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Bewerber um die ägyptische Präsidentschaft

Moussas Wagenkolonne und Mursis Maskottchen

Feature

Kurz vor dem Urnengang am 24. Mai warfen sich die Bewerber um die ägyptische Präsidentschaft noch mal ins Zeug. Kristin Jankowski hat die Stimmung bei den Abschlussveranstaltungen im Wahlkampfendspurt eingefangen.

»Ich werde nicht zur Wahl gehen. Der neue Präsident wird sowieso jemand sein, der zum alten Regime gehört«, sagte Ahmed Abd Rabo, während er an der Straßenecke stand. Es war Abend in Kairo, tagsüber war die Luft heiß und stickig gewesen, später wehte ein leichter frischer Wind. Ahmed Abd Rabo ist ein junger Oppositioneller, der bereits unter dem ehemaligen Präsidenten Hosni Mubarak für Freiheit und Gerechtigkeit auf die Straße gegangen ist.

 

In wenigen Tagen sollte ein neuer Präsident für das Land am Nil gewählt werden. Doch sonderlich euphorisch schien die Stimmung in Ägypten nicht zu sein. Da konnten auch die zahlreichen Wahlplakate nicht viel Optimismus in die Gesichter der Menschen zaubern. Von fast überall waren sie zu sehen. Von der Autobahnbrücke schauten die alten Herren, die sich zum Wahlkampf aufstellten und nun auf gigantischen Postern abgebildet waren, auf die »Siegreiche« – wie Kairo übersetzt heißt.

 

Offenbar hatten viele junge Menschen, die noch vor Monaten sturköpfig auf dem Tahrir-Platz demonstrierten, den Kampf fast aufgegeben. Die Stimmung ist gedrückt, viele sind depressiv und wehmütig. Es war ein langer und blutiger Weg, bis zu den ersten Präsidentschaftswahlen nach der Revolution in Ägypten am 23. und 24. Mai 2012. Es war vor allem ein Weg, bei dem es um Ausdauer und politisches Schachspiel ging. Die jungen Revolutionäre scheinen müde zu sein. Erschöpft von den Todesnachrichten ihrer Freunde, hoffnungslos von den zermürbten Hoffnungen.

 

Khaled Ali, der Jüngste unter den Kandidaten, wird noch nicht als ernstzunehmender Politiker wahrgenommen

 

»Nach der Revolution ist doch alles nur noch viel schlimmer geworden«, sagte Hema Ahmed, ein junger Ägypter. Ein Freund von ihm wurde auf dem Tahrir-Platz erschossen, ein anderer im Ägyptischen Museum von Soldaten gefoltert. »Das Land ist wie unter Schock, hier geht alles bergab«, meinte der 27-Jährige. Dennoch ist er am zweiten Wahltag an die Urne gegangen und hat seine Stimme für den nasseristischen Kandidaten Hamdeen Sabbahi abgegeben.

 

An den Tagen vor der Wahl versuchten die 13 Kandidaten, die letzten Stimmen der Unentschlossenen einzufangen. Fünf Männern wurde zugetraut, der neue Präsident Ägyptens zu werden.

 

Amr Moussa, der ehemalige Außenminister unter Hosni Mubarak, Ahmed Schafik, ehemaliger Premierminister in den letzten Tagen von Mubarak und Luftwaffengeneral, Muhammad Mursi, ein Ingenieur, der für die konservative Freiheits- und Gerechtigkeitspartei ins Rennen ging, sowie Abdel Moneim Abou El Fotouh, ein Arzt, der vor Kurzem aus der Muslimbrüderschaft austrat, um sich als unabhängiger Kandidat aufstellen zu lassen – und Hamdeen Sabbahi, ein Journalist und langjähriges Mitglied der Opposition, der die nasseristische Tagammu-Partei gegründet hat.

 

Khaled Ali, der Jüngste unter den Kandidaten, ein Rechtsanwalt und Aktivist, wird noch nicht als ernstzunehmender Politiker wahrgenommen, hat es aber in sehr kurzer Zeit auf die politische Bühne geschafft. Er erhielt Rückendeckung von den jungen Revolutionären. Kurz vor dem Wahltermin rauschten die Kandidaten durch das Land, es wurden Veranstaltungen organisiert, Pressekonferenzen einberaumt.

 

Mit einer ganz besonderen Prise Professionalität hat sich in diesem Wahlkampf Amr Moussa gezeigt. Von einer Pressekonferenz in dem Garten einer Villa in Kairo wurden die Journalisten und Fotografen, die sich zuvor noch mit den Ellenbogen wegschubsten um das letzte Foto, das letzte Zitat von Moussa zu erhaschen, in einen großen Reisebus geladen.

 

Im schwarzen KIA durch das Bad der Menge

 

Damit sollte es in eine kleinere Stadt in der Nähe von Kairo gehen. Eine Wagenkolonne aus Mitarbeitern von Moussa, Journalisten und Neugierigen hatte sich nach nur wenigen Minuten gebildet. Doch die meisten Journalisten saßen in dem Bus fest, der als fahrendes Wahlplakat diente. Amr Moussa fuhr in einem schwarzen KIA, die Hinterscheiben waren verdunkelt. Er telefonierte oder schaute nach draußen.

 

Es war ein langer Weg. Und Rushhour. Es war ein gelungenes Bad in der Menge. In der Stadt angekommen, rannten die Bewohner der Wagenkolonne hinterher. Sie erhielten Wahlplakate, sie durften sogar ganz nah an Amr Moussa ran, wenn er im Stau feststeckte. Nur wer nicht in dem Bus saß, konnte das Geschehen fotografieren. Kinder in Sandalen liefen über die staubige Straße, Motorräder heizten Moussa hinterher. Passanten lächelten und winkten Amr Moussa zu.

 

Andere schimpften und bezeichneten ihn als ein Mitglied des alten Regimes. Moussa hatte es geschafft, für Stunden die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Das lustige Treiben auf der Straße blieb den Journalisten, die in dem Werbebus saßen, verwehrt. Etwas staubiger ging es bei Muhammad Mursi zu, dem Kandidaten der Freiheits- und Gerechtigkeitspartei. Es war ein umständlicher Weg zu seiner Wahlveranstaltung. Die Straßen waren eng und sandig, oft versperrten sich Autos gegenseitig den Weg.

 

Es war bereits dunkel, als sich zahlreiche Interessierte auf einem leeren und verstaubtem Platz trafen. Straßenhunde zogen umher oder schliefen auf Autos. Am Eingang wurden Wahlplakate verteilt, kleine Anhänger, Fahnen. Stühle waren in langen Reihen aufgestellt – Männer und Frauen getrennt. Die Journalisten teilten sich Tische, auf denen sie ihre Kameras aufstellten. Vor einem großen Podium sprachen Mitglieder der Muslimbruderschaft. Kinder standen in der ersten Reihe: wenige Mädchen in hübschen Kleidern, zahlreiche Jungs in Sandalen, Hochwasserhosen und bunten T-Shirts. Sie riefen Slogans und hielten Wahlplakate hoch.

 

Sie lächelten, traten nervös auf der Stelle – Maskottchen für Muhammad Mursi. Die Fotografen hatten ihre Beute gefunden und schoben die Kids in verschiedene Richtungen, um das perfekte Bild zu schießen. Zahlreiche Lampen hingen an Kabeln, die die Veranstaltung abgrenzten. In dem grellen Licht war die Armut der Anwesenden zu sehen. Die Revolution in Ägypten war niemals eine Revolution der so genannten hippen Facebook-Generation, die den Protest organisiert, während sie einen Milchkaffee trinkt.

 

Es war ein Aufstand der Armen, der Hungrigen, die für eine bessere Zukunft kämpfen, dafür, dass sie endlich wieder träumen können. Sie wollen auch ein Stück von dem großen Kuchen abhaben. Und sie wollen auch am Spiel der Macht beteiligt werden.

 

Abou El Fotouh konnte die Herzen vieler Ägypter gewinnen – auch unter den Revolutionären

 

Visionär wirkte Khaled Ali, als er auf dem Podium saß. Der junge Anwalt, der sich unter anderem für die Rechte der Arbeiter einsetzt. Lächelnd und schweigend schaute er auf die Fotografen, er schien das Blitzlichtgewitter zu genießen. Er hatte ein Glitzern in den Augen, fast so, als hätte er erkannt, an welch wichtiger Station er sich derzeit in seinem Leben befindet. Seine Wahlveranstaltung war klein, rund 100 Interessierte hatten den Weg zu ihm gefunden.

 

Die Kinder spielten, rutschten auf ihren Stühlen hin und her und riefen die politischen Slogans genauso wie ihre Eltern. Ali geht es um Brot, Freiheit und soziale Gerechtigkeit. Darum geht es auch bei Abdel Moneim Abou El Fotouh, einem gemäßigten Islamisten, der die Herzen vieler Ägypter gewinnen konnte. Auch unter den Revolutionären. Er lud noch vor Kurzem zu einer Veranstaltung ein, in der es um die Rechte der Frauen ging. Junge Mädchen trugen orangene Kopftücher – die Farbe von Abou El Fotuoh.

 

Orange Luftballons wurden von den Kindern in den Händen gehalten. »Die Leute wollen Abou El Fotouh als Präsident« wurde von der Tribüne gerufen, als die Türen aufgingen und der großgewachsene Kandidat durch den Flur ging. Abou El Fotouh hat graues Haar, trägt eine Brille. Die Fotografen stürzten sich auf ihn, stellten sich auf die Stuhllehnen, um besser sehen zu können. Mit einer eleganten Ruhe ging Abou El Fotouh auf die Bühne und setzte sich auf einen Stuhl.

 

Er wirkte gelassen, fast so, als wäre er seinem Ziel zum Greifen nah. Aber auch fast so, als ob er gewusst hat, dass er den Sprung in die Stichwahl nicht schaffen wird. Am frühen Mittag des ersten Wahltages standen die Ägypter vor den Schulen, die als Stationen dienen. Es war heiß, die Luft roch nach Abgasen und Wasserpfeife. Vor den Eingängen warteten Soldaten mit Gewehren auf den Feierabend. Journalisten mit Akkreditierung durften zu den Wahlkabinen.

 

Der anwesende Richter schüttelte neugierig und freundlich die Hände der internationalen Reporter. »Hier ist alles gut organisiert. Die Leute freuen sich, denn nun geht es bei uns auch so zu, wie in jedem fortgeschrittenen Land«, sagte er begeistert. Die Wähler schauten wissbegierig zu den Journalisten, Kinder lachten ihnen zu. Stolz wurde der pinke Tintenklecks auf den Fingern gezeigt – ein Beweis dafür, dass die Stimme abgegeben wurde. In den Treppenhäusern standen die Männer in einer Reihe. Frauen wählen woanders. Viele hatten entspannte Gesichtsausdrücke, es herrschte eine angenehme Ruhe.

 

Als die Wahlergebnisse verkündet wurden, war die Schockwelle zu spüren, die durch das Land ging

 

Lauter geht es in dem so genannten »Kontroll-Raum« der oppositionellen Bewegung 6. April zu. Im siebten Stock in einer Wohnung klingelten Mobiltelefone, Laptops waren aufgeklappt. An zwei langen Tischen saßen jeweils rund zwanzig Aktivisten, die Kontakt zu den Wahlbeobachtern hielten. Es roch nach Zigarettenrauch. Die jungen Ägypter schoben sich Zettel zu, tauschten Informationen aus. »Alle zwei Stunden erstellen wir einen Bericht, den wir an die Pinnwand hängen.

 

Wir schicken unsere Informationen an die Presse raus. Und auch an Nicht-Regierungsorganisationen«, erklärte Ramy el Swissy, ein Mitbegründer der Bewegung, die nach dem ersten Generalstreik im Jahr 2008 entstanden ist. »Wir haben bereits von Wahlbetrug von der Freiheits- und Gerechtigkeitspartei erfahren. 100 Pfund werden ausgezahlt, wenn Muhammad Mursi gewählt wird«, erzählte der 25-Jährige und musste grinsen. »Es hätte mich sehr gewundert, wenn es nicht zu Betrügereien gekommen wäre. Die Resultate der Revolution werden wir sowieso frühstens erst in der nächsten Generation sehen.«

 

Laut der ägyptischen Zeitung Al-Masry al-Youm berichtet das Netzwerk »Beobachter ohne Grenzen« nur wenige Stunden später von verschiedenen Fällen von Wahlbetrug. Hauptsächlich geht es um Werbung vor den Stationen und Beeinflussung der Wähler. Ganz besonders von den Kandidaten Abdel Moneim Abou El Fotouh und Muhammad Mursi. Zudem beklagt das Netzwerk auch die niedrige Wahlbeteiligung.

 

Des Weiteren habe es Ausschreitungen zwischen den Unterstützern von Amr Moussa, Hamdeen Sabbahi, Abou El Fotouh und Muhammad Mursi gegeben. »Ich denke, dass ein Islamist im Endspiel stehen wird«, sagte der junge Politikwissenschaftler Ahmed Khalifa am Wahlabend. »Hier ist die Politik sehr personifiziert, das Volk sehnt sich derzeit nach einem starken Führer. Sicherheit ist ihm wichtig. Die Sicherheit, sich frei auf der Straße bewegen zu können und die Sicherheit, genug zu essen zu haben«, so der 34-Jährige.

 

»Ich bin froh, dass es zu den Wahlen gekommen ist. Nach den eineinhalb Jahren, in denen um Macht gezerrt wurde, bin ich müde geworden. Ich bin mit dem derzeitigen Ergebnis nicht zufrieden, aber das ist der Preis, der in der Demokratie gezahlt wird. Jetzt wird es allerdings erst richtig spannend. Es geht um den Aufbau, die neue Verfassung und darum, eine starke Opposition zu bilden. Die Revolution geht weiter«, sagte er verschmitzt.

 

Als am nächsten Morgen die Wahlergebnisse verkündet wurden, war die Schockwelle zu spüren, die durch das Land ging. Mit dem Resultat hatten viele nicht gerechnet. Am 16. und 17. Juni 2012 werden Mohammed Mursi und Ahmed Shafik gegeneinander antreten. Ein Islamist gegen einen alten Schergen Hosni Mubaraks. Das hatten sich die jungen Revolutionäre anders vorgestellt.

Von: 
Kristin Jankowski

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