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Migranten in Ägypten und die EU

Das andere Assoziierungsabkommen

Feature
Migranten in Ägypten und die EU
UNHCR/Pedro Costa Gomes

Ihre Geschichten sind keine Ausnahmen, sondern tägliche Realität. Ohne Migranten würde die ägyptische Wirtschaft nicht funktionieren. Gleichzeitig werden sie durch kein Gesetz geschützt und in den Handelsabkommen nicht berücksichtigt.

Muhammad steht in der Küche eines beliebten Restaurants in Kairo und schneidet Gemüse. Seine Hände sind von der stundenlangen Arbeit rissig und aufgesprungen. Die Kleidung des jungen Sudanesen riecht nach verbranntem Öl. An den Tischen sitzen Menschen, die nicht wissen, dass Menschen wie er für einen Hungerlohn arbeiten. Ohne Arbeitsvertrag, ohne Krankenversicherung, ohne jeden Schutz.

 

Muhammad ist nicht allein. Nur wenige Straßen weiter scheiterte die Sudanesin Amal mit ihrem Traum von einem eigenen Café. Hier lebte die aus Äthiopien stammende Haushaltshilfe Hanna, die verprügelt und des Landes verwiesen wurde. Senait aus Eritrea wurde hier in eine Zwangsehe getrieben und vergewaltigt. Ihre Geschichten stehen sinnbildlich für das Schicksal Tausender Migranten in Ägypten. Die für diese Geschichte der Autorin Einblick in ihr Leben gegeben haben, aber aus Angst vor Repressalien nicht mehr persönliche Details preisgeben möchten und deswegen unter Pseudonym hier erscheinen. Es sind Menschen, die mit ihrer Arbeitskraft die Wirtschaft des Landes am Laufen halten, die aber in dem milliardenschweren Handelsabkommen zwischen Europa und Ägypten keine Rolle spielen.

 

Das Assoziierungsabkommen zwischen der EU und Ägypten trat 2004 in Kraft und versprach eine »neue Phase der Zusammenarbeit und der gemeinsamen Entwicklung«. Seit 2010 umfasst das Dokument auch landwirtschaftliche und Fischereierzeugnisse. Die Zahlen sprechen für sich. Der Warenwert im Handel zwischen der EU und Ägypten betrug im Jahr 2024 rund 32,5 Milliarden Euro, davon entfielen 12,6 Milliarden auf ägyptische Exporte. Hinzu kommen noch Dienstleistungen im Wert von rund 15 Milliarden Euro im Jahr davor.

 

Schätzungen zufolge könnten allein aus dem Sudan mehr als vier Millionen Menschen nach Ägypten geflohen sein

 

Zudem hat Brüssel im März 2024 ein Investitionspaket über 7,4 Milliarden Euro geschnürt. Ziel der Maßnahme ist die »Eindämmung irregulärer Migration« und die »Stabilisierung der ägyptischen Wirtschaft«. Tatsächlich will Europa sicherstellen, dass Ägypten im Süden die Grenzen schließt und verhindert, dass Menschen aus Afrika nach Europa kommen. So wird Ägypten zur Falle für all jene, die auf ein besseres Leben hoffen.

 

Den Vereinten Nationen zufolge leben in Ägypten mehr als 480.000 registrierte Geflüchtete und Asylsuchende aus 65 Ländern. Unter ihnen befinden sich 270.000 Sudanesen und 150.000 Syrer. Doch die offiziellen Zahlen nur einen Bruchteil der Geflüchteten. Schätzungen zufolge könnten allein aus dem Sudan mehr als vier Millionen Menschen nach Ägypten geflohen sein. Viele von ihnen suchen Arbeit in der Schattenwirtschaft von Kairo oder Alexandria, sie schuften auf dem Feld oder auf dem Bau.

 

Hinter den Zahlen verbergen sich Schicksale, die von Ausbeutung, Diskriminierung und Überlebenswillen erzählen. Der informelle Sektor macht rund 60 Prozent der Wirtschaft des Landes aus. Hier finden die Zugezogenen Arbeit. Die ist geprägt von zwielichtigen Vermittlern, leeren Versprechungen und Ausbeutung – juristischen Schutz genießen sie kaum. »Ich arbeite mehr als 14 Stunden am Tag und verdiene doch nur die Hälfte dessen, was ein Ägypter bekommt«, sagt der sudanesische Koch Muhammad. Seine müden Augen und kaputten Hände zeugen von einem Leben, das für die meisten Ägypter weitgehend unsichtbar ist, ohne das aber keines der vielen Restaurants funktionieren würde.

 

Um der Armut zu entkommen, setzte Amal alles auf eine Karte und investierte ihre Ersparnisse in ein kleines Café. »Am Anfang kamen viele Kunden, doch dann haben sich alle Preise verdoppelt und niemand besuchte mehr mein Café«, berichtet die Sudanesin. Sie zeigt mir die Kündigung ihres Vermieters, der die Miete kurzerhand vervierfacht hat. »Wenn es dir nicht passt, dann geh doch«, soll er gesagt haben. »Ihr Sudanesen bekommt doch ohnehin so viel Geld von den UN.« Amal muss das Café aufgeben, ihre Ersparnisse sind aufgebraucht. Hilfe habe sie von niemandem bekommen, sagt sie.

 

Europäische Unternehmen profitieren von den günstigen Importen aus Ägypten, die es ohne billige Arbeitskraft nicht geben würde

 

Für Hanna begann der Alptraum, als sie einer Straftat bezichtigt wurde. Die aus Äthiopien stammende Haushaltshilfe hat sich einer Hilfsorganisation in Kairo anvertraut. »Ich wurde so lange geschlagen, bis ich einen Diebstahl gestand, den ich nicht begangen habe«, erzählte sie der NGO. Hanna wurde zur Polizei gebracht und auch dort verprügelt. Am Ende stellte sich heraus, dass sie unschuldig war. Entschuldigt hat sich niemand. Ihr Pass wurde einbehalten und sie abgeschoben.

 

Auch die Eritreerin Senait möchte nicht mit ihrem richtigen Namen zitiert werden. Eine ägyptische NGO hat ihren Fall dokumentiert. »Ich dachte, durch die Ehe wäre ich geschützt, doch sie wurde für mich zu einem Gefängnis«, berichtet die junge, die sich aus ökonomischer Not auf eine Heiratsvermittlung einließ. Sie musste unter Sklaverei ähnlichen Verhältnissen leben, wurde immer wieder vergewaltigt. Eines Nachts sprang sie aus dem Fenster: »Ich wollte, dass es aufhört und sei es durch meinen Tod.« Sie überlebte mit mehreren Knochenbrüchen. Heute wird sie von einer ägyptischen NGO unterstützt. Nach einer Art Lösegeldzahlung wurde ihre Ehe annulliert, auch ihre Tochter durfte die Wohnung ihrer Peiniger verlassen.

 

Geschäftsmänner im ganzen Land profitieren von der billigen Arbeitskraft der Migranten. Europäische Unternehmen wiederum profitieren von den günstigen Importen aus Ägypten, die es ohne diese Arbeitskraft nicht geben würde. Der ägyptische Staat streicht Kredite ein, verbucht Investitionen und behandelt die Gastarbeiter nicht wie Arbeitskräfte, sondern wie Wegwerfware. In Kairo, Alexandria und insbesondere im Süden des Landes sind afrikanische Migranten Rassismus, Ausbeutung und gefährlichen Arbeitsbedingungen ausgesetzt. So entsteht ein Paradoxon. Während die Regierung milliardenschwere Handelsabkommen feiert, bleiben Migranten in Ägypten schutzlos in der informellen Wirtschaft gefangen.

Von: 
Shima Saamy

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