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Aserbaidschanischer Präsidentschaftskandidat und Regisseur Rüstem Ibrahimbeyov

Mit der U-Bahn in den aserbaidschanischen Wahlkampf

Interview

Der aserbaidschanische Präsidentschaftskandidat und Regisseur Rüstem Ibrahimbeyov arbeitet am größten Drehbuch seines Lebens – und verrät, warum er den Humor seines Kontrahenten Ilham Aliyev zu schätzen weiß.

zenith: Sie haben die doppelte Staatsbürgerschaft, lange Zeit in Russland gelebt und sind erfolgreicher Drehbuchautor und Oscar-Preisträger. Warum kandidieren Sie für das Präsidentenamt und riskieren inhaftiert zu werden, sobald Sie nach Aserbaidschan zurückkehren?

Rüstem Ibrahimbeyov: Es war nicht meine Wahl. Wir haben im Mai dieses Jahres einen »Nationalen Rat« gegründet. Meine Kandidatur ist das Ergebnis eines Beschlusses dieses Gremiums. Ich fühle mich verpflichtet, diese Entscheidung anzunehmen. Die Gefahr besteht, dass ich verhaftet werde, aber ich habe keine Angst davor. In zwei Wochen kehre ich definitiv nach Baku zurück – und ich werde mich nicht vom meinen Zielen abbringen lassen.

 

Warum fühlen Sie sich dazu verpflichtet? Sie sind doch Kulturschaffender und kein Politiker.

Genau. Ich bin Schriftsteller. Aber gleichzeitig bin ich aserbaidschanischer Staatsbürger. Die heutige Lage in Aserbaidschan verbietet es mir zu schweigen.

 

War Ihre Kandidatur dann eine spontane Entscheidung?

Ich habe mich nicht prompt dafür entschieden. In meinen Arbeiten setze ich mich seit langem intensiv mit dem aserbaidschanischen Volk, seinem Schicksal und seiner Geschichte auseinander. Unsere Opposition war sehr zersplittert und unfähig zur Zusammenarbeit. Sie hat seit mehr als zwanzig Jahren kein einheitliches Programm auf die Beine stellen können. Ich betrat die politische Bühne also mit dem Plan, die Opposition wieder zueinander zu führen. Im Ergebnis wurde dann der »Nationale Rat« gebildet. Das Gremium umfasst 129 Personen aus Opposition, Menschenrechtsorganisationen und angesehenen Bürgern. Aber ich hätte nie gedacht, dass ich als dessen Vorsitzender gewählt werde.


Rüstem Ibrahimbeyov

wurde 1939 in Baku geboren. Der Drehbuchautor, Produzent und Regisseur gewann 1995 für sein Drehbuch »Burnt by the sun« einen Oscar für den besten fremdsprachigen Film. 2009 gründete er das »Intelligentsia Forum« mit. Im Oktober 2013 tritt er als Kandidat der Opposition gegen Ilham Aliyev zu den Präsidentschaftswahlen an.


 
Warum?

Eigentlich habe ich mich nie politisch engagiert. Ich hatte stets nur eine Forderung: Man muss mir die Möglichkeit geben, die Dinge beim Namen zu nennen. Aus diesem Grund wurde Druck auf mich ausgeübt und der Druck nimmt weiter zu. Ich habe nie einer Partei angehört – auch nicht während der Sowjetzeit. Für mich ist wichtig, dass ich frei bin. Das ist der Grund, warum ich die Opposition zusammenbringen konnte: Ich bin unabhängig.

 

Ist die »Islamische Partei Aserbaidschan« auch im »Nationalen Rat« vertreten?

Ja, sie hat einen Vertreter entsandt und sie hat die Ziele des »Nationalen Rates« angenommen. Die Mehrheit der Aserbaidschaner sind Muslime. Aber der Rat umfasst auch Vertreter der anderen Religionsgemeinschaften – wir tolerieren alle religiösen Richtungen und Meinungen. Aber wir müssen dafür sorgen, dass die Radikalen nicht die Oberhand gewinnen. Wir stellen uns klar gegen den islamischen Fundamentalismus.

 

Wie sieht Ihr politischer Fahrplan aus?

Die Amtszeit des Präsidenten ist auf zwei Jahre beschränkt. In dieser Zeit würde er dafür sorgen, dass freie und faire Wahlen und eine Volksabstimmung über eine Verfassungsänderung abgehalten werden. Diese soll die Befugnisse des Staatspräsidenten einschränken und dem Parlament mehr Gewicht geben. Nach zwei Jahren sollen dann neue Präsidentschaftswahlen stattfinden. Bis zu den Parlamentswahlen würde das Land vom »Nationalen Rat« geführt. Wir sehen Aserbaidschan als Teil der europäischen Völkerfamilie. Sollten wir gewinnen, wird es keine religiöse sondern eine säkulare Regierung geben.

 

Ilham Aliyev hat die Präsidentschaftswahlen 2003 mit 77 Prozent, 2008 dann mit 89 Prozent gewonnen. Die meisten Oppositionsparteien boykottierten die Wahlen. Im Oktober wird die Opposition mit Ihnen als Kandidat an der Spitze antreten. Warum sollten die Chancen jetzt besser stehen als vor zehn und vor fünf Jahren?

Seit 2008 verschlechtert sich die Lage in Aserbaidschan rapide: Menschenrechte werden massiv verletzt, die Korruption hat schreckliche Ausmaße angenommen. Seit 1993 gab es in Aserbaidschan keine freien und fairen Wahlen. Die Richter werden vom Präsidenten ernannt und geführt. Millionen Bürger waren gezwungen, ihre Heimat zu verlassen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen.

 

Das muss die öffentliche Meinung über Aliyev doch negativ beeinflusst haben.

Es gibt keine öffentliche Meinung in Aserbaidschan. Ohne öffentliche Meinung gibt es keine Zivilgesellschaft. Ich habe in aserbaidschanischen Medien mehrmals in scharfer Form meine Meinung dazu geäußert. Unter anderem habe ich das »Intelligentsia Forum« gegründet. Wir sind eine Initiative von Intellektuellen und Künstlern, die Fragen der gesellschaftlichen Entwicklung diskutiert und einen Anstoß geben wollte. Seit diesen Auftritten hält die Regierung mich für einen Feind. Sie versucht Druck auf mich auszuüben.

 

»Die Regierung muss sich eingestehen, dass das Volk diesen Kurs nicht mehr klaglos mitträgt«

 

Welche Gestalt nahm dieser Druck gegen Sie an?

Die Regierung wollte die Gewerkschaft der aserbaidschanischen Filmmacher auflösen. Vierzehn Jahre lang haben wir in unserem Land Filmfestivals organisiert, ich bin seit dreißig Jahren Vorsitzender. Unsere Gewerkschaft wollte ein großes Festivalzentrum bauen. Stattdessen wurden wir aus unseren Räumlichkeiten buchstäblich rausgeworfen, uns wurde der Mietvertrag gekündigt. Die Gewerkschaft arbeitet nun von meinem Privathaus in Baku aus.

 

Angeblich sollen aserbaidschane Oligarchen in Russland Ihren Wahlkampf sponsern. Sie sind gerade mit der U-Bahn zu unserem Termin gekommen. Wer finanziert denn nun Ihren Wahlkampf?

Das fragt mich meine Familie auch täglich. Noch greifen wir auf unsere eigenen finanziellen Reserven zurück. Ich glaube aber, die Bewegung die wir gerade angestoßen haben, wird wachsen und weitere Unterstützung bekommen.

 

Was ist Ihr Ziel?

Unabhängig davon, ob ich gewinnen werde oder nicht: Die Situation in Aserbaidschan wird sich ändern. Seit Jahren konnte die Regierung machen, was sie wollte. Jetzt musste sie sich eingestehen, dass das Volk diesen Kurs nicht mehr klaglos mitträgt. Wenn das so weitergeht, wird sich das Volk erheben und das wird im Chaos münden. Und die Ergebnisse solcher chaotischen Verhältnisse sind immer negativ. Wir wollen den Prozess regulieren. Die Regierung muss dazu bewegt werden, die Meinung des Volkes zu respektieren. Das ist unser wichtigstes Ziel.

 

»In seinen letzten Lebensjahren hatte ich eine gute Beziehung zu Heydar Aliyev. Aber wir haben dafür 25 Jahre gebraucht«

 

Wie schätzen Sie Ihre Chancen auf einen Sieg bei den Wahlen ein?

Unser Gegenkandidat ist sehr stark. Ihm stehen weit mehr finanzielle Mittel zur Verfügung als uns. Er hat Erfahrung, die ganze staatliche Verwaltung arbeitet für ihn und hat ein großes Lobby-Netzwerk im Westen aufgebaut, insbesondere im Europarat und bei der Europäischen Union.

 

Das klingt nicht gerade aussichtsreich. Welche Faktoren sprechen denn im Wahlkampf für Sie?

Während meiner Tätigkeit als Autor habe ich mehr als 50 Drehbücher geschrieben und konnte entscheiden, was passiert. Aber dieses Mal wird das Drehbuch nicht von mir geschrieben, sondern von unserem Volk. Wenn ich meine Meinung dazu äußere, dann vor dem Hintergrund, dass ich an mein Volk glaube. Ich weiß, in welchem Zustand mein Volk ist. Und ich glaube, wir müssen diesen Zustand beenden.

 

Wie ist Ihr Verhältnis zum Aliyev-Clan?

Heydar Aliyev, der Vater des heutigen Präsidenten, hat einmal an meinem Geburtstag einen Vortrag gehalten. Damals sagte er über mich: »Rüstem hat sein Leben im Kampf geführt und er war immer der Gewinner«. In seinen letzten Lebensjahren hatte ich eine gute Beziehung zu Heydar Aliyev. Aber wir haben dafür 25 Jahre gebraucht.

 

Und zu dem gegenwärtigen Präsidenten Ilham Aliyev?

Als Aliyev 2003 Präsident wurde, hatte ich ein positives Verhältnis zu ihm. Er nahm mehrmals an unserem Filmfestival »Ost-West« teil und unterstützte uns. Als Person ist mein Verhältnis zu ihm nicht schlecht. Wir saßen ein paar Mal zum Essen zusammen. Er ist ein wohlerzogener Mensch und hat einen guten Humor...

 

... aber?

Ab 2007/2008 teilten sich sechs Personen die Regierung untereinander auf. Ihre eigentliche Arbeit besteht darin, Geld zu sammeln. Milliarden von Geldern werden einfach gestohlen. Ich habe keine Achtung vor dem Präsidenten Aliyev. Er führt die Regierung nicht im Interesse des Volkes, sondern nur in seinem eigenen. Das akzeptiere ich nicht. Ich denke nicht, dass jede neue Regierung die alte ins Gefängnis werfen sollte. Ich möchte nicht, dass ihm etwas Schlimmes widerfährt. Aber Regierungen sollten sich friedlich durch Wahlen abwechseln.

Von: 
Mai-Britt Wulf

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