Wie der Ölpreis auch in diesem Krieg zwischen Israel und Iran das Handeln prägt – und wie sehr wirtschaftliche Faktoren die Nahost-Politik der USA und China bestimmen.
Israelische Luftangriffe richten sich gegen Militärstandorte tief auf iranischem Territorium, Teheran reagiert mit Raketenangriffen. Doch die wahre Kalkulation ist möglicherweise nicht militärischer, sondern finanzieller Natur. In dieser Konfrontation ist Öl nicht nur Kollateralschaden, sondern der Algorithmus, der die nächsten Schritte steuert. Am 16. Juni 2025 lagen die Preise bei rund 74 US-Dollar pro Fass, ein Zeichen dafür, dass die Märkte wachsam sind, sich aber noch nicht im Krisenmodus befinden. Obwohl die Preise stiegen, blieben sie unter der Schwelle, die typischerweise eine geopolitische Krise signalisiert. Die Erschütterung ist sichtbar, aber das Beben ist noch nicht ausgebrochen. Diese Marktzurückhaltung offenbart etwas Entscheidendes: Energiepolitik ist nicht länger der Hintergrund des Krieges; sie ist das Terrain, auf dem strategische Risiken nun gemessen werden. Und diese Stabilität ist kein Zufall. Sie war das Ergebnis jahrelanger gezielter Wirtschaftsplanung.
Während sich die Schlagzeilen auf Raketen und Atomanlagen konzentrieren, stellt sich eine strategischere Frage: Operiert Washington nach demselben Kalkül wie im Jahr 2018? Damals bewegten niedrige Ölpreise und die Versorgungssicherheit durch eigene Förderung und Reserven die Trump-Regierung dazu, Israel den Raum zur Eskalation zu überlassen. Trumps Rückzug aus dem Atomabkommen hatte damals nicht nur ideologische, sondern auch wirtschaftliche Gründe. Das Weiße Haus rechnete damit, dass globale Versorgungspuffer und die boomende Schieferölproduktion die Folgen abfedern würden. Die tiefer liegenden Umstände, die Israels derzeitigen Angriff ohne unmittelbare Marktpanik ermöglichten, spiegeln diese Logik wider. Doch dieser Schutzschild ist inzwischen brüchig geworden. Die strategischen Ölreserven der USA sind auf dem niedrigsten Stand seit 1985, die Schieferölproduktion stagniert und der Energieschutzschild, der einst die geopolitischen Risiken abfederte, ist zusehends dünner geworden.
Das ist das neue Schlachtfeld, nicht der Luftraum, sondern die Terminbörse
Iran muss sich nun der Realität stellen, dass eskalierende nukleare Drohungen nicht ohne wirtschaftliche Folgen aufrechterhalten werden können. Während der Präzisionsbeschuss den Zusammenbruch dieser Ambiguität bedeutet, könnte der Ölpreis von morgen darüber entscheiden, ob dieser Moment nur ein Vorspiel ist oder den Höhepunkt markiert. Die Straße von Hormus zwischen dem Persischen Golf und dem Golf von Oman bleibt der wichtigste Öl-Engpass der Welt. Über 20 Prozent des weltweiten Erdölhandels laufen durch diese Gewässer. Iran kann es sich nicht leisten, diese Passage zu blockieren. Aber wird Teheran sie dort ein solche Drohkulisse schaffen, dass die Märkte lahmgelegt werden?
Nicht die Schließung der Meerenge durch Iran, sondern die Glaubwürdigkeit dieser Drohung ist es, die die Märkte aus der Bahn wirft. Das ist das neue Schlachtfeld, nicht der Luftraum, sondern die Terminbörse. In diesem Krieg muss Öl nicht ewig billig bleiben. Es muss nur lange genug billig bleiben, um das politische Kosten-Nutzen-Verhältnis zu verschieben. Das von Trump geschaffene Umfeld – eine Welt, in der wirtschaftliche Abschottung geopolitische Aggression erkauft – prägt die heutigen Entscheidungen. Israels Angriff wurde nicht nur durch das Versagen der Abschreckung in Teheran ermöglicht, sondern auch durch das Vertrauen in die Widerstandsfähigkeit der Märkte. Der Krieg mag durch Feuerkraft eskalieren, aber er wird durch den Preis begrenzt oder entfesselt werden.
Wenn die Märkte das neue Schlachtfeld sind, dann bleibt die Geopolitik der Architekt ihres Terrains. Die anhaltenden Spannungen zwischen den Vereinigten Staaten und Iran prägen weiterhin die globalen Ölmärkte, vor allem durch die Risiken von Versorgungsunterbrechungen im Nahen Osten. Historische Präzedenzfälle, von beiden Golf-Kriegen bis zum arabischen Ölembargo von 1973, zeigen, dass bereits die Erwartung eines Konflikts ausreicht, um dramatische Preisschocks auszulösen. Heute ist die Dynamik nicht anders. Im Umfeld nach dem 7. Oktober haben die konfrontative Haltung Irans und der Zusammenbruch der diplomatischen Kanäle zwischen Washington und Teheran die Marktängste erneut verstärkt. Prognosen etwa der Weltbank legen nahe, dass die Erwartung eines Konflikts die Ölpreise auch ohne physische Beeinträchtigung von Förderung und Lieferkette deutlich in die Höhe treiben kann. Das unterstreicht, wie viel Gewicht die Märkte glaubwürdigen Bedrohungen in der heutigen Energie-Geopolitik beimessen.
Etwa 70 bis 80 Prozent der iranischen Ölexporte werden ebenfalls durch die Straße von Hormus transportiert
Irans strategische Lage am Persischen Golf sowie Teherans direkter und indirekter Einfluss auf wichtige Öltransitrouten wie die Straße von Hormus verleihen dem Land einen enormen Einfluss. Trotz extensiver Sanktionen exportiert Iran weiterhin erhebliche Mengen Öl – insbesondere nach China, oft über Umwege.
Obwohl Iran nicht zu den drei größten Lieferanten (Russland, Saudi-Arabien und der Irak) gehört, bleibt iranisches Öl ein strategischer Faktor für Chinas Energiesicherheit. Diese Beziehung spiegelt nicht nur Teherans wirtschaftliche Ausrichtung wider, sondern stellt auch eine Form geopolitischer Abschottung dar: Jede Störung der iranischen Ölexporte hätte direkte Auswirkungen auf China, ein Faktor, der Iran für seine strategische Abschreckungsstrategie nutzen könnte. Dieser Einfluss hat jedoch seinen Preis. Etwa 70 bis 80 Prozent der iranischen Ölexporte werden ebenfalls durch die Straße von Hormus transportiert, sodass jede ernsthafte Störung ein Schlag für die eigene Wirtschaft ist, insbesondere angesichts des anhaltenden Sanktionsdrucks. Im Falle eines größeren Konflikts stellt Irans Fähigkeit, den Seeverkehr oder die regionale Energieinfrastruktur zu stören, weiterhin eine der größten Bedrohungen für die globale Versorgungsstabilität dar.
Die Auswirkungen des iranischen Energieeinflusses prägen auch die Haltung seiner Nachbarn in der Region. Die arabischen Golfstaaten, insbesondere Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate, aber auch Katar, befinden sich in einer heiklen Lage. Einerseits pflegen sie seit der von China vermittelten Normalisierung im Jahr 2023 eine fragile Aussöhnung mit Iran. Andererseits bleiben sie strategische Verbündete der USA.
Diese Staaten mit den weltweit niedrigsten Produktionskosten sind für die Preisstabilität auf den Ölmärkten von entscheidender Bedeutung. Ihre Weigerung, den USA die Nutzung ihrer Territorien für Militärschläge gegen Iran zu gestatten, verdeutlicht jedoch einen Wandel. Die Golfmonarchien bevorzugen zunehmend Stabilität statt Konfrontation. Ihr Handeln signalisiert die Erkenntnis, dass ein offener Konflikt nicht nur die Ölpreise in die Höhe treiben, sondern auch ihre eigene innere und wirtschaftliche Sicherheit gefährden würde.
Letztlich offenbart das Zusammenspiel von geopolitischen Risiken, der Ölkrise und der Instabilität im Nahen Osten ein Paradoxon
Die jüngste Preisentwicklung spiegelt diese Vorsicht wider. Nach dem israelischen Angriff fielen die Aktienmärkte in der Golfregion um bis zu fünf Prozent, während der Ölpreis kurzzeitig um über sechs Prozent stieg, bevor er wieder fiel. Marktanalysten stellten fest, dass Preise von fast 80 Dollar pro Fass die Zentralbanken weltweit in Alarmbereitschaft versetzen würden. Die Öl-Produzenten vom Golf sind sich dieser Schwelle bewusst. Sie verfügen über die Kapazität, die Produktion zu steigern und die Märkte zu beruhigen, aber ihre Bereitschaft dazu hängt davon ab, die Region berechenbar zu halten. Ihre Priorität bleibt wirtschaftliche Verlässlichkeit, nicht Machtdemonstration.
Aus wirtschaftlicher Sicht bleiben die Vereinigten Staaten trotz ihrer Position als weltgrößter Ölproduzent überraschend anfällig für Ölpreisschocks. Die Schieferölrevolution, einst als Amerikas Energieschutzschild gefeiert, ist ins Schleppen geraten. Die Produktionskosten sind gestiegen, die ertragreichsten Bohrstellen erschöpfen sich und die Zurückhaltung seitens der Investoren hat die Anpassungsfähigkeit des Sektors geschmälert. Die strukturellen Schwächen schränken Amerikas Fähigkeit ein, schnell auf geopolitische Ölschocks zu reagieren, insbesondere sollte ein Konflikt zwischen den USA und Iran ausbrechen und rasche Marktverwerfungen verursachen.
Im Gegensatz dazu scheint China, obwohl es der weltweit größte Ölimporteur ist, besser vor solchen Schocks geschützt zu sein. Staatliche Preiskontrollen, ein kohledominierter Energiemix und eine ausgeprägte Zentralisierung durch staatliche Planung tragen dazu bei, chinesische Haushalte und Industrie vor globalen Preisschwankungen zu schützen. Da zudem ein erheblicher Teil des Öls in China im Gegensatz zu den USA für die Industrie und nicht für den privaten Verbrauch verwendet wird, sind die innenpolitischen und wirtschaftlichen Folgen von Preisschwankungen abgeschwächt. Kurz gesagt: China hat einen systemischen Stoßdämpfer aufgebaut, während die USA in einem deutlich marktabhängigeren und unbeständigem Rahmen agieren. Chinas Wirtschaftsmodell federt den Schock ab, doch die geopolitische Risikokalkulation bleibt bestehen. Eine Unterbrechung der iranischen Öllieferungen würde Beijings strategische Planungen beeinträchtigen.
Letztlich offenbart das Zusammenspiel von geopolitischen Risiken, der Ölkrise und der Instabilität im Nahen Osten ein Paradoxon. China ist zwar stark auf Ölimporte angewiesen, seine interne Struktur schützt es jedoch vor externen Schocks. Die Vereinigten Staaten sind trotz ihres Ölreichtums weiterhin stark den globalen Preisschwankungen ausgesetzt. Ein Konflikt mit Iran würde nicht nur die Ölmärkte destabilisieren, sondern auch die anhaltende zentrale Stellung der Region in der globalen Geopolitik stärken. Da die Ölpreise als Indikator für wahrgenommene Stabilität dienen, bleibt der Nahe Osten eine geopolitische Bruchlinie, und der Einfluss Irans innerhalb des Nahen Ostens prägt weiterhin das strategische Verhalten sowohl globaler Mächte als auch regionaler Akteure.
Mina Shahmiri ist Doktorandin an der Corvinus-Universität Budapest. Sie forscht zu Cyberkonflikten und strategischen Dynamiken im Nahen Osten.