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Großer Retter statt Großer Satan

Großer Retter statt Großer Satan

Analyse

Innerhalb von Tagen schickte Iran Hilfsgüter, Militärberater und Spezialeinheiten. In der Krise haben schiitische und kurdische Iraker erkennen müssen, sich im Ernstfall nur auf die schnelle Unterstützung aus Teheran verlassen zu können.

Als sich die Vertreter von 58 Ländern am 3. Dezember in Brüssel zusammensetzten, um über ihren gemeinsamen Kampf gegen den »Islamischen Staat« (IS) zu beraten, fiel die Aufmerksamkeit zunächst auf eine Regionalmacht, die gar nicht an der Konferenz teilnahm: Nach Meldungen des US- Verteidigungsministeriums hatte die Islamische Republik Iran in den vorangegangenen Tagen mehrere Luftangriffe auf IS-Stellungen im Irak geflogen. Ein Sprecher erklärte, dies sei nicht mit den USA und ihren Verbündeten abgesprochen worden.

 

Auch der irakische Premier Haidar al-Abadi zeigte sich über die ersten iranischen Luftangriffe in seinem Land überrascht: Die Nachricht sei für ihn »eine Neuigkeit«. Mit seinem eigenmächtigen Vorgehen hat Iran daran erinnert, dass die Konferenzgäste in Brüssel nicht die Einzigen sind, die gegen den IS zu Felde ziehen. US-Außenminister Kerry bemühte sich, der Meldung dennoch etwas Positives abzugewinnen: »Wenn sich Iran gegen IS engagiert ... und dies etwas bewirkt, dann wird das einen positiven Gesamteffekt haben.«

 

Tatsächlich bemühen sich die USA bereits seit längerem vergeblich darum, Iran in den gemeinsamen Kampf gegen IS einzubeziehen. Bereits im Juni 2014 hatte John Kerry erklärt, seine Regierung sei »offen für Gespräche« mit Teheran, um die Lage im Irak zu stabilisieren. Im November wurde zudem bekannt, dass Barack Obama der iranischen Führung in einem persönlichen Schreiben ein Bündnis angeboten hatte, sollte es gelingen den Streit um das iranische Atomprogramm beizulegen.

 

Winterkonferenzen in Brüssel und Teheran

 

Doch für Teheran ist ein gemeinsames Vorgehen zurzeit nicht attraktiv. Zu dominant ist der eigene Einfluss im Irak, zu aussichtsreich das Ziel, mit einem eigenmächtigen Vorgehen Erfolge zu feiern und zugleich den eigenen Ruf als Regionalmacht zu festigen. Statt sich in ein amerikanisch gelenktes Tandem zu begeben, organisierte die Islamische Republik folglich ihre eigene Konferenz.

 

Nur 6 Tage nach dem Treffen der 58 in Brüssel kamen in der iranischen Hauptstadt Repräsentanten aus 40 Ländern zusammen, um über den Kampf gegen Extremismus und Terrorismus zu sprechen. Fast parallel zu Regierungschef Haider al-Abadi in Europa bat nun Iraks neuer Außenminister Ibrahim al-Jaafari in Westasien um zusätzliche Hilfe im Kampf gegen den IS.

 

In der aktuellen Konkurrenz um Einfluss in Bagdad hat Washington eine schlechte Startposition. In den vergangenen drei Jahren hat die US-Regierung ihre Kontakte in den Irak sträflich vernachlässigt. So wurde die Anti-Terror-Hilfe für Bagdad eingestellt und auch die Finanzmittel für die politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit gekürzt, während die iranische Regierung zunehmend an Einfluss gewann.

 

In der vergangenen Jahreshälfte erreichte dieser Trend ein neues Hoch. Während die USA nur zögerlich auf den Siegeszug des »Islamischen Staates reagierten« – Außenminister Kerry lehnte die irakischen Bitten nach Luftangriffen im Juni 2014 als »völlig unverantwortlichen Schritt« ab – versprach Iran sofortige Hilfe: »Sie boten an, uns in jeder gewünschten Form zu helfen, bis hin zur Entsendung von Truppen,« bestätigte Iraks Ex-Außenminister Hoshyar Zebari. Wenig später flogen iranische Transportflugzeuge zweimal täglich rund 70 Tonnen Waffen und Hilfsgüter ins bedrohte Bagdad.

 

»Zwischen gar nichts tun und etwas unternehmen liegen doch viele Optionen«

 

Im Irak wurde diese ungleiche Reaktion scharf kritisiert. Rund zwei Wochen nach Beginn des iranischen Engagements gegen den IS protestierte Haidar al-Abadi gegen die anhaltende Passivität der amerikanischen Regierung: »Wir warten darauf, dass die USA uns Unterstützung geben.« Hoshyar Zebari assistierte: »Zwischen gar nichts tun und etwas unternehmen liegen doch viele Optionen.« Selbst in der Kurdischen Autonomen Region (KAR), seit langem ein enger Partner der USA, wuchs im Sommer die Enttäuschung über das Ausbleiben westlicher Hilfe.

 

Nach endlosem Warten gab KAR- Präsident Massud Barzani schließlich bekannt: »Wir haben um Waffen gebeten und Iran war das erste Land, das uns mit Waffen und Munition unterstützte.« Bei der Lieferung von Kriegsmaterial ließ der Iran es jedoch nicht bewenden. Bereits im Juni wurde berichtet, dass auch mehrere Hundert Soldaten nach Bagdad geschickt worden seien. Militärberater hätten an Gefechten in Samara teilgenommen.

 

Auch Ausbilder der libanesischen Hizbullah seien im Irak präsent, um schiitische Freiwillige gegen IS zu trainieren. Gut einen Monat später hieß es, iranische Truppen kämpften zusammen mit den kurdischen Peschmerga in den Provinzen Diyala und Niniveh. Schließlich wurde eine Serie von Fotos veröffentlicht, die Qassem Suleimani, den Kommandeur der Quds-Brigaden der iranischen Revolutionsgarden, an der Front zeigten. Die Unterstützung und der persönliche Einsatz des Generals hätten die Iraker zu Angriffen auf IS- Stellungen ermutigt, schrieb die Daily Mail: »Der Tod,« so Suleimanis Motto, sei »der Beginn des Lebens, nicht sein Ende«.

 

Iraner kämpfen gemeinsam mit Schiiten und Kurden

 

Seit 1998 gilt Qassem Suleimani als Architekt der iranischen Sicherheitspolitik. Unter irakischen Politikern wird sein Einfluss gesucht und gefürchtet: Er half sunnitischen Widerstandskämpfern zeitweilig im Kampf gegen die US-Truppen und rüstete schiitische Milizen zu einer Konkurrenz für die irakischen Sicherheitskräfte auf. Wiederholt vermittelte er politische Allianzen zwischen den zerstrittenen schiitischen Parteien und den Kurden.

 

Seine Machtressourcen und Repressionsmittel sowie seine verzweigten persönlichen Netzwerke rückten Suleimani in der irakischen Innenpolitik wiederholt in eine Zentralposition: »Es ist sehr schwer für uns, Suleimani zurückzuweisen,« erklärte ein kurdischer Politiker. »Wenn wir Nein sagen, bereitet er uns Ärger.« Im Machtvakuum nach dem katastrophalen Zerfall der irakischen Streitkräfte in Mosul Mitte Juni und nach der Diskreditierung von Premierminister Nuri al-Maliki konnte Suleimani somit rasch zur zentralen Führungsfigur werden.

 

Innerhalb von Tagen schaltete er sich in die Neuformierung der geschlagenen irakischen Armee ein, koordinierte die Mobilisierung von schiitischen Freiwilligenverbänden und führte Gespräche über die Bildung einer neuen Regierung ohne Maliki. Seinen einstigen Gefolgsmann Hadi Ameri von der schiitischen Badr-Armee installierte er als Schattenminister im Innenministerium. Der neue Premier Haider al-Abadi zeigte sich dankbar über das Eingreifen des Generals: »Als Bagdad bedroht war, haben die Iraner nicht gezögert, uns zu helfen und sie haben auch nicht gezögert, den Kurden zu helfen, als Erbil bedroht wurde.«

 

»Wir sind nicht wie die Amerikaner. Wir lassen unsere Freunde nicht im Stich«

 

Iran nimmt diese Botschaft gerne auf. Seitdem schiitische Milizionäre unter iranischer Anleitung die Städte Amerli, Jurf al-Sakher und die größte Erdölraffinerie des Landes in Baiji zurückerobern konnten, empfiehlt sich Iran ganz offen als Waffenbruder. In einer gemeinsamen Pressekonferenz mit seinem irakischen Amtskollegen, proklamierte Außenminister Djawad Zarif am 8. Dezember: »Heute hat die Welt verstanden, dass das erste Land, das der irakischen Bevölkerung in ihrem Kampf gegen Extremismus und Terror zu Hilfe gekommen ist, die Islamische Republik Iran gewesen ist; sie ist der gemeinsamen Bedrohung entgegengetreten.«

 

Angesichts der schwankenden Position des Westens und seiner regionalen Partner Türkei, Katar und Saudi-Arabien gegenüber den IS-Dschihadisten hat diese Sichtweise Aussicht, an Zustimmung zu gewinnen. Statt einer geeinten Weltgemeinschaft im Kampf gegen den IS, bleiben nach den beiden Winterkonferenzen also weiterhin zwei Bündnisse bestehen, die denselben Feind bekämpfen.

 

In Washington wird zwar seit einiger Zeit über einen Modus Vivendi in den Beziehungen mit Teheran debattiert. Selbst Ex-Außenminister Henry Kissinger erklärte Iran zum »natürlichen Verbündeten der Vereinigten Staaten«. Doch dem steht faktisch die Sicherheitspolitik entgegen, mit der die iranische Regierung versucht, neben Syrien und Libanon auch den Irak für seine »Allianz des Widerstandes« zu gewinnen. Unter der Leitung von Qassem Suleimani ist dieses Ziel in den Monaten der IS-Krise deutlich vorangekommen. Der Ruf des Westens hat hingegen weiter gelitten. In Bagdad und in Erbil werden viele den Worten des Generals Recht gegeben haben: »Wir sind nicht wie die Amerikaner. Wir lassen unsere Freunde nicht im Stich.«

Von: 
Hauke Feickert

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