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Flugroute Kabul-Dubai

Von Religionen und Facebook

Feature

Die Flugroute Kabul-Dubai ist manchmal ein Indiz dafür, wie sehr Afghanistan sich bewegt und wie sehr es in sich selbst verhaftet zurückbleibt. Teil 6 des Wahltagebuchs von Martin Gerner.

Zweimal in kurzer Zeit, bei zwei verschiedenen Flügen, saßen auf der Flugstrecke Kabul-Dubai neben mir in der Maschine junge Afghanen. Der erste, kaum älter als 10 Jahre alt, fragte mich kurz vor dem kalendarischen Wechsel ins Jahr 2014, wie das damals gewesen sei, als die Alliierten im Zweiten Weltkrieg erst Deutschland besiegten und später wieder abzogen. Rashid war in Kabul geboren, wohnte aber mit seiner Familie und dem Vater, einem Unternehmer, seit einigen Jahren in Dubai. Als Grund nannte er die Sicherheit vor Entführungen in den Emiraten.

 

Entführung der Kinder wohlgemerkt, nicht des Vaters. Der zweite Junge, gleichen Alters etwa, der wenig später mit mir in Richtung Dubai flog und eine Reihe vor mir saß, in dem er immer durch den Spalt beider Lehnen lugte, betrachtete mich lange eingehend mit großen Augen, bevor er fragte, welcher Religion ich angehöre. »Ich bin Christ«, antwortete ich, gemäß meiner Sozialisation. Daraufhin er: »Ich bin Muslim und unsere Religion ist gut für alle Menschen.«

 

Ich suchte nach kurzen einfachen Worten, um ihm mit handreicher Geste verstehen zu geben: Wir Christen und ihr Muslime gehören mit der jüdischen Religion, einer anderen Glaubensrichtung, zu den Glaubensgemeinschaften, die sich gegenseitig respektieren. Und die gleichen Wurzeln besitzen. Daraufhin wiederholte der Junge: »Unsere Religion ist für alle Menschen auf der Welt gut. Der Prophet Muhammad führt uns alle und ist der Gerechte.« Daraufhin lächelte ich zurück.

 

Wortlos flogen wir weiter. Durch die Rückenlehne betrachtete mich Osman dabei noch eindringlicher als zuvor. War es Neugier oder Misstrauen? Ich erinnerte mich an ähnliche Fragen junger Kinder aus meinen Überlandfahrten in die afghanische Provinz.

 

Und ich musste an Mouhanad Khorchide und sein Buch Islam der Barmherzigkeit denken. Dort redet der unter Muslimen in Deutschland umstrittene österreichisch-arabische Soziologe und Islamwissenschaftler vom Zwang im islamischen Glauben und von der Befreiung davon. Ein Thema, das Christen nicht fremd ist. Alle Gesetze, die gerecht seien, heißt es bei Khorchide, seien auch islamische Gesetze. Rashid schrieb mich später einmal aus Dubai per Mail an. Er sei dort sicher, aber er langweile sich mehr als in Kabul.

 

Vermutlich wartete er immer noch auf eine ausführlichere Antwort von mir auf den Zweiten Weltkrieg. Osman kannte sich ebenfalls mit neuen sozialen Medien aus, so schien es. Er erzählte mir von seinen Freunden auf Facebook. Woher diese kämen, wollte ich wissen? Das wisse er nicht. »Irgendwo aus dem Ausland«, aber er war nicht in der Lage ein Land oder einen Kontinent zu nennen. »Es ist nur wichtig, dass man Freunde hat in Facebook«, wusste er.

Von: 
Martin Gerner

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