Viele Menschen in Iran nehmen die uneingeschränkte Rückendeckung des Westens für Israel im Krieg mit Iran mit Enttäuschung und Entsetzen zur Kenntnis – und fürchten ein Szenario wie in Gaza.
»Bitte fragen Sie die Iraner nicht: Befreien die Israelis euch nicht von diesem Regime? Warum unterstützt ihr das nicht? Sagen wir mal so: Ein Regime, das Kinder tötet, wird uns nicht vor einem Regime retten, das Kinder tötet.« Mit diesem Satz brachte die iranisch-amerikanische Künstlerin Shirin Neshat am 19. Juni auf Instagram eine Haltung zum Ausdruck, die viele Menschen in Iran teilen: Ablehnung gegenüber einem Regime, das mit Gewalt gegen die eigene Bevölkerung vorgeht, und zugleich Ablehnung gegenüber jenen, die mit Raketen und Drohnen vorgeben, ausgerechnet diese Bevölkerung befreien zu wollen.
Es ist ein Satz, der weder wütend noch laut ist. Eher klingt er resigniert. Eine Müdigkeit spricht daraus, die viele empfinden, seit Israel Luftangriffe auf Ziele in Iran gestartet hat. Angriffe, die offiziell dem iranischen Regime gelten, in der Realität aber häufiger mehr zivile Opfer fordern. Allein Teheran wurde bis dato mehr als 100 Mal getroffen
Ein Mann in Teheran sagte kürzlich im Interview mit der britischen BBC: »Das ist nicht mein Krieg. Ich feuere keine Seite an. Ich will nur mit meiner Familie überleben.« Viele Menschen im Land sehen das ähnlich. Sie verurteilen ihr eigenes Regime, doch sie fürchten auch die militärische Eskalation von außen – und bezweifeln, dass aus Bomben Demokratie entstehen kann.
Diese Skepsis ist historisch begründet. Der Irak, Libyen, Afghanistan, Panama – immer wieder wurde der Sturz autoritärer Regime von außen als Weg zur Befreiung verkauft. In keinem dieser Fälle jedoch entstand eine stabile Demokratie. Was blieb, war oft Instabilität, Korruption und eine Gesellschaft, die zwischen Kriegsfolgen und innerer Zerrissenheit stand. Selbst in Panama blieb die Demokratie nach dem nach dem US-Militärschlag 1989 fragil: weitverbreitete Korruption, schwache Justiz und einflussreiche Eliten prägen bis heute das politische System.
Waisenhäuser für Neugeborene veröffentlichen Hilferufe, weil ihnen Milchpulver, Windeln, Brot und Reis ausgehen. Die Geldautomaten zweier iranischer Banken geben offenbar kein Bargeld mehr aus
Auch prominente Exiliranerinnen und -iraner melden sich kritisch zu Wort. Die Friedensnobelpreisträgerin Narges Mohammadi, Juristin Shirin Ebadi, Regisseure wie Mohammad Rasoulof und Jafar Panahi – sie alle haben das iranische Regime scharf verurteilt. Doch ebenso lehnen sie eine militärische Intervention Israels ab. In einem gemeinsamen Text in der französischen Zeitung Le Monde warnen sie vor den Folgen der Eskalation. Sie sprechen von einer »ernsten Bedrohung für die Grundlagen der menschlichen Zivilisation« und fordern die Vereinten Nationen und die internationale Gemeinschaft dazu auf, Druck auf die Islamische Republik auszuüben, sämtliche Urananreicherungsaktivitäten einzustellen, sowie Druck auf beide Seiten auszuüben, die Angriffe auf lebenswichtige Infrastruktur sowie das Massaker an der Zivilbevölkerung zu beenden.« Der Rapper Toomaj Salehi, der selbst mehrfach aus politischen Gründen vom Regime inhaftiert wurde und nun abermals, formuliert es in einem Post in den sozialen Medien so: »Wenn ihr die Menschen in Iran angreift, dann tötet ihr Geiseln.«
Dennoch erklärte Bundeskanzler Friedrich Merz, Israel erledige in diesem Krieg »die Drecksarbeit«. Ein Satz, der unter Iranerinnen und Iranern, im Land wie in der Diaspora, als schockierend empfunden wurde, weil sie auf die Unterstützung Deutschlands gehofft hatten und das zynische Verhältnis des Bundeskanzlers in Bezug auf die humanitären Folgen dieses Krieges offenbart. In Deutschland jedenfalls ist diese Sicht nicht mehrheitsfähig. Laut ARD-Deutschland-Trend vom 4. Juni sprechen sich nur 13 Prozent der Bevölkerung für eine bedingungslose Unterstützung Israels aus. Auch das Vertrauen der Deutschen in Israel als Partner Deutschlands hat in den vergangenen Monaten gelitten: Nur noch jeder sechste Deutsche (16 Prozent) sieht das Land aktuell als Partner, dem Deutschland vertrauen kann. Israel bewegt sich damit auf einem Niveau mit den USA (18 Prozent) unter Donald Trump. Nur jeder Sechste (17 Prozent) ist der Meinung, die Bundesregierung sollte deutsche Waffenexporte nach Israel unverändert genehmigen.
In Iran verschlechtert sich die Lage indes zusehends. Krankenhäuser, Wohnhäuser und Verkehrsknotenpunkte wie der Qods-Platz wurden bei Angriffen getroffen, Menschen sind auf der Flucht, Kinder kamen ums Leben. Laut dem iranischen Menschenrechtsnetzwerk HRANA wurden seit Beginn der Kampfhandlungen 1.329 Menschen verletzt und 639 getötet, darunter 154 Angehörige der Sicherheitskräfte. In Israel starben 24 Menschen.
Unter Iranern besteht die Sorge, dass sich das Land in ein zweites Gaza verwandeln könnte. Im Norden, am Kaspischen Meer, sind die Lebensmittelpreise bereits gestiegen, da viele Teheraner aufgrund der israelischen Bombardements und Trumps Aufruf zur Evakuierung aus der Hauptstadt dorthin geflohen sind. Waisenhäuser für Neugeborene veröffentlichen Hilferufe, weil ihnen Milchpulver, Windeln, Brot und Reis ausgehen. Die Geldautomaten zweier iranischer Banken geben offenbar kein Bargeld mehr aus.
Verseuchte Böden und Grundwasserleiter in der Umgebung zerstörter Anlagen würden über Jahrzehnte eine Gesundheitsgefahr für die Bevölkerung darstellen
Die Regierung hat zudem den Benzinverkauf pro Auto auf 15 Liter limitiert, nachdem Israel am 13. und 15. Juni 2025 unter anderem Öllager in der Nähe von Teheran bombardiert hatte, darunter das Shahran-Depot und die Raffinerie Schahr Rey. Auch das Internet ist nur eingeschränkt verfügbar, Telefonate nach Iran sind derzeit nicht möglich. Anrufer werden von einer Stimme empfangen, die sie meditativ auf eine Reise zu grünen Wäldern und einem Ort der Ruhe mitnimmt. Ob diese Störung auf Maßnahmen der iranischen Regierung oder auf israelische Angriffe zurückzuführen sind, ist bislang unklar.
Landesweit erwarten die Menschen, dass sich die Versorgungslage weiter verschärft, vor allem bei Wasser, Strom, Benzin, Lebensmitteln, Müllentsorgung und medizinischer Versorgung. Hinzu kommt die Angst vor einer nuklearen Katastrophe. Israel erklärte mehrfach, das iranische Atomprogramm »vollständig« ausschalten zu wollen. Doch Experten warnen: Ein Angriff auf Nukleareinrichtungen könnte radioaktive Kontamination nach sich ziehen – mit unvorhersehbaren Auswirkungen auf die Umwelt und die Bevölkerung.
Wenn ein Schwerwasser-Reaktor wie Arak noch nicht in Betrieb ist, würde ein Angriff vermutlich lediglich die Infrastruktur zerstören, unter minimaler Freisetzung radioaktiver Stoffe. Ist der Reaktor jedoch in Betrieb, ist eine radioaktiven Kontamination im Bereich des Möglichen. Bei Bombardierungen von Urananreicherungsanlagen wie Natanz oder Fordo könnten lokal begrenzt giftige Gase wie Uranhexafluorid freigesetzt werden.
Kritischer sind Reaktor-Standorte wie Buschehr. Hier lagern hochradioaktive Stoffe, deren Freisetzung zu einer Strahlenkatastrophe führen könnte. Verseuchte Böden und Grundwasserleiter in der Umgebung zerstörter Anlagen würden über Jahrzehnte eine Gesundheitsgefahr für die Bevölkerung darstellen. Besonders betroffen wären landwirtschaftliche Nutzflächen und Trinkwasserreserven, was zu dauerhaften Umwelt- und Ernteschäden führen könnte. Ein unvorsichtiger Angriff könnte ein Szenario ähnlich einer kleineren Version der Katastrophe von Fukushima auslösen.
Statt Schutz zu bieten, erschwert das Regime die Lage zusätzlich: Das Internet wird abgeschaltet, Menschen, die Fotos der Zerstörung aufnehmen oder in sozialen Netzwerken verbreiten, werden verhaftet
Die Menschen in Iran sehnen ein rasches Ende der Angriffe herbei, um eine humanitäre Katastrophe wie in Gaza abzuwenden. Sie fühlen sich schutzlos – nicht nur, weil internationale Unterstützung ausbleibt, sondern auch, weil die eigene Regierung ihnen den Rücken kehrt. Statt Schutz zu bieten, erschwert das Regime die Lage zusätzlich: Das Internet wird abgeschaltet, Menschen, die Fotos der Zerstörung aufnehmen oder in sozialen Netzwerken verbreiten, werden verhaftet.
Auch von außen fehlt Rückhalt. Die europäischen Staaten stellen sich demonstrativ hinter Israel – eine Haltung, die in Iran mit Enttäuschung und Verachtung aufgenommen wird. Besonders die Äußerungen von Friedrich Merz sind im Land nicht unbemerkt geblieben und stoßen auf breite Ablehnung. Viele Iraner empfinden es als bittere Ironie, dass Benyamin Netanyahu, der seit 1992 immer wieder behauptet, Iran stehe kurz vor dem Bau der Atombombe, nun – mit Unterstützung von Donald Trump – die Gelegenheit nutzt, diese Erzählung den Europäern aufzuzwingen, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen. Denn für viele Iraner wirkt Netanyahu inzwischen wie ein Kind, dem zu oft keine Grenzen gesetzt wurden.
Ihre Hoffnung richtet sich nun auch auf die rund vier bis sechs Millionen Exil-Iraner weltweit. Wie ein Iraner an seinen Freund in Deutschland schreibt: »Ihr seid alle für Bildung ins Ausland gegangen, nutzt euren Verstand. Gründet einen Gruppenchat, vernetzt euch, überlegt euch etwas. Das hier ist ein Hilferuf – ihr seid unsere einzige Hoffnung.«
Vielleicht ist es das, was Shirin Neshats Aussage so verdeutlicht: Dass Gewalt gegen ein Volk nicht zu seiner Befreiung führen kann. Dass Menschenrechte nicht mit Raketen verteidigt werden. Und dass zwischen einem unterdrückenden Staat und einer zerstörerischen Intervention auch noch etwas anderes stehen müsste: eine globale Verantwortung, hinzusehen – und zuzuhören.