglichen Beweismaterials blieb die internationale Reaktion verhalten.
Die VAE entsenden keine eigenen Truppen nach Darfur, erlassen keine staatlichen Dekrete und unterzeichnen keine formellen Militärhilfeabkommen mit Gruppen wie den RSF
Stattdessen formten regionale Akteure über Desinformationskampagnen einen Gegennarrativ. Während die RSF Al-Faschir belagerten, verbreiteten mehrere emiratische Influencer sowie der offizielle arabischsprachige Account des Staates Israels auf X Beiträge, die die sudanesische Armee als »die Hamas Afrikas« darstellten. Recherchen des Portals Middle East Eye ergaben, dass einige der von diesen Quellen verwendeten Aufnahmen nicht verifiziert oder aus dem Kontext gerissen waren. Das habe dazu geführt, dass die Aufmerksamkeit von den RSF in Momenten massiver Gewalt gegen Zivilisten abgelenkt wurde. Die Einflussnahme auf die öffentliche Meinung auch durch Accounts mit Verbindungen zum Staat, ist Bestandteil dieser Sudan-Strategie.
Zudem begünstigt der strategische Kontext des Konfliktgebiets eine Kultur der Straflosigkeit. Sudan ist ein wichtiger Korridor zwischen dem Roten Meer und Zentralafrika. Die RSF kontrollieren außerdem bedeutende Handelsströme. UN-Ermittler haben über Jahre dokumentiert, wie Gold aus Darfur über Netzwerke mit Verbindungen zu den VAE geschmuggelt wird. Die Emirate haben bereits in der Vergangenheit Einfluss durch verbündete Milizen im Jemen und in Libyen ausgeübt – Sudan folgt eben diesem Muster. Die VAE sind zudem ein wichtiger Energiepartner, ein bedeutender Investor in Europa und ein diplomatischer Akteur in anderen Konflikten.
All das macht eine öffentliche Konfrontation für den Westen zur kostspieligen Kalkulation. Zumal die VAE bemüht sind, im Hintergrund zu bleiben und die eigene Rolle zu verschleiern. So ergibt sich im Verhältnis zwischen Emiraten und ihren Verbündeten in der Region insgesamt ein diffuses Bild. Die VAE entsenden keine eigenen Truppen nach Darfur, erlassen keine staatlichen Dekrete und unterzeichnen keine formellen Militärhilfeabkommen mit Gruppen wie den RSF. Stattdessen umfasst das von UN-Experten und Menschenrechtsorganisationen beschriebene System Mittelsmänner, private Frachtrouten, Flugplätze in Drittländern und verdeckte Missionen. Dieser Graubereich erschwert es, Verantwortlichkeiten rechtlich zuzuordnen und politisch zu verfolgen.
Letztendlich ist der abermalige Völkermord nicht Resultat mangelnder Informationen. Die Beweislast ist umfassend, konsistente und gut dokumentiert. UN-Expertengremien, NGOs, Satellitenbilder, Transportdokumente und Videos der Täter selbst lagen seit über einem Jahr vor. Allein die Konsequenzen für die RSF und ihre Unterstützer blieben aus – den Preis dafür zahlen nun die Menschen in Darfur.




