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Entscheid zu EU-Förderungen in Israel und Palästina

Ein bürokratischer Akt als politisches Erdbeben

Analyse

Der Entscheid zu EU-Förderungen sorgt in Ramallah für Zustimmung und in Tel Aviv für Unverständnis. Jörg Knocha erklärt, welche Projekte finanziell weiter unterstützt werden – und warum Brüssels Schritt konsequent ist.

Am 10. Dezember 2012 traten die Außenminister der Europäischen Union zu einem ihrer regulären Treffen zusammen. Es ging dabei unter anderem um die Zusammenarbeit mit der Ukraine, die Lage in der Demokratischen Republik Kongo und einen als Satellitenstart getarnten angekündigten Raketentest Nordkoreas. Ein Routinetreffen für die Minister. Wäre da nicht Punkt 4 zum Nahost-Friedensprozess.

 

Darin bekräftigt die EU ihre Verpflichtung, dass alle Abkommen mit Israel eindeutig und explizit auf die Nichtanwendbarkeit in den von Israel 1967 besetzten Gebieten hinweisen. Dies gelte für die Golanhöhen, das Westjordanland inklusive Ostjerusalem und den Gazastreifen. Die dazugehörige, öffentlich zugängliche Pressemitteilung hätte ein Weckruf für Israel sein müssen. Die dortigen Anmerkungen zum Nahost-Konflikt sind zwar lediglich die Konsequenz einer Politik, die die EU mit Verweis auf das Völkerrecht seit Jahren betreibt, doch wurden selten derart präzis praktische Schritte angekündigt.

 

Bereits im Oktober 2012 begann der Europäische Auswärtige Dienst der EU mit der Arbeit an einem Entwurf für neue Förderrichtlinien, die den Beschlüssen der EU zum Nahost-Friedensprozess entsprechen. Laut der israelischen Tageszeitung Haaretz wurden israelische Stellen darüber entsprechend informiert. Aber weder die israelische Botschaft in Brüssel noch das Außenministerium erkannten anscheinend die praktischen Implikationen der Richtlinien.

 

Ein Grund dafür liegt im Verfahren gegen den früheren Außenminister Avigdor Lieberman. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hatte diesem versprochen, dass er in sein altes Amt zurückkehren dürfte, sobald die gegen ihn erhobenen Vorwürfe entkräftet seien. Seitdem findet eine Art Arbeitsteilung zwischen dem amtierenden Außenminister Netanjahu und seinem Stellvertreter Zeev Elkin statt. Aber auch andere Regierungsmitglieder übernehmen außenpolitische Aufgaben. Bereits vor Monaten warnte die Haaretz, dass die Arbeit des Ministeriums darunter leiden werde.

 

Was in den Richtlinien steht

 

In einem bürokratischen Akt wurden von der EU-Kommission am 28. Juni neue Förderrichtlinien zum besagten Punkt 4 des Außenministertreffens genehmigt. Diese gelten für den Finanzplan der Jahre 2014 bis 2020. Auf vier Seiten geht es darum, unter welchen Bedingungen israelische Einrichtungen Preisgelder, Stipendien und finanzielle Förderung erhalten dürfen. Nur Entitäten, die in Israel registriert sind und ihren Sitz dort haben, sind anspruchsberechtigt.

 

Einrichtungen, die lediglich ihre Postadresse in Israel haben, werden explizit als nichtanspruchsberechtigt klassifiziert. Die Regularien gelten für regionale und lokale Behörden, öffentliche und private Unternehmen und Korporationen sowie andere Rechtssubjekte, wie Nichtregierungs- und gemeinnützige Organisationen. Jeder Antrag auf EU-Finanzunterstützung muss außerdem eine Deklaration enthalten, die besagt, dass die geplanten Aktivitäten im vollen Umfang im von der EU definierten Staatsgebiet Israels stattfinden.

 

Damit muss implizit bestätigt werden, dass die Palästinensergebiete sowie der Golan nicht Teil Israels sind. Falls Einrichtungen, die sich erfolgreich um EU-Gelder beworben haben, ungenaue oder falsche Angaben im Antrag gemacht haben, »kann« dies zur Bestrafung des Antragstellers führen. Dazu können Geldbußen gehören, die einige Prozent des Vertragsvolumens ausmachen. Substantielle Vertragsverstöße können zu einem mehrjährigen Ausschluss von den Finanzförderprogrammen der EU führen.

 

Ausgenommen von diesen Regelungen sind öffentliche Einrichtungen auf nationaler Ebene wie Ministerien und Regierungsbehörden. Deren Anträge müssen jedoch eine Deklaration enthalten, in der eine Adresse in Israel zu Zwecken der Kommunikation angegeben ist. Auch Einzelpersonen sind von diesen Regelungen befreit, da man in der EU davon ausgeht, dass es nicht praktikabel sei, eine große Zahl von Individuen auf ihre Anspruchsberechtigung hin zu überprüfen. Weiterhin gelten die Richtlinien nicht für palästinensische Entitäten.

 

Auch israelische Einrichtungen, die sich dem Schutz von Personen unter den Bedingungen des Völkerrechts beziehungsweise dem von der EU betriebenen Nahost-Friedensprozess verschrieben haben, können Gelder erhalten. Dadurch soll sichergestellt werden, dass israelische Menschenrechtsorganisationen oder Projekte im Bereich des israelisch-palästinensischen Dialogs weiterhin von der EU finanziert werden können.

 

Anders sieht es im Fall von Ostjerusalem und der Golanhöhen aus

 

Zwar gelten diese Förderrichtlinien nur für Abkommen zwischen der EU und Israel, doch ist damit zu rechnen, dass zumindest einige der 28 EU-Mitgliedsstaaten sich auch bei bilateralen Abkommen mit Israel an diese halten werden. Abschließend wird das Bestreben der EU erwähnt, den Inhalt der Richtlinien auch auf internationale Abkommen und Absichtserklärungen mit Israel und anderen Parteien anzuwenden. In Israel wird der finanzielle Umfang der unter die Regelung fallenden EU-Zuwendungen auf mehrere hundert Millionen Euro geschätzt.

 

Besonders betroffen werden Kooperationen in den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung, Kultur und Sport sein. Im August 2013 sollen darüber hinaus Verhandlungen zwischen der EU und Israel zum Programm »Horizon 2020« beginnen. Der Umfang dieses Investitionsprogramms im Bereich Forschung und Entwicklung könnte ebenfalls hunderte Millionen Euro betragen. In der EU geht man davon aus, dass die neuen Richtlinien bereits für dieses Abkommen greifen könnten.

 

Noch schwerer wiegt aber, dass die EU Israels größter Handelspartner ist. 2011 betrug das Handelsvolumen etwa 30 Milliarden Euro. Eine Verschlechterung in den Beziehungen mit Brüssel kann sich Israel ökonomisch nicht leisten. Gleichzeitig ist bisher völlig unklar, wie Israel mit den neuen Richtlinien umgehen wird. Dabei geht es vor allem um die so genannte Territorialklausel. Eine Erklärung darüber, dass das Westjordanland nicht zu Israel gehört, ist für viele rechtsgerichtete Regierungspolitiker zwar unvorstellbar, doch würde sie sich mit israelischem Recht decken.

 

Die Umsetzung der Territorialklausel steht im Widerspruch zum israelischen Grundgesetz

 

Anders sieht es im Fall von Ostjerusalem und der Golanhöhen aus. Im Gegensatz zum besetzten Westjordanland wurden diese Gebiete formal annektiert und sind laut israelischem Recht Teil des Staatsgebiets. So heißt es im 1980 von der Knesset verabschiedeten Jerusalem-Gesetz des Grundgesetzes: »Jerusalem, komplett und vereint, ist die Hauptstadt Israels.« Die Umsetzung der Territorialklausel würde also im Widerspruch zum israelischen Grundgesetz stehen.

 

Auch wenn man von den ersten Reaktionen nicht auf den endgültigen Umgang der israelischen Regierung mit den neuen Förderrichtlinien schließen sollte, so sind diese doch recht deutlich. Ministerpräsident Netanjahu erklärte, dass sich Israel keine Vorschriften machen lassen werde, was seine Grenzen angeht. Noch expliziter wurde Wirtschaftsminister Naftali Bennett, der von einem »wirtschaftlichen Anschlag« sprach.

 

Zu seinen Vorschlägen, wie Israel damit umgehen solle, gehören die Verhinderung von EU-finanzierten Aktivitäten in den Palästinensergebieten sowie der Ausschluss Europas von allen diplomatischen Maßnahmen. Bauminister Uri Ariel fühlte sich gar an die Boykotte gegen die jüdische Bevölkerung im Vorkriegseuropa erinnert. Hingegen herrscht bei den Palästinensern vorsichtiger Optimismus.

 

Hanan Ashrawi, Mitglied des Exekutivkomitees der Palästinensischen Befreiungsorganisation, begrüßte den Schritt von bloßen Erklärungen hin zu effektiver Politikgestaltung. Dies würde positive Auswirkungen auf die Friedensaussichten haben. Aber auch in Israel hagelt es nicht ausschließlich Kritik. Der ehemalige Außenminister Shlomo Ben-Ami hält die strikte Trennung zwischen Israel und den besetzten Gebieten für absolut notwendig. Dieser Schritt würde zur Delegitimierung der Besatzung statt ganz Israels führen.

 

Logische Konsequenz einer stringenten Politik

 

Die Maßnahmen stellen nicht nur vor dem Hintergrund des Außenministertreffen vom Dezember keine Überraschung dar. Die Nahostpolitik der EU ist seit der Venedig-Erklärung von 1980, in der erstmals das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser anerkannt wurde, von einem hohen Maß an Stringenz gekennzeichnet. Sukzessive wurden die Erklärungen aus Brüssel konkreter und behandeln mittlerweile alle relevanten Streitpunkte.

 

Nach den Oslo-Verträgen wurde die EU zum größten Geber der Palästinenser. Mit EU-Geldern wurden Straßen, Schulen sowie Krankenhäuser gebaut und ein Müll- und Abwasserentsorgungssystem etabliert. Durch direkte Budgethilfe an die Palästinensische Autonomiebehörde wird die Bezahlung der Mitarbeiter gewährleistet. 2002 wurde in der »Erklärung von Sevilla« erstmals ein Endstatusplan für den Konflikt präsentiert.

 

Das erklärte Ziel ist eine Zwei-Staaten-Lösung auf Basis der »Grünen Linie« von 1967. Auf besagtem Außenministertreffen ging es auch um Produkte aus israelischen Siedlungen. Die EU sei dazu entschlossen, bestehende Regelungen vollständig zu implementieren. Das betrifft vor allem Regelungen zur korrekten Kennzeichnung von Produkten, die in die EU eingeführt werden und bei denen zwischen Produkten aus Israel und Siedlungserzeugnissen unterschieden werden muss.

 

Waren aus den Siedlungen fallen dabei nicht unter ein Abkommen zum zollfreien Import israelischer Produkte in die EU. Sollten die neuerlichen Friedensbemühungen von US-Außenminister John Kerry scheitern, kann nicht ausgeschlossen werden, dass die EU weitere Konsequenzen zieht. Während man in der israelischen Regierung glaubt, dies sei nur ein weiterer Schritt in Richtung Totalboykott Israels seitens der EU, so lässt die bisherige EU-Nahostpolitik einen anderen Schluss zu.

 

Die deutliche Unterscheidung zwischen Israel und den besetzten Gebieten soll denen das Wasser abgraben, die diese Unterscheidung nicht treffen. Dies gilt für die Befürworter des Siedlungsbaus aber auch für diejenigen, die versuchen, dem Staat Israel als ganzes die Legitimität zu entziehen.


Jörg Knocha ist Projektmanager bei der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) Ramallah. Der Artikel stellt die Meinung des Autors dar und spiegelt nicht grundsätzlich die Meinung der KAS Ramallah wider.

Von: 
Jörg Knocha

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